Anna Reuter
Schaut man auf die Fachliteratur zum Lernen unter den Bedingungen der Digitalität und den damit einhergehenden Bedarfen, wird schnell deutlich, dass es dringend geboten ist Kompetenzen breiter zu fassen, als es aktuelle Curricula derzeit tun. Über fachliches Wissen hinaus wird es erforderlich sein, weitere Skills, Charaktereigenschaften und Fähigkeiten zum Meta-Lernen auszubauen, um den Herausforderungen im Beruflichen und Privaten kompetent zu begegnen.
Im Folgenden greife ich zurück auf ein Kompetenzmodell des Centers for Curriculum Redesign CCR, das in den Blick nimmt, was Schüler*innen im 21. Jahrhundert lernen müssen. In einem umfassenden Framework werden vier Dimensionen von Bildung vorgestellt (Fadel, Bialik, Trilling 2017, S. 77):
- Wissen (im Sinne von „Was wir wissen“)
- Skills (im Sinne von „Wie wir nutzen, was wir wissen“)
- Charakter (im Sinne von „Wie wir uns in der Welt verhalten und handeln“) und
- Meta-Lernen (im Sinne von „Wie wir reflektieren und uns anpassen“)
Curricula des industriellen Zeitalters bestanden und bestehen zum Teil bis heute vorrangig aus Wissensbezügen. Das hier herangezogene Modell umfasst mit Blick auf Erfordernisse einer zukünftig zu erwartenden Lebens- und Arbeitswelt deutlich mehr Perspektiven.
Im Folgenden fokussiere ich die drei Dimensionen neben der Wissensdimension und benenne zunächst die jeweilige Kompetenz, um anschließend das diesbezügliche Potential zu beleuchten, das mit Scrum als agiler Rahmung der schulischen Prozesse einhergehen könnte. Die beschriebenen Aspekte können dabei indikativ für Vorteile agiler Lernsettings im Allgemeinen herangezogen werden.
Dimension „Skills“:
Diese Dimension wird als Konkretisierung auf die Frage „Wie wir nutzen, was wir wissen“ verstanden; sie schaut dabei auf die Fähigkeit von Lernenden, ihr Wissen auch anwenden zu können. Vier Fähigkeiten werden dabei ausgemacht:
Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration, in der Fachwelt vielfach als „4K-Modell“ bezeichnet.
Kreativität
Dave Kelley, Mitbegründer der – ebenfalls agilen – Design Thinking Methode stellt ausdrücklich die „Kreative Zuversicht“ in den Fokus dessen, was eine agile Rahmung leisten kann und sollte. (Kelley 2020) Mit der Phase der Ideenentwicklung ist Kreativität integraler Bestandteil dessen, was Schüler*innen erfahren und erlernen können, denn sie ist notwendige Voraussetzung für komplexe Problemlöseprozesse, in denen neues Denken und Handeln in Gang gesetzt und entfaltet sein will. Kreativität gilt demzufolge auch als eine der wichtigsten Eigenschaften für Leadership, um in komplexen und unsicheren Zeiten Herausforderungen zu meistern. (Fadel, Bialik, Trilling 2017, S. 129)
Als die höchste Stufe der Kreativität wird die eigene originäre Schöpfung ausgewiesen. Durch die Produktorientierung agiler Verfahren wie Scrum und Co. kann schöpferisches Tun in der Schule problemlos gewährleistet werden. (Fadel, Bialik, Trilling 2017, S. 133) Zur didaktischen Unterstützung empfiehlt es sich, in Planungsprozessen die (Er-)Kenntnisse zum Projektlernen mitzudenken, sind diese doch ebenfalls lernproduktbezogen und potent mit Blick auf Personal-kompetenz-Zuwachs. Hier sei verwiesen auf die umfangreiche Fachliteratur zum Projektlernen, um den aktuellen Fokus nicht zu verschieben.
Kreativität wird vielfach gleichgesetzt mit emotional-künstlerischem Ausdrucksvermögen. Gleichwohl ist sie messbar. Dem Argument bewahrender Positionen, dass Bewertung in derartigen Settings unmöglich sei, steht also ein Gegenargument gegenüber:
Joy Paul Guilford nach sind folgende Fähigkeiten kreativitäts-immanent (Mehlhorn 2020): Allen voran ist die Originalität als Kriterium benannt. Sie ist am Grad der „Überraschung“ zumindest feedbackfähig zu quantifizieren, qualitativ messbar ist sie durch Abgleich mit Vergleichsgruppen/-produkten etc. Die Fähigkeit zur Problemwahrnehmung ist deutlich besser zu erfassen, zugleich weniger offensichtlich. Sie ist messbar durch den Differenzierungsgrad, die sachliche Distanziertheit und die Lösungsorientierung der Problemanalyse. (Eine didaktische Konsequenz lautete demzufolge, dass der intendierte Lernprozess mit einer Problemanalyse beginnen sollte.) Eine weitere Fähigkeit ist (geistige) Flexibilität, festzumachen z. B. an dem Grad der Multiperspektivität, mit der die Problemanalyse einher ging. Besonders gut quantitativ messbar ist die sog. Flüssigkeit, hier verstanden als die Menge bzw. Anzahl aller zusammengetragenen Ideen. Die Fähigkeit zur Umstrukturierung, d. h. Objekte über ihre übliche Funktion hinaus zu gebrauchen, sie damit in neue Zusammenhänge zu stellen oder neu zuzuordnen, ist über den Grad bzw. die Häufigkeit dieser Umstrukturierung qualitativ und quantitativ zu erfassen. Zuletzt weist die Fähigkeit zur Elaboration aus, inwieweit jemand in der Lage ist, Ideen weiter auszuarbeiten bzw. mit weiteren Aspekten zu bereichern, ein ebenfalls einfach quantifizierbarer Aspekt.
