Anna Reuter – Juni 2020
Was bedeutet Agil? – Einordnung des Begriffs
Der Begriff Agilität ist heute in aller Munde, kaum ein aktueller fachlicher Diskurs kommt ohne ihn aus. Im Folgenden möchte ich kurz darlegen, woher der Begriff stammt und wie er als Merkmal in modernen Organisationen ausgestaltet wird. Damit einher gehen Überlegungen zu tragfähigen Grundhaltungen in der Ausgestaltung agiler Prozesse. Im Schwerpunkt nimmt dieser Artikel aber die Umsetzung agiler Prinzipien in Schule und Unterricht in Zeiten hybrid organisierter Lernprozesse in den Blick.
Hintergrund
Als sich im Februar 2001 in den Wasatch Mountains in Utah 17 Softwareentwickler an das „Agile Manifest“ (Beck et al., 2001) machten, haben sie sicher nicht geahnt, dass sie einen Begriff in die Wiege legten, der „Wirtschaft“ heute maßgeblich mitprägt. Unternehmensführungen, die heute „agil“ denken und handeln, sind besser in der Lage, den Unwägbarkeiten der VUCA World zu begegnen: Standardisierung und Produktivität waren bis dato oberstes Gebot. Wenn sich heute aber Kundenbedürfnisse und damit Märkte immer schneller verändern, kann es passieren, dass das Angebot nicht mehr zur Nachfrage der Kunden passt. So ist nun auch Anpassungsfähigkeit in komplexen Anforderungssituationen geboten. Agile Unternehmensführung aber erlaubt flexiblen Umgang mit Unerwartetem, schnelles Neuausrichten der Prozesse und Lösungsstrategien, schnelle Produktentwicklung, höhere Kundenorientierung und schlussendlich höhere Kundenzufriedenheit. Wie genau wird das gewährleistet?
Agiles Manifest
„Individuals and interactions over processes and tools, Working software over comprehensive documentation, Customer collaboration over contract negotiation, Responding to change over following a plan“ (Beck et al., 2001)
Dem Agilen Manifest nach sind Individuen und Interaktionen vor Prozesse und Instrumente zu stellen; die Funktionsfähigkeit stärker zu gewichten als die Dokumentation. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wesentlicher als die Vertragsverhandlung mit ihm; das Reagieren auf Veränderung wichtiger als das Befolgen eines Plans. Wie kann das im konkreten Alltag in Organisationen umgesetzt werden?
Gelingensbedingungen im agilen Unternehmen
Der Produktentwicklungsprozess wird um das Entwicklungsteam herum organisiert. Das bedeutet, dass viel Energie dafür aufgewendet wird, dem Team gute Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Hier dreht sich gewissermaßen die Hierarchie-Pyramide auf den Kopf: Die Entwicklungs- bzw. Kommunikationsprozesse im Team sind die Keimzelle der Qualitätsentwicklung, nicht die Führungsetage.
Das Entwicklungsteam setzt sich aus Experten möglichst verschiedener Kompetenzbereiche zusammen. Das gewährleistet Multiperspektivität und effiziente Optimierung.
Der Arbeitsprozess ist geprägt von fest verankerten Phasen des kommunikativen Austauschs. Dieser umfasst explizit auch die Interaktion mit dem Kunden. Die Kommunikation wird durch klare Zeitstrukturen und Ereignisse gewährleistet, zu denen die Beteiligten zusammenkommen.
Regelmäßig wiederkehrende (Selbst-)Reflexionen und Bewertungen in kurzen Zeitabschnitten sorgen für flexible und zielorientierte Neuausrichtung.
Sicher die wesentlichste Grundlage ist aber die kollegiale Haltung, mit der das Unternehmen geführt und organisiert wird: Vertrauen in die Kompetenzen, die in kooperativen und selbstgesteuerten Prozessen freigelegt und (weiter-)entwickelt werden ist dabei ein wesentlicher Motor.
Tragfähige Haltung in agilen Prozessen
Eine Anmerkung vorab: Um der Haltungsfrage nicht den Anstrich einer oftmals beobachtbaren romantisch-moralischen Verklärung zu geben, möchte ich in diesem Abschnitt kurz das theoretische Fundament darlegen. Dies geschieht mit dem Ziel, Interaktionsprozesse als Rahmung respektive Bühne einer professionellen Haltung einer ernsthaften Auseinandersetzung anzuempfehlen.
