Jan Vedder – Juni 2020
Alle Schulen stehen vor den gleichen Herausforderungen: Wie kann Unterrichtsentwicklung im eigenen Kollegium vorangebracht werden? Wie gelangen Impulse und Innovation in den Unterrichtsalltag? Wie können Erfahrungen aus dem Hybridunterricht mit anderen Kolleg*innen geteilt werden? Wie werden Ressourcen und Expertisen des eigenen Lehrerkollegiums gewinnbringend genutzt, damit möglichst viele Lehrer*innen und letztlich auch unsere Schüler*innen davon profitieren?
Ein Teil der Lösung können sog. Mikrofortbildungen sein. Diese regelmäßig stattfindenden Kurzfortbildungen an der eigenen Schule können der Startpunkt für eine gemeinsame Unterrichtsentwicklung und eine neue Schulkultur sein. Die Idee hinter den Mikrofortbildungen beruht auf dem Prinzip „Each one teach one“ (deutsch: „Jeder bringt jedem etwas bei“).

In diesem Zusammenhang bedeutet das, dass Lehrer*innen ihre Expertise mit Kolleginnen und Kollegen teilen und sich so gegenseitig (fort-)bilden. Dies geschieht ohne zeitlichen oder finanziellen Aufwand und vor allem direkt vor Ort an der Schule. Diese Methode der internen Fortbildung wird an meiner Schule vor allem für das Lehren und Lernen mit dem Tablet genutzt, da unsere Schüler*innen ab Klasse 5 ein eigenes Tablet für den Unterricht nutzen. Hier liegt folglich der größte Fortbildungsbedarf.
Im Fokus der Mikrofortbildungen steht – auch wenn es z.B. um ein bestimmtes Tool geht – weniger das Produkt, sondern die Erfahrung, die Kolleg*innen mit der Anwendung im Unterricht gemacht haben und welche Tipps und Tricks sie aus der konkreten Praxis weitergeben können.
Natürlich geht es aber auch um ein Kennenlernen der Funktionen verschiedenster Apps oder Webanwendungen. Bei der Zusammenstellung des Fortbildungskanons sollte auf eine gesunde Mischung der verschiedenen Themen geachtet werden, denn grundsätzlich lässt es das Format bzw. das Prinzip der Mikrofobis zu, verschiedene Entwicklungsschwerpunkte einer Schule abzubilden und vor allem einen regelmäßigen Austausch über Schule und Unterricht sicherzustellen.
Prinzipien von Mikrofortbildungen
Bei der Planung und Umsetzung von Mikrofortbildungen gelten bestimmte Prinzipien, die dieses Format z.B. von schulinternen Fortbildungen unterscheiden.
Aus dem Team für das Team: Die Expertise kommt aus der Mitte des eigenen Kollegiums. Die Umsetzung mit der Praxis findet genau da statt, wo sie später mit den Lernenden umgesetzt wird: im Klassenraum der eigenen Schule. Es werden also die tatsächlichen Bedingungen der Schule abgebildet.
Guide on the Side: Die Teilgeber (Anbieter der Mikrofortbildungen) bleiben auch im Nachgang ansprechbar und können die Kolleg*innen begleiten. Es wird ein dauerhafter Austausch möglich und einzelne Kolleg*innen können bei ihren ersten Schritten in die digitale Welt an die Hand genommen werden.
WeQ statt IQ: Es ist immer wieder erstaunlich, welche großartigen Ressourcen und Expertisen in einem Kollegium schlummern. Gleichzeitig ist es nicht zu erklären, warum diese Talente so oft ungenutzt bleiben. Der gemeinsame Wissens- und Erfahrungsstand des Kollektivs ist logischerweise dem Einzelnen deutlich überlegen. Diesen Stand gilt es abzurufen und zu ermitteln. Die Vielfalt der Mikrofortbildungen profitiert enorm davon.
Kurz & knackig: Mikrofortbildungen finden in einem überschaubaren Zeitrahmen von ca. 30–60 Minuten statt. Die Inhalte sind dabei niedrigschwellig, denn schließlich sollen sie möglichst zeitnah im eigenen Unterricht ausprobiert werden.
Geringer Aufwand: Es gibt keine bzw. nur eine geringe Ausfallzeiten der Lehrkräfte, da eine längere Anreise entfällt. Zur Anmeldung dienen entweder Aushänge im Lehrerzimmer oder es werden digitale Anmeldemöglichkeiten (bei uns über ein Padlet) geschaffen.
Vielfältige Angebote: Durch die Regelmäßigkeit der Angebote (z.B. wöchentlich oder alle zwei Wochen) kann ein breites Spektrum verschiedener Themen und Kompetenzen angeboten werden. Insgesamt empfiehlt sich eine gute Mischung: mal fächerübergreifende, ein anderes mal Themen für einzelne Fachgruppen. So ist für jeden etwas dabei.
Umsetzung und Praxis

Format: Mikrofortbildungen lassen sich in unterschiedlichen Formaten realisieren, z. B. als „digitale Mittagspause“, als „Fobi-Snack” am Mittag wie bei Tobi Raue (KO08), als „Wissen vor 8“ vor Unterrichtsbeginn oder auch als „Kurskiosk“ mit Fortbildungen auf Bestellung nach dem Vorbild von Sonja Hennig (KO09).
Zeitrahmen: Üblicherweise liegt die Länge der Kurzfortbildungen zwischen 30 und 60 Minuten. An unserer Schule haben wir uns für eine Unterrichtsstunde (45 Minuten) entschieden. Der zeitliche Rahmen lässt sich aber flexibel an die jeweiligen Inhalte anpassen. Hier sollten ggf. schulische Besonderheiten beachtet werden.
Ablauf: Es sind ganz verschiedene Abläufe möglich. Unser gängiges Modell ist beispielsweise: Ein kurzer Input zu Beginn, gefolgt von einer direkten Praxisübung, anschließend das Sammeln von Beispielen aus dem und für den Unterricht und abschließend das Bereitstellen von z.B. Handouts mit Links zu Tutorials und weiterführenden Informationen.
Expertinnen und Experten: Wer kann was? Wer hat schon etwas im Unterricht ausprobiert? Wer hat bei einer externen Fortbildung eine neue Anwendung kennengelernt? Mit diesen Fragen lassen sich mehr Kolleg*innen als Anbieter von Mikrofortbildungen identifizieren als vielleicht zunächst gedacht. Natürlich können die Mikrofobis auch im Team angeboten werden. Wir haben darüber hinaus auch schon Schülerinnen und Schüler zur Unterstützung eingebunden, um ihre Expertise an uns Lehrkräfte weiterzugeben. Dies habe ich als eine besondere Bereicherung für das Lernklima und als eine tolle Erfahrung für die Kinder und Jugendlichen wahrgenommen.
Vorbereitung und Planung: In die konkrete Planung der Inhalte und Termine startet man meist nach der Festlegung der oben genannten Rahmenbedingungen mit der Schulleitung. Hier gilt es zunächst zu schauen, an welchen Themen Interesse besteht, z. B. über Aushänge, Online-Listen oder Abstimmungen in Dienstbesprechungen. Wir hatten je Termin eine Beteiligung von 5-16 Personen in den letzten zwei Jahren.
Themen und Inhalte: Bestenfalls wird ein möglichst breites Spektrum an Themen angeboten (s.o.), um unterschiedliche Kolleginnen und Kollegen anzusprechen. Ich plane die Inhalte immer für ein halbes Jahr im Voraus. Inhaltlich sind im Grunde keine Grenzen gesetzt. Hier eine kleine Auflistung von möglichen Inhalten mit dem Schwerpunkt ‚Mobiles Lernen mit dem Tablet‘:
- Kommunikation und Kooperation mit Tablets
- Digitale Medien im Sportunterricht
- Das Matheboard und Bettermarks
- Mein Leben ohne Tafel und Kreide
- Die digitale Lehrertasche
- Brainstormings und Mindmaps
- E-Books erstellen mit Book Creator
- Kreativ Arbeiten mit Adobe Spark
- Erklärfilme und QR-Codes im Unterricht
- Das Twitterlehrerzimmer
- Lernstände ermitteln mit Socrative und Plickers
- Die digitale Pinnwand
- Das ganze Leben ist ein Quiz
- Trailer mit iMovie
- Kollaboratives Schreiben mit Etherpads
- Textarbeit mit LiquidText
- Dateiverwaltung mit IServ
- Podcasts und Hörspiele
- …
Ausblick
Flexibel, ohne großen Aufwand und auf die individuellen Bedingungen der jeweiligen Schule zugeschnitten, sehe ich in Mikrofortbildungen einen wichtigen Baustein eines tragfähigen und zeitgemäßen Fortbildungskonzeptes. Um das eigene Kollegium z.B. bei der Gestaltung einer digitalen Lernumgebung zu fördern und zu begleiten, ist ein regelmäßiges Fortbildungsformat unabdingbar. Dafür reicht auch kein einzelner Tag mit externen Referenten. Es braucht regelmäßige und niedrigschwellige Angebote und die Möglichkeit zur Rückfrage in der eigenen Komfortzone. Die gewohnte Atmosphäre der eigenen Schulumgebung bietet einen geschützten Raum und erlaubt es, sich Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Nach dem Motto: “The Secret of getting ahead is getting started” (Mark Twain). Wohlwissend, dass bei den kurzen Veranstaltungen natürlich nicht ganze Theorien erklärt oder Konzepte erläutert werden können. Es geht hier viel mehr um erste Schritte, denn: Machen ist wie wollen, nur krasser (KO10).

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Hybridunterricht 101” – ein Gemeinschaftswerk von 33 Autor:innen, das zeigt, wie Hybridunterricht in modernen Unterrichtskonzepten umgesetzt werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Digitalisierung sondern auch um soziale Aspekte, die für hybrides Lernen wichtig sind.
Zum nächsten Kapitel…