Hier wird deutlich, wieviel kreatives Tun mit aktivem, zielführendem Denken bzw. Denkstrategien zu tun hat. Gleiches gilt für die nächste Kompetenz:
Kritisches Denken
Insbesondere durch das Primat inspect and adapt kann das Framework Scrum den stark reflexiven und selbstverant-wortlichen Duktus gewährleisten. So lernen Schüler*innen Prozesse und Inhalte zu hinterfragen, eine wichtige Voraussetzung, Aussagen zu untersuchen und zu prüfen und Verzerrungen und Argumentationslücken dabei zu identifizieren.
Hier passt ein Impuls von Rolf Dubs zu „guten und schlechten Denkern“: Schlechte Denker suchen nach Gewissheit und Sicherheit und vermeiden Vieldeutigkeit. Sie sind nicht selbstkritisch und mit ersten Lösungsansätzen zufrieden. Sie sind impulsiv, geben rasch auf und sind von der Richtigkeit erster Ideen überzeugt. Die allgemeinen Merkmale von „Guten Denkern“ sind hingegen: Sie begrüßen kritische Situationen und schätzen Vieldeutigkeit. Sie sind genügend selbstkritisch, suchen immer nach anderen Möglichkeiten und Zielen, suchen vielseitige Belege. Sie sind reflektiv und überlegend, suchen wenn nötig intensiv. (Dubs 1995, S. 254)
Kritisches Denken umfasst also viel mehr als im Diskurs eine kritische Haltung einnehmen zu können. Es geht schluss-endlich um Informationskompetenz im Umgang mit der beispiellosen Informationsflut und der Fähigkeit zum systemischen Denken. Nach Derek Cabrera bedeutet dies „Differenzierung („Entwickle zunehmend anspruchsvolle Beschreibungen von Gedanken und Gegenständen.“), Systeme („Dekonstruiere Ideen und rekonstruiere neue integrierte Konzepte mit einer Vielzahl von Interaktionen zwischen dem Teil und dem Ganzen.“), Relationen („Erkenne die Verbindungen zwischen Dingen.“) und Perspektiven mitzudenken („Betrachte Dinge von verschiedenen Standpunkten aus.“) (Fadel, Bialik, Trilling 2017, S. 117).
Hier bestätigt sich ein weiteres Mal die Sinnhaftigkeit komplexer Aufgabenstellungen, wie es beispielsweise im Projektlernen der Fall ist, welches besonders sich gut mit Scrum begleiten lässt: Sie stellen eine differenzierte, anspruchsvolle Auseinandersetzung und in der Regel Neu- bzw. Re- oder De-Konstruktion von Konzepten sicher. Auch geben sie zumeist Gelegenheit, weitere Perspektive auf den Lerngegenstand einzunehmen. Kritisches Denken im o. g. Sinne kann also zuverlässig gefördert werden.
Kommunikation
Kommunikation im hier betrachteten Sinne umfasst nicht nur die Weitergabe bzw. den Austausch von Informationen zwischen Person A und B oder einer Gruppe von Personen. Spätestens seit Beginn der Marktforschung in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde Kommunikation gesellschaftlich und wissens-ökonomisch relevant und damit in bedeutsamer Weise noch „öffentlicher“ als zuvor. (Stalder 2019, S. 29) Wir finden uns als Mitglieder dieser Gesellschaft also im Spielfeld strategischer unternehmerischer und politischer Auseinandersetzungen wieder.
Niklas Luhmann geht noch einen Schritt weiter: Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen. In diesen anschlussfähig, d. h. in Kommunikation zu bleiben, macht erforderlich, dass wir über selbstreferenzielle Techniken verfügen: Wir müssen befähigt sein zur Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung, Selbstvereinfachung. (Schuldt 2017, S. 26-27) Insofern muss Schule, müssen Lernprozesse auf eben diese Techniken vorbereiten und Lernsituationen generieren, im Rahmen derer es vonnöten ist, diese Techniken zu erproben und zu optimieren.
Agile Rahmenwerke wie Scrum sind geprägt von Ereignissen, die Qualitätsentwicklung durch Kommunikation und fortwährende Interaktion in verschiedenen Settings ermöglichen. Diese liegen originär in der Selbstverantwortung der Teams. Dies sollte auch in der Schule gewährleistet werden, d. h. Verantwortung sukzessive immer stärker abgegeben werden. Dabei ist regelmäßige Metakommunikation über den Prozess und die Kommunikation selbst eine wesentliche Gelingensbedingung: Sie trägt für zunehmend differenzierende Denkstrategien Sorge, da das Selbst-beobachtete verbalisiert werden muss. Ebenso kann Multiperspektivität besser in den Fokus rücken und damit soziales Lernen initiieren.
Kommunikation ist in diesen Prozessen auch operational weit gefasst zu sehen. Das heißt, Kommunizieren findet auch in den Dimensionen „Zuhören“, „Reaktionen erfassen und in den eigenen Bedeutungs- und Beurteilungszusammenhang einordnen können“, schreibend (in unterschiedlichen Schreibumgebungen) und „die eigenen Absichten hinter-fragend“ statt. Die üblichen Kommunikationsmodelle als Unterrichtsinhalte angeboten zu haben, schafft noch keine Bedeutsamkeiten für unsere Schülerinnen und Schüler und damit wenig Lernrelevanz.
Ein weiterer Aspekt: Kommunikation findet heute schon auf vielen Kanälen statt. Die Corona-Krise hat uns dabei vor Augen geführt, dass Interaktion über Videokanäle einen neuen Verhaltenskodex und veränderten Sinneseinsatz mit sich bringt. Nutzen wir in der Umsetzung didaktisch agilerer Konzepte verstärkt unterschiedliche Kanäle und reflektieren diese mit unseren Schüler*innen, kann Kompetenzzuwachs diesbezüglich gezielt gefördert werden.
Kollaboration
Erfolgreiches Kollaborieren ist lt. Johnson et al. von folgenden fünf Gelingensbedingungen abhängig: individuelle Ver-antwortung, positive Abhängigkeit, zielführende Gruppen-strategien und -evaluationen, soziales Lernen und Face-to-Face-Interaktionen. (Johnson, Johnson, Johnson Holubec 2012)
In Scrum sind alle fünf Bedingungen immanent, ist doch das Team (und damit ein strukturell verankertes Format für Kollaboration) Kern des Scrum Modells:
Individuelle Verantwortung
Die Arbeit der Entwicklungsteams folgt dem Prinzip der Selbstverantwortung und kann in der Gesamtheit der zu leistenden Arbeitspakete nur dann gelingen, wenn sich jedes Gruppenmitglied verantwortlich für die Aufgaben des aktuellen Sprint Backlogs zeigt.
Positive Abhängigkeit
Commitment, (Selbst-)Verpflichtung der Gruppe gegenüber, ist festverankertes Primat im Scrum Framework. Dies gilt sowohl für das Kernteam („Entwicklungsteam“) selbst wie auch für das Scrum Team (Entwicklungsteam, Scrum Master und Product Owner) innerhalb der Organisation. Durch die didaktische Brille betrachtet, ist es zu empfehlen, diesen Aspekt in unterrichtlichen Prozessen nicht disziplinarisch einzusetzen, sondern gemeinsam mit den Schüler*innen inhaltliche Abhängigkeiten auszumachen und als Chance der Multiperspektivität erkenntnisbringend zu nutzen.
Gleiches gilt im Übrigen für Entwicklungsprozesse auf Leitungs- bzw. Kollegiumsebene: Agile Organisationen sind nicht dann agil, wenn einzelne Teams besonders schnell und agil handeln (und dann ggf. auf die anderen/die Leitung warten müssen, weil sie von deren Entscheidungen abhängen). Wichtiger ist, dass das richtige Team zur richtigen Zeit an der richtigen Sache arbeitet (Leopold 2019).
Zielführende Gruppenstrategien und -evaluationen
Die Scrum-Ereignisse des Daily Sprint sowie die Retrospektive stellen sicher, dass Teammitglieder regelmäßig nicht nur Auskunft über ihre Arbeit in der Gruppe geben, sondern auch Möglichkeiten zur Verbesserung des Prozesses erarbeiten und Vorsätze ableiten. Ich verweise an der Stelle auf den Abschnitt „Erfolgversprechende Rahmenbedingungen für Teams“ in diesem Buch und das Zitat „Tatsächlich aber ist die Retrospektive das Herz der Verbesserung und eines der wichtigsten Meetings überhaupt.“ (Leopold 2019) sowie die Ausführungen zum Scrum Prinzip „Inspect and adapt“. Vorsatzbildung ist wesentliche Grundlage erfolgreichen Lernens und sollte als Gruppenstrategie möglichst früh eingeführt und regelmäßig vorgenommen werden.
Soziales Lernen
Die Fähigkeit und Bereitschaft, zielorientiert mit anderen zusammenzuarbeiten, ihre Interessen und sozialen Situationen zu erfassen, sich mit ihnen rational und verantwortungs-bewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen sowie die Arbeits- und Lebenswelt aktiv mitzugestalten sind Indikatoren einer sozialen Kompetenz, die ein wesentliches Bildungsziel im System Schule darstellt. Vermutlich wird sie künftig noch stärker in den Fokus rücken, als es in den letzten Jahren bereits zu beobachten war, ist doch zu erwarten, dass sich standort-unabhängige Arbeitsformen, die von Vernetzungsprinzipien geprägt sind, immer stärker durchsetzen werden.
In erfahrenen Teams ist es empfehlenswert, die Rolle des Scrum Masters in diesen selbst zu besetzen und diese Besetzung auch eigenständig vornehmen zu lassen. Originär ist es ihre/seine Aufgabe, die Kommunikations- und Interaktions-prozesse sowie Entscheidungs- und Leitungsstrukturen zu beobachten und dabei zu unterstützen. In Konfliktsituationen ist es an ihm/ihr Lösungsstrategien zu vermitteln und dafür Sorge zu tragen, dass die Gruppe wieder effektiv arbeiten kann. Diese herausfordernde und komplexe Rollenausprägung sollte im Meta-Unterricht thematisiert, aufbrechende Konfliktsituationen bewusst als Lerngelegenheit genutzt werden. Angebote wie Fortbildung oder Coaching für die Rollenträger in der Lerngruppe oder im Kollegium erweitern das Potenzial.