Die oben beschriebenen Gelingensbedingungen sind stimmig in Abgleich zu bringen mit der Systemtheorie. Diese nimmt soziale Systeme wie Unternehmen, Schulen, Familien etc. in den Blick und beschreibt diese als „aus Kommunikationen bestehend“ (Luhmann, 1984). Dabei bedienen sich diese Systeme selbstreferentieller Techniken wie Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung etc., die sie in die Lage versetzen sich selbst zu verorten. (Luhmann, 1997)
Was bedeutet das konkret für Interaktionsprozesse? Hier bietet die Denkweise in der systemischen Beratung Antworten: Diese geht davon aus, dass der Ratsuchende die gesuchte Lösung bereits in sich trage und die im besten Sinne verstandene Verantwortung für seine Fortentwicklung selbst trage. (König & Volmer, 2008) In enger Relation dazu stehen die Zielvorstellungen und Menschenbildannahmen des Forschungsprogramms Subjektive Theorien. (Groeben, Wahl, Schlee, & Scheele, 1988) Demnach werden Menschen als handelnde Subjekte begriffen, die sich an Sinn und Bedeutung orientieren und vor dem Hintergrund ihrer subjektiven Selbst- und Weltinterpretation handeln. Handlungen basieren also auf theoretischen Überlegungen. Und diese Theorien leisten Beschreibung, Erklärung und auch Möglichkeiten zur Einflussnahme und Veränderung der Welt. Diese Erkenntnis kann nur mit einem Menschenbild in Einklang gebracht werden, „dem die Fähigkeit zur Kommunikation, zur Rationalität, zur Reflexivität und zur Autonomie zugestanden wird.“ (Schlee, 2008, S. 33)
Nun kommen wir zu des Pudels Kern: Anerkennen wir als „Führungskraft“ im Unternehmen, in Schule, im Studienseminar die Selbst-Reflexivität und damit Entwicklungsfähigkeit unseres Gegenübers, wären wir mit Dummheit geschlagen, dieses Potential nicht zu nutzen! Diese zunächst rein ökonomisch-effizient anmutende Perspektive findet vor allem auch Bestätigung, schaut man aus der Perspektive des Gegenübers: Erfahre ich mich als kompetent, selbstbestimmt und sozial eingebunden, erfülle ich damit ein Grundbedürfnis. Deci und Ryan gehen davon aus, dass ein „Mensch die angeborene motivationale Tendenz hat, sich mit anderen Personen in einem sozialen Milieu verbunden zu fühlen, in diesem Milieu effektiv zu wirken (zu funktionieren) und sich dabei persönlich autonom und initiativ zu erfahren.“ (Deci & Ryan, 1993) Trauen wir also unseren Mitarbeitern, unseren Lehramtsanwärterinnen, unseren Schülerinnen und Schülern kompetentes Handeln zu, werden wir höchstwahrscheinlich das Glück erfahren, mit motivierten Personen zusammenarbeiten zu dürfen! (S. Exkurs am Ende des Artikels)
Ich empfehle, diesen Gedanken als handlungs- und planungsleitend in die nun folgende konkrete Darstellung agiler Vorgehensmodelle mitzunehmen.
Agile Rahmenstrukturen
Im Folgenden möchte ich zwei (mit dem sehr knappen Blick auf Kanban eigentlich drei) exemplarische agile „Frameworks“, Rahmenstrukturen darstellen. Alle drei sind in lernwirksamer Weise auch in das System Schule übertragbar. Da es für den Transfer in den schulischen Kontext nicht durchgängig erforderlich ist, vorab die „realen“ Unternehmensprozesse zu verstehen, stelle ich die Instrumente und Verfahren so knapp wie möglich dar, damit der Fokus auf der Übertragbarkeit in den schulischen Zusammenhang liegt. Da hingegen, wo es sinnvoll scheint, den ursprünglichen Kontext zu kennen, ordne ich diesen entsprechend ein. Starten wir mit Scrum:
SCRUM
… ist ein Rahmenwerk, das ein Modell für die Ausgestaltung von Entwicklungsprozessen liefert. Es beschreibt, wie „Menschen komplexe adaptive Aufgabenstellungen angehen können […] [und] sie in die Lage versetzt werden, produktiv und kreativ Produkte mit höchstmöglichem Wert auszuliefern.“ (Sutherland & Schwaber, 2020)

Der empfohlene Prozess wird von verschiedenen „Events“ bzw. „Ereignissen“ begleitet und definiert die beteiligten Rollen genauer. Der Prozess ist iterativ (sich wiederholend) und inkrementell (schrittweise aufeinander aufbauend) zugleich:
Die erste Phase des Prozesses nimmt die Produktvision in den Blick: Der Product Owner [PO] repräsentiert den Kunden: Er definiert die Ziele für das Produkt, beschreibt die Anforderungen und priorisiert diese. Die Entscheidungen stellt er in einem Product Backlog zusammen, einer Übersicht aller Anforderungen des Projekts. Dabei können diese zunächst einmal, bis auf die ersten, die zu bearbeiten sind, noch relativ allgemein formuliert sein. Der Scrum Master [SM] ist für die Gewährleistung der Scrum-Prinzipien und Werte zuständig, er unterstützt und begleitet das Entwicklerteam so, dass es ungestört arbeiten kann. Im Rahmen des Sprint Planning zu Beginn erstellen der PO, der SM und das Entwicklungsteam das Sprint Backlog, also die Herausforderungen, die in einer ersten Arbeitsphase von ca. 2 Wochen [Sprint] erarbeitet werden sollen. Dann geht es los: Das Entwicklungsteam setzt die ersten Anforderungen um.
Im Prozess gewährleistet ein Scrumboard, dass das Team vor Augen hat, was genau zu tun ist. Hier sind die einzelnen Items/Tasks z. B. auf Klebezetteln notiert. Der Methode Kanban entlehnt, werden sie tabellenartig in Spalten den Kategorien To do (Was ist zu tun?), Doing (Woran arbeiten wir gerade?) und Done (Was haben wir abgeschlossen?) untergeordnet. In regelmäßigen Stand ups (oder Daily Scrum genannt) kommen die Teams zusammen und besprechen den weiteren Verlauf.
Entsprechend der Sprint-Planung entwickelt das Entwicklungsteam schlussendlich ein Produkt-Inkrement. Im abschließenden Sprint-Review wird dann entsprechend einer vereinbarten Definition von „Fertig“ [definition of done] überprüft, welche Anforderungen fertiggestellt wurden und welche nicht. Nach einer Retrospektive, in der über die Zusammenarbeit reflektiert wird, beginnt der Prozess von vorne. Das Product-Backlog wird regelmäßig aktualisiert (Prioritäten, Inhalt). (Oestereich & Schröder, 2019)
SCRUM in der Schule
Die oben beschriebenen Rollen des typischen Scrum-Frameworks lassen sich sehr gut in Lernprozesse integrieren. In tendenziell offenen, projektorientierten Lernvorhaben ist auch der Prozess ein hilfreicher Leitfaden, der intensive Kommunikation, ein hohes Maß an Verantwortungsübernