Johanna Uhl – Juni 2020
Egal, was, wann und wo wir lernen – Kooperation und Kollaboration sind zentrale Elemente guter Bildungs-Settings, ob mit oder ohne digitale Technologien. Wenn Schüler*innen einer Schulklasse aber plötzlich nicht mehr an dem Ort, an dem sie normalerweise gemeinsam lernen und arbeiten, zusammenfinden können und sich ihr „Schulalltag“ beinahe anfühlt wie eine nicht enden wollende Hausaufgabe in Stillarbeit, werden kooperative und kollaborative Lern- und Arbeitsformen, die sich über mobile, vernetzte Technologien verwirklichen lassen, geradezu zu Social Life Safers: Sie ermöglichen – neben all den Benefits, die sie überhaupt im Sinne zeitgemäßer Bildung bieten – den Fortbestand einer Klassengemeinschaft, die für viele Schüler*innen (und natürlich auch Lehrer*innen) nicht nur ein sozialer Verbund zum Lernen, sondern auch im Leben ist. In der Phase des reinen Remote Learning (ein Begriff, den ich irgendwie besser finde als Distanzunterricht) während der Corona-bedingten Schulschließungen dürfte allen Beteiligten sehr schnell sehr bewusst geworden sein, dass gemeinschaftliche Interaktion und (auch persönliche) Kommunikation tragende Pfeiler schulischer Bildung sind, ob sie nun vor Ort im Klassenzimmer oder im digitalen Raum stattfindet, oder ob ein Teil der Lernenden zusammen in der Schule ist und die anderen jeweils zuhause sind.
In diesem Beitrag stelle ich einige Möglichkeiten vor, mit denen meine Schüler*innen und ich es in den letzten Monaten Remote Learning und dann auch im Hybridunterricht geschafft haben, als ganze Klassengemeinschaft wie auch in Gruppen- oder Partnerarbeiten interaktiv und kommunikativ weiterzulernen und dabei authentische, inhaltsbezogene Konversationen über Lernräume und -zeiten hinaus zu etablieren.
Keep distance, stay together: Meine bisherigen Erfahrungen im Remote Learning und Hybridunterricht
Kurz zum groben äußeren didaktischen, methodischen und organisatorischen Rahmen:
In der Phase des Lockdowns etablierte sich für unseren Fernunterricht eine Kombination aus
- Arbeitsaufträgen, im Zuge derer sich die Schüler*innen individuell und – je nach Inhalt/Jahrgangsstufe – vermehrt selbstbestimmt bis projektorientiert mit den schulischen bzw. fachlichen Inhalten auseinandersetzten,
- Phasen der Partner- und Gruppenarbeit, in denen die Schüler*innen ihre individuell erarbeiteten Ergebnisse zusammenführten, um dann weiter kooperativ und kollaborativ auf deren Grundlage weiter zu arbeiten,
- Echtzeit-kollaborative Phasen der Partner- und Gruppenarbeit in Etherpads und Web-Whiteboards,
- kooperatives Arbeiten mit inhaltsbezogener Kommunikation der ganzen Klasse in Seesaw,
- und „Live Lessons“ im Klassenverbund über Jitsi (einmal in der Woche), in denen wir gemeinsam sowohl im klassischen Lehrer*innen-Schüler*innen-Gespräch Gelerntes vertieften oder Neues lernten, als auch Echtzeit-kollaborative Phasen der Partner- und Gruppenarbeit integrierten.
Ähnlich verfahren wir nun im Hybridunterricht, bei dem ein Teil der Klassen zuhause ist und ein Teil in der Schule; je nach Unterrichtsgegenstand haben sich bisher folgende Ergänzungen ergeben:
- Beide Gruppen arbeiten unabhängig voneinander an unterschiedlichen Inhalten/Aufgaben, wobei die Schüler*innen zuhause z. T. miteinander kooperieren und kollaborieren, bspw. in Etherpads und Web-Whiteboards.
- Die Gruppen arbeiten zeitgleich miteinander, wobei jeweils ein*e Schüler*in in der Schule und eine*m Schüler*in zuhause über Videocall zusammenarbeiten.
- Die Gruppen arbeitet als Klassengemeinschaft zeitgleich miteinander, wobei die Schüler*innen zuhause über eine Webkonferenz zugeschaltet werden; hier finden vornehmlich Präsentationen von Arbeitsergebnissen statt, die sie unabhängig voneinander erarbeitet haben und nun vorstellen. Auch Lehrer*innen-Schüler*innen-Gespräche finden dabei im Nachgang statt – dank einer leistungsstarken Box funktioniert die Konversation tatsächlich recht gut.
Hier einige ausgewählte Beispiele kooperativer und kollaborativer Aktivitäten und Tools, die Schüler*innen sowohl im Präsenz-, als auch im Distanz- und Hybridunterricht zur Zusammenarbeit nutzen können:
Das „Social Media Learning Environment“ Tool Seesaw
Seesaw, eine als App oder über den Browser verfügbare Anwendung, lässt sich als eine Art Social-Media-Classroom zum Sammeln, Teilen, Bewerten und Kommentieren medialer Produkte nutzen. In einer Art Time Line, dem Class Journal, können Schüler*innen unterschiedliche Medien (Text, Bild, Audio, Video, Whiteboard…) gestalten, selbst produzierte sowie offen lizensierte Medien hochladen oder urheberrechtlich geschützte verlinken, und diese in Posts mit ihren Klassenkamerad*innen teilen. So kann die ganze Klassengemeinschaft die Arbeiten/Ideen/Ergebnisse usw. der anderen sehen, hören oder lesen und schließlich in den unter den jeweiligen Posts angelegten Kommentarspalten miteinander über die geteilten Medien und deren Inhalte in den Austausch treten. Dabei kann informelle Kommunikation ebenso stattfinden wie kriterienorientiertes Peer-Feedback, wobei die Schüler*innen nicht nur im Zusammenhang mit den fachlich verfolgten Inhalten lernen, sondern sich auch in der Anwendung wichtiger sozialer und kommunikativer Kompetenzen üben, die im vernetzten Miteinander Sozialer Medien innerhalb wie außerhalb der Schule zentral sind. Aktivitäten in diesem Environment gehen zudem über den Bereich der bloßen Mediennutzung hinaus: Bei der Produktion von Medien in oder außerhalb von Seesaw, welche die Schüler*innen als Posts mit ihren Klassenkamerad*innen teilen, schulen sie zudem Kompetenzen im Bereich Mediengestaltung. Wenn sie mögen, können sie sogar über den Rahmen der Klassengemeinschaft hinausgehen und Medien bzw. Inhalte mit anderen teilen, denn eine Class-Blog-Funktion erlaubt auch das Veröffentlichen einzelner Posts: Mit oder ohne den Schutz durch ein Passwort können sich die Schüler*innen also einem dementsprechend eingeschränkten oder sogar einem globalen Publikum öffnen.

Die Möglichkeiten, Seesaw im Unterricht innerhalb eines Fachs oder auch fächerübergreifend einzusetzen, sind so vielfältig wie die Funktionen, die es bietet.
Ein Beispiel aus meinem Englischunterricht „vor Corona“:
Eine neunte Klasse recherchierte online unterschiedliche Möglichkeiten, ein Gap Year zu gestalten mit dem Ziel, den anderen Schüler*innen das von ihnen gewählte Programm in einem informativen Video, das sie in Seesaw posteten, vorzustellen (zum Auftrag siehe Bild 1), in allen Phasen kooperativ und kollaborativ in Partnerarbeit. Dafür bereiteten sie zunächst die Informationen zu dem von ihnen gewählten Programm in einer geteilten Keynote-Präsentation mit visuellen Elementen auf, um es anschließend als ca. zwei- bis dreiminütiges Video (Bild 2) zu exportieren und schließlich mit den anderen zu teilen. So konnten alle Schüler*innen die Videos der anderen ansehen bzw. rezipieren, um daraufhin miteinander über deren Inhalte in Interaktion zu treten (natürlich in der Fremdsprache).

Ein Beispiel aus meinem Englischunterricht „während Corona“:
Während der Phase des Remote Learning diente Seesaw der Klasse als Raum für den Austausch von Arbeitsergebnissen und -produkten, die sich inhaltlich nicht zuletzt aufgrund ihres Unterhaltungswerts dafür anboten, von anderen gesehen zu werden. So verfassten die Schüler*innen bspw. Chat-Stories mit der App Texting Story und teilten diese zur Lektüre, zum Kommentieren und für Peer-Feedback mit den anderen (Bild 3).
In einer achten Klasse wurden im Rahmen der Neudurchnahme von possessive pronouns Poster erstellt, auf denen die Schüler*innen Fotos von Gegenständen in ihrem Haushalt mit entsprechendem Kommentar, wem diese gehörten, versahen, um so nicht nur die Grammatik produktiv und kreativ anzuwenden, sondern auch Einblicke in ihr Zuhause zu geben und mit den anderen darüber in Interaktion zu treten.