Face-to-Face-Interaktion
Erfolgreiche Teams arbeiten über einen längeren Zeitraum hinweg in konstanten Konstellationen in unmittelbarer Nähe miteinander:
„[…] Mastering agile innovation is similar. Before beginning to modify or customize agile, a person or team will benefit from practicing the widely used methodologies that have delivered success in thousands of companies. For instance, it’s wise to avoid beginning with part-time assignment to teams or with rotating membership. Empirical data shows that stable teams are 60% more productive and 60% more responsive to customer input than teams that rotate members. […]“ (Rigby, Sutherland,Takeuchi 2020)
So empfiehlt sich für schulische Lernsettings, insbesondere in noch ungeübten Lerngruppen, stabile Teams zu bilden und mit diesen regelmäßig die gemeinsame Arbeit zu evaluieren.
Ein kleiner Exkurs ist an dieser Stelle angebracht: Die Schulschließungen während der Corona-Krise haben das Potential von Online-Formaten gut verdeutlichen können. Nun ist Face-to-Face-Interaktion zwar rein technisch mit entsprechenden Videokonferenztools umsetzbar. System-bedingt aber fallen die Stärken der unmittelbaren Kommunikation weg, die Interpretationsmöglichkeiten der Gestik und Mimik unseres Gegenübers sind nur bedingt gegeben. Stimme und Sprachmodulation sind der Online-Umgebung anzupassen, die Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich reduziert. Somit ist eine reine Online-Kommunikation in agilen Prozessen nicht empfehlenswert, obschon sie prozessbegleitend von großem Wert ist.
Um also direkte Absprachen und dialogische Prozesse sowohl synchron als auch asynchron möglich zu machen, sollten Tools und sog. Working Agreements – im Scrum Framework fester Bestandteil im Rahmen der Teamfindung – mit den Lerngruppen thematisiert und systematisch eingeführt und evaluiert werden.
Dimension „Charakter“
Diese „Ergänzung zu elementarem Wissen und Fähig-keiten“ (Fadel, Bialik, Trilling 2017, S. 74) weist Indikatoren der Kompetenz aus, mit lokalen und globalen Herausforderungen wie Armut, Gewalt, Korruption, Nachhaltigkeit etc. umzugehen (ebd.). Auch der Stellenwert dieser Dimension ist im Zuge der Corona-Krise stärker in den Fokus gerückt: Über die benannten Eigenschaften (Achtsamkeit, Neugier, Mut, Resilienz, Ethik, Leadership) zu verfügen, hilft Krisen zu begegnen. Der ohnehin längst vorhandene Bedarf, sich den Möglichkeiten und Zielen zu widmen, die mit (gar nicht so) „neuen“ Medien einhergehen, ist einer breiten Masse vor Augen geführt worden. Eine „Kombination aus positiver Vision und Druck“ (Stalder 2019, S. 22) könnte nun zu Veränderungen führen. Die folgenden Eigenschaften versprechen, sich dabei erfolgreich „in der Welt zu verhalten und zu handeln“.
Achtsamkeit
Achtsamkeit, verstanden als „Bewusstheit, die sich durch gerichtete Aufmerksamkeit, nicht wertende Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick einstellt“ (Kabat-Zinn 1990) zitiert nach (Fadel, Bialik, Trilling 2017, S. 152), ist in routiniert-schnellen, auf Effizienz und Produktivität ausgerichteten Prozessen schwer sicherzustellen. Umso wichtiger ist es, dies mit Schüler*innen und im Kollegium zu trainieren. Eingebunden in die Rituale bzw. Ereignisse des Scrum Frameworks könnte dies seinen festen Platz in den längeren, teaminternen Kontexten des Sprint Planning und der Retrospektive finden. Die stark ritualisierte Struktur garantiert dies aber ohnehin: Die Lernenden befinden sich fortwährend in einem Wechsel zwischen distanziertem Beobachten (z. B. auch im Rahmen der täglichen Stand ups) und dem aufgabenfokussierten Flow des Arbeitsprozesses. Das stellt sicher, dass der Fokus der Aufmerksamkeit je nach Prozessphase regelmäßig überprüft werden muss und damit ein Bewusstsein für die jeweils eingeschlagene Richtung trainiert werden kann.
Neugier
Der Information-Gap-Theorie nach erzeugt eine Lücke zwischen dem, was ich weiß und dem, was ich wissen möchte, neugierige Aufmerksamkeit. Gehen wir nun von der These aus, dass tendenziell offene Lernsettings, die an und mit den Fragen und Interessen der Schüler*innen arbeiten und forschendes Lernen erlauben, ein Mehr an „wissen wollen“ mit sich bringen, gehen wir mit agilen Settings einen guten Weg. Diese sind per definitionem offen.
Komplexe Aufgabenstellungen erfordern selten konvergentes Denken (eindeutiges Problem, eindeutige Lösung). Stattdessen ist die Fähigkeit zu divergentem Denken gefragt: Die Problemstellung ist komplex, es sind mehrere, teils vielfältige Lösungen möglich. Das erfordert Kreativität (s. o.) und auch Neugier auf die eigene, zunächst unbekannte Lösung. Neugier ist dabei eine wichtige Triebfeder im Prozess, die es zu schüren gilt. Darüber hinaus ist sie eine Schwestertugend von Durchhalte-vermögen; sollte uns (oder unseren Schüler*innen) dieses fehlen, ist Neugier eine willkommene Neu-Attribuierung, die wir im Prozess vornehmen bzw. aktiv adressieren können!
Projektorientierte, auf Lernprodukte ausgerichtete Lern-arrangements (statt Stoff nach dem Prinzip „je mehr abarbeiten, desto besser“), das ist mit agilen Settings wie Scrum durch den Fokus auf die (Selbstständigkeit der) Lernenden impliziert.
Mut
Neben dem hier zitierten CCR-Framework nach Fadel et al. benennt auch der Scrum Guide Mut als einen der dem Rahmenwerk zugrunde liegenden Werte: „Die Mitglieder des Scrum Teams haben den Mut, […] an schwierigen Problemen zu arbeiten.“ (Sutherland, Schwaber 2020)
Inwiefern braucht es dazu Mut? Hier lohnt sich zunächst ein Blick auf das erfolgreiche Ende eines Problemlöseprozesses: Etwas Schwieriges gemeistert zu haben, macht zufrieden und stolz. Auch und gerade dann, wenn die bevorstehende Herausforderung zu Beginn als solche wahrgenommen wurde: als zu bewältigen, aber nicht ohne Anstrengung. Stolz zu sein, respektive sich als selbstwirksam zu erfahren, bedeutet, eine Kausalität zwischen den eigenen Fähigkeiten und zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten und dem erfolgreichen, selbstständigen Bewältigen von Aufgabenstellungen hergestellt zu haben.
Stehen wir vor neuen Herausforderungen, deren Komplexität noch nicht abzusehen ist, braucht es Mut und die Erfahrung von Selbstkompetenz, diese anzunehmen. Die strukturell immanenten Ereignisse in Scrum, die dafür Sorge tragen, dass Komplexität sukzessive gehändelt werden kann, erlauben die Erfahrung, dass es sich lohnt mutig zu sein. Zu lernen also, dass es sich lohnt, auch ergebnisoffene Aufgaben anzunehmen und sich auf Erforschungsprozesse einzulassen. Auch erfordert es Mut, sich immer wieder in Selbstreflexion zu begeben, geht damit doch die Gefahr einher, dass mögliche Fehler, blinde Flecken oder Fehlstrategien offenbar werden. Wenn wir lernen, dass dieses Aufdecken nicht zu Liebesentzug, sondern zu langfristig besseren Lösungen führt, kann eine Fehlerkultur gedeihen. Es lohnt sich also ein weiteres Mal mutig zu sein. Mit den immer wiederkehrenden Reviews und Retrospektiven ist Reflexion fester Bestandteil von Scrum. Mut ist nicht ohne Grund einer der im agilen Manifest beschriebenen Grundwerte. (Beck et al. 2001) Das Primat der Iteration adressiert an dieser Stelle nicht nur den Optimierungsprozess, sondern trägt zu einer mutigen und anstrengungsbereiten Fehlerkultur bei.
Resilienz
Der soeben beschriebene Zusammenhang zwischen Kompetenz- und Unsicherheitserleben in herausfordernden Situationen beleuchtet eine vermutlich wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Resilienz. Nach schwierigen Lebensphasen zurückzuschauen und zum Schluss zu kommen, dass die Selbstkompetenz, die eigene Problemlösefähigkeit, das eigene Durchhaltevermögen wesentliche Gelingensbedingung war, lässt künftig Positiverwartung zu und damit die Offenheit (ebenfalls ein Grundwert des Scrum Guides) und Gelassenheit, die mit Resilienz als psychischer Widerstandskraft einhergeht.
Ethik
Ethik, als Zugriffsfähigkeit auf gemeinschaftlich vereinbarte Moralvorstellungen verstanden, steht meines Erachtens in engem Zusammenhang mit der Fähigkeit Perspektivwechsel vorzunehmen, Empathie aufzubauen und Toleranz zu leben. Stellen wir uns Aufgaben vor, im Rahmen derer das Entwicklungsteam für andere tätig wird. Beispielsweise könnte eine Beauftragung des benachbarten Kindergartens für ein neues Signet vorliegen. Oder die Schule benötigt ein neues Konzept für die Nutzung des Schulgartens. Es gilt für Neuankömmlinge in der Schule (Schüler*innen wie Kolleg*innen) eine Willkommens- und Informationswebseite zu entwickeln, an der Schüler*innen und Lehrer*innen gemeinsam arbeiten.
Meine Thesen: Fühle ich mich als „Auftragnehmer*in“ im Zuge einer solchen Aufgabenstellung in die Person ein, für die ich aktiv werde, lerne ich, Vorverurteilungen und vorschnellen Kategorisierungen Vorschub zu leisten und aktiv gegen-zusteuern. Ich erfahre meine soziale Verantwortung, in der ich im Entwicklungsprozess mitwirke. Damit ist meine moralische Instanz in besonderer Weise gefordert. Der Perspektivwechsel ermöglicht, in einer funktionierenden Gesellschaft ethisch zu handeln und Interaktion aktiv wertorientiert zu gestalten.