Der Book Creator als vielseitiges Tool zur Umsetzung von kollaborativen Aktivitäten im Distanz- und Hybridunterricht
Zusammen ein Kochbuch gestalten mit dem Book Creator
Aus einem spontanen Zusammenhang heraus (ein Listening Track im Englischbuch, in dem eine Familie in einem Restaurant speist, brachte uns darauf) schuf die eben genannte achte Klasse ein International Cookbook mit dem Book Creator, dessen Kollaborationsfunktionen während der Schulschließungen kostenlos verfügbar waren. Alleine oder zu zweit wählten die Schüler*innen ein Rezept aus und planten dann in einem Conceptboard den Inhalt des Buches (Bild 4). Nach einem kurzen Tutorial in einem Webinar, in dem ich ihnen die Funktionen vorstellte, gestalteten sie gänzlich selbstbestimmt und -gesteuert ihre Seite(n) in dem geteilten Buch: mit Text, Icons und Zeichnungen sowie selbst aufgenommene Fotos und Videos, die veranschaulichten, wie die Gerichte zubereitet werden bzw. aussehen (Bild 5).
Nutzung von Web-Whiteboards und Etherpads zur Zusammenarbeit im Distanz- und Hybridunterricht
Web-Whiteboards wie Flinga oder das Conceptboard sowie Etherpads wie das ZUM-Pad oder das Cryptpad (mein Favorit) eignen sich wunderbar, wenn Schüler*innen gemeinsam an einer Sache arbeiten möchten, ob im Präsenz-, Distanz- oder im Hybridunterricht. Da diese in der Schule momentan noch mit einem Abstand in einer unkommunikativen frontalen Sitzordnung lernen, sind solche Shared Work Spaces, auf die ich zum Abschluss noch kurz – im konkreten Unterrichtszusammenhang meiner Deutschklasse der Oberstufe – eingehen möchte, auch hier unabkömmlich.


Arbeitszeilige Echtzeit-Kooperation (hier: Textarbeit) während einer Videokonferenz-Stunde im Distanzunterricht
Während einer Videokonferenz-Deutschstunde untersuchten und annotierten die Schüler*innen meiner elften Klasse bspw. in einer arbeitsteiligen Gruppenarbeit einen Ausschnitt aus Eichendorffs „Taugenichts“ in einem ihnen jeweils zugewiesenen Conceptboard (Bild 6). Die Ergebnisse wurden dann – wieder zurück im Jitsi-Klassenraum – von den Gruppen präsentiert und besprochen.

Kooperation und Kollaboration im Etherpad während des Hybridunterrichts
Mittlerweile, im Hybridunterricht kurz vor Schuljahresende, sind wir bei Woyzeck angekommen, und während ich hier schreibe, schreiben die Schüler*innen, die in dieser Woche zuhause lernen, in einem gemeinsamen Cryptpad unter anderem innere Monologe aus Sicht der Figur Woyzeck und seiner später von ihm getöteten Partnerin Marie. Zudem tauschen sie sich darüber aus, wie sie das Beziehungsdrama jeweils bewerten (Bild 7). Da ausgerechnet gerade unser WLAN ausgefallen ist, arbeiten die Schulgruppe und die Gruppe zuhause an unterschiedlichen Inhalten der Lektüre, sonst wäre diese Aktivität in Vernetzung beider Gruppen geschehen.
Es gibt viele Methoden und Tools, um Kooperation und Kollaboration in den unterschiedlichen Unterrichtsszenarien zu verwirklichen; da ich die Ziellinie in diesem Booksprint allerdings als Letzte erreiche, da ich weit nach dem Startschuss losgesprintet bin, endet mein Beitrag an dieser Stelle, in der Hoffnung, die Leser*innen nehmen daraus ein paar wertvolle Anregung für ihre Unterrichtspraxis mit.


Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Hybridunterricht 101” – ein Gemeinschaftswerk von 33 Autor:innen, das zeigt, wie Hybridunterricht in modernen Unterrichtskonzepten umgesetzt werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Digitalisierung sondern auch um soziale Aspekte, die für hybrides Lernen wichtig sind.
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