Leadership
Der Grundwert des Commitments im Sinne von „dem Team und der Aufgabe verpflichtet“ wie auch „sich selbst verpflichtet“ ist in Scrum fest verankert. Der Begriff Leadership muss aber über Pflichtbewusstsein und den damit einher-gehenden disziplinarischen Duktus hinaus weiter verstanden werden (siehe dazu auch den Abschnitt „Veränderte Ausgestaltung der Führungsrolle“). Er umfasst auch und vor allem das vorbildhafte, wertschätzende, vertrauensvolle Handeln innerhalb eines Teams, das als Ganzes Verantwortung übernommen hat. Einem „modernen“ Führungsverständnis folgend, das Vertrauen und aktive Wahrhaftigkeit in den Fokus nimmt, empfiehlt sich eine Ausgestaltung der Rolle als Servant Leader (Sprenger 2007). Erfolgreiches Leadership ist vor diesem Hintergrund vor allem dann gesichert, wenn zuvor vielfältige soziale Kompetenzen aufgebaut werden konnten. Zweifelsohne werden diese in kollaborativen Prozessen, in denen eben diese Kompetenzen explizit adressiert und reflektiert werden, in besonderem Maße entwickelt. So gilt es, Phasen des gemeinsamen Arbeitens und Lernens ent-sprechend zu nutzen. Wie bereits mehrfach hier anempfohlen bedeutet dies ein weiteres Mal, Evaluationsphasen respektive die Scrum Ereignisse metareflektiv zu nutzen, und konkret auch immer wieder auf die sozialen Lernprozesse und Fortentwicklungen auszurichten.
Potenzial liegt neben der Verantwortungsübernahme und dem Fokus auf soziale Kompetenzentwicklung auch in der Identifikation mit der Aufgabe und dem eigenen Team. Durch gemeinsame Teamentwicklung und Themen, die bestenfalls an und mit den Fragen der Lernenden arbeiten, sind identifikatorische Prozesse zu erwarten und können gewinnbringend nutzbar gemacht werden.
Angesichts dessen ist es umso naheliegender, die Rolle des Scrum Masters als desjenigen/derjenigen, der/die o. g. Prozesse im Team initiiert und begleitet, im Rahmen agiler Unterrichtsarrangements in Schülerverantwortung zu geben (siehe hierzu auch „Soziales Lernen“). Dass hier auch und gerade die Schüler*innen angesprochen sind, die nicht dem klassischen Bild des Alphatieres folgen, ist selbstredend. Hohe Beziehungskompetenz, Motivation, Vertrauen in die Fähigkeit, sich in diese Rolle einfinden zu können und die Freude am gemeinsamen Lernen sind an dieser Stelle Erfolg versprechendere Voraussetzungen. Das haben die Schüler*innen in aller Regel bereits selbst erfahren; es lohnt sich demzufolge, die Thematik gemeinsam zu erörtern und zu entsprechenden „Working Agreements“ zu kommen. Letztere sind ebenfalls fester Bestandteil des Scrum Portfolios. „Was braucht es für uns als Team, damit wir in unserem Prozess vorankommen?“ kann eine hilfreiche Leitfrage sein, die zu einer Reihe von Festlegungen führt, die die Erwartungen der Teammitglieder aneinander klärt und ein gemeinsames Verständnis generiert.
Meta-Lernen
Die Dimension der Reflektiertheit. Hier finden sich Ausprägungen, die zu kurz gefasst wären, würden sie mit „Lernen lernen“ subsummiert werden. Meta-Lernen zielt ab auf ein tieferes Verständnis der eigenen Lernprozesse und die Befähigung zur Selbststeuerung dieser. Schule hat in tendenziell offenen, individualisierenden Lernarrangements immer wieder die Chance, mit den Beteiligten gemeinsam auf die Meta-Ebene zu gehen und damit Lernprozesse anzustoßen und zu beleuchten, die Reflektieren als (Lern-) Prozess greifbarer macht. Hier empfehle ich den Rückgriff auf die Reflexionsstufen, die J. D. Bain et al. in einer Studie über das Reflexions-potential von Lerntagebüchern ausgemacht haben. (Bain et al. 1999) Ausgehend vom Reporting, dem Verbalisieren von Wahrgenommenem, Erfahrungen, Gefühlen, bewusst angewendetem Wissen etc., wird das in den Blick Genommene über Phasen des Responding, Relating und Reasoning systematisch strukturiert, eingeordnet, gewichtet und schlussendlich so verarbeitet, dass eine Reconstruction im Sinne des Hinzufügens zum individuellen, semantischen Begriffsverständnis Lernen erlaubt. Somit wird Reflexionsfähigkeit nicht nur implizit gefördert, da jede*r Lernende sich selbst im Reflexionsprozess verorten kann und lernt, diesen aktiv zu steuern.
Dynamisches Selbstbild
Sich selbst als Lernende zu erleben, kann positiv wie negativ konnotiert sein. Sich selbst als wirksam zu erleben hingegen nicht. Dieses Gefühl wird sicherlich von jedem Menschen als positiv wahrgenommen. Umso sinnvoller ist es bekannter-maßen, Lernprozesse so zu gestalten, dass die eigene Selbst-wirksamkeitserwartung erfüllt werden kann. Die Beantwortung der Frage, wie genau dies gelingen kann, spricht nicht nur strategische Überlegungen an, sondern auch das eigene Selbstbild: Lasse ich mich als Schüler vom Glaubenssatz leiten, Mathe noch nie gekonnt zu haben (und deshalb auch nie zu können) oder glaube ich, dass ich, wenn ich mich nur darauf einlasse, auch bislang Unbekanntes oder Nichtgekonntes werde lernen können? (siehe dazu auch Abschnitt „Fehlerkultur respektive Optimierungskultur“).
Ohne Zweifel ist die zweite Version besser geeignet, um Lernen als etwas Positives zu verstehen und sich bewusst und aktiv professionalisieren zu wollen. Die Scrum-Werte Commitment, Mut und Offenheit repräsentieren Eigenschaften, die helfen, zur beschriebenen Selbsteinschätzung zu kommen.
Die in den letzten Jahren vielfach beschworene Empfehlung, Feedback auszubauen und hier insbesondere formatives Feedback in den Blick zu nehmen, findet hier Bekräftigung: Der Lernfortschritt, die individuelle Bezugsnorm kann als Indikator der persönlichen Lernfähigkeit herausgestellt werden. Die Analyse des “Wie genau habe ich gelernt?” ermöglicht sukzessive die relevante Lernform zu identifizieren und in Abgleich zu bringen mit dem lernerischen Kontext. Passt die von mir gewählte Lernform zu dem Inhalt, von dem ich mir Erkenntnis verspreche? Woraufhin lerne ich diesen Inhalt?
Anmerkung am Rande: Nicht nur im hier diskutierten Kontext scheint mir diese Blickrichtung um ein Vielfaches sinnvoller als, zur Rahmung und Legitimation der Unterrichtsinhalte, auf zu bestehende Abschlüsse und Prüfungen zu rekurrieren.
Metakognition
Metakognition ist ein Garant für transferfähige, handlungs-leitende Erkenntnis und als solche unabdingbar in komplexen, problemlösenden Lernprozessen. Mit dem hohen Anwendungsbezug der komplexen Aufgabenstellungen einerseits und den sich stetig wiederholten Reflexionsanlässen andererseits findet auch Meta-Unterricht in agilen Lernsettings wie Scrum seinen Platz.
Hier gilt es sicherlich, die Themen Reflexion (s. o.) und Wissensmanagement selbst zum Lerninhalt zu machen. Instrumente wie das Kanban-Board als veranschaulichende Begleitung des aktuellen Sprints oder die Alpen-Methode zur Planungsunterstützung etc. sollten beizeiten und sukzessiv im Rahmen zunehmend komplexer Aufgabenstellungen eingeführt, reflektiert und geübt werden.
Einige didaktische Empfehlungen an dieser Stelle können gut verdeutlichen, inwiefern Meta-Unterricht Metakognition fördern kann:
Wenn Sie gewährleisten, dass die täglichen Standup/Daily Scrum-Sessions an/mit den Kanban Boards stattfinden und somit nicht aus dem Blick geraten, werden diese als sinnvolles Arbeitsinstrument erfahren und zunehmend selbst-verständlich genutzt.
Erklären Sie die Arbeit an/mit einem Kanban-Board, indem Sie ein Alltagsbeispiel wie die Planung eines Klassenausflugs heranziehen und das Board zur Planung gemeinsam mit den Schüler*innen durchspielen. Damit vorentlasten Sie, ein aus der Sprachdidaktik bekanntes Lernprinzip, und erlauben Querbezüge bzw. vernetztes Denken.
Legen Sie die Menge der in einem Sprint zu bearbeitenden Arbeitspakete (sog. WIP-Limits) mit Ihren Schüler*innen gemeinsam fest. So ist gewährleistet, dass das Team die bevorstehende Arbeit auch mit Blick auf den vermutlichen zeitlichen und inhaltlichen Aufwand eingeschätzt hat. Sie können dabei aus der Perspektive eines Servant Leaders (der auch einmal vorangeht) wichtige Impulse auch Ihrer Erfahrung einfließen lassen. Im Laufe des Prozesses kann dieses Schätzen immer mehr von den Schüler*innen selbst übernommen werden.
Prüfen Sie – bestenfalls wieder an einem Beispiel gemeinsam mit der Lerngruppe vorentlastet – den Komplexitätsgrad der Aufgaben. Konkret am Beispiel Ausflug festgemacht bedeutet dies z. B.: Die Aufgabe “Einkaufen” ist zu komplex, sie muss weiter herunter-gebrochen werden, damit das Team ein einheitliches Bild davon hat, was genau Einkaufen umfasst. Wenn ein Teammitglied davon ausgeht, es ginge nur um die Getränke, das nächste Teammitglied aber davon ausgeht, dass damit alle noch zu besorgenden Gegenstände gemeint sind, kann das Team nicht zielführend arbeiten. Mit immer mehr Erfahrung werden die Teams von sich aus vor dem Sprint ein Sprint Planning durchführen wollen. Regen Sie ausdrücklich dazu an; im ursprünglichen Scrum-Framework ist dies ein unabdingbares Ereignis zu Beginn des Prozesses.
Die Notwendigkeit, den Lernprozess wie in den oben genannten Beispielen gemeinsam in Abgleich zu bringen mit dem agilen Rahmenwerk und seinen Prinzipien, stellt zugleich eine weitere Lerngelegenheit dar, das eigene Tun metakognitiv zu hinterfragen. Hier ist sicherlich gerade die Beziehung zwischen zugrunde liegenden Werten und den sich daraus ableitenden Strategien eine Chance, die eigenen Strategien zu reflektieren.
Empfehlenswert ist dieser Abgleich nicht nur in der Einführung des agilen Prozesses. Er kann in allen Teams, die sich der Veränderung angenommen haben, regelmäßig initiiert werden und somit für Differenzierung und Multiperspektivität im Denken Sorge tragen. Hier ist ein Beispiel für den o. g. Abgleich: Das Scrum Framework nimmt eine deutliche Unterscheidung zwischen dem “Was werden wir erarbeiten?” (Inhalt des Product Backlogs) und dem “Wie werden wir es erarbeiten?” (im Team zu beantwortende Fragestellung, die im Sprint Backlog Niederschlag findet) vor. Diese strategisch-inhaltliche Perspektive kann zu meta-kognitiver Auseinandersetzung beitragen, da das Team den Transfer vom Was? zum Wie? zunehmend selbstständig vornehmen muss. Wenn nun ein Schüler*innen-Team plant, am kommenden Pädagogischen Tag die Versorgung zu übernehmen, kann es die Fragen nach dem Was? und Wie? heranziehen, um aktiv und selbstgesteuert im Scrum Rahmenwerk hilfreiche Instrumente für beide Vorhaben zu finden.
Das gemeinsame Überprüfen in retrospektiven Phasen umfasst mithin nicht nur die Qualität des generierten Produktes, sondern umschließt ausdrücklich auch die Strategien, die Beziehungsgestaltung, die Prozessgestaltung. Somit ist sowohl die Vor- wie die Rückschau gewährleistet und ein Einordnen der eigenen Lernprogression wahrscheinlicher. Dass ent-sprechende Erkenntnisse in der Interaktion verbalisiert und damit ein weiteres Mal verarbeitet werden, unterstützt Meta-kognition einmal mehr.
Fazit
Scrum ist als Rahmenwerk komplex und liefert eine Vielzahl an neuen Begrifflichkeiten.
Das mag abschrecken. Gleichwohl ist es nicht unbedingt erforderlich, von vornherein alle Ereignisse, Artefakte und Rollen in unterrichtliche Prozesse zu überführen. Meine Empfehlung: Lesen Sie die Empfehlungen mit Blick auf Ihre konkreten Lerngruppen bzw. die Teams, mit denen Sie beginnen wollen, agil zu arbeiten: Fragen Sie sich, welchen Vorteil Sie sich davon versprechen und woran Sie festmachen werden, dass dieser Vorteil ausgeschöpft wird.
Was halten Sie für sofort umsetzbar, was können Sie mit Ihren Schüler*innen zusammen vermutlich noch nicht leisten? Was müsste einem solchen Prozess lernerisch vorausgegangen sein? Werden Sie gerade bei der Beantwortung der letzten Frage konkret und verfahren nach dem Ausschlussprinzip: Reduzieren Sie die Anteile des Frameworks, die zu komplex sind und fokussieren Sie sich auf die Schritte, die für die Gruppe leistbar sind. So verhindern Sie, dass Sie von einem Thema zum nächsten springen, weil Sie immer wieder mit Ihren Schüler*innen einordnen müssen, um was es gerade geht.
Apropos: Im Organisationsmanagement heißt es, content switching, also das ständige Springen zwischen verschiedenen Themenfeldern, sei unbedingt zu vermeiden, um produktiv zu bleiben. Sie sehen: Wenn Sie so fokussiert vorgehen, wie oben beschrieben, sind Sie schon ein wenig mehr in der Lage agil zu handeln. Ein Schritt also in die richtige Richtung.
Vor allem: Probieren Sie agile Rahmenwerke wie Scrum, Design Thinking und andere mutig und offen für Neues aus! Beide Eigenschaften repräsentieren Werte eines agilen Mindsets, wie Sie nun wissen. Sie lohnen sich also als Ausgangslage für eigene und gemeinsame Lernprozesse, die Agilität im Blick haben. Der Abgleich mit künftig zu erwartenden Herausforderungen und damit einhergehenden Kompetenzen zeigt das Potenzial auf. Hier ist es nicht erforderlich, das Scrum Rahmenwerk möglichst vollständig und umfassend umzusetzen. Vielmehr lohnt es sich, ganz dem Prinzip Inspect and Adapt folgend, zu beginnen, innezuhalten, zu evaluieren und gemeinsam weiterzugehen. Sich Kollegen an die Seite zu holen und damit einen „didaktischen Doppeldecker“ im gemeinsamen „Prüfen und Anpassen“ gewinnbringend nutzen zu können, ist eine weitere Empfehlung, die sich aus den Potenzial-Überlegungen ableiten lässt.
Ich wünsche viel Freude, vielfältige Perspektiven und transferfähige Erkenntnisse!
Literaturverzeichnis
Bain, J. D., Ballantyne, R. & Packer, J. (1999). Teachers and Teaching. Theory and Practice Using Journal Writing to Enhance Student Teachers ’Reflectivity During Field Experience Placements. Teachers and Teaching: Theory and Practice, 5(1), 51–73.
Beck et al., K. e. (2001). http://agilemanifesto.org. Von Manifest für Agile Softwareentwicklung: http://agilemanifesto.org abgerufen
Dubs, R. (1995). Lehrerverhalten. Zürich: Verlag des Schweizerischen Kaufmännischen Verbandes.
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Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Scrum in die Schule”. Verfasst von 17 Expertinnen von innerhalb und außerhalb der Schule, gibt dir das Buch konkrete Informationen zum Einsatz der agilen Methode Scrum im Unterricht. Der Ablauf, die Regeln,
die Rollen und die Durchführung werden theoretisch
wie praktisch beschrieben und anschaulich erklärt.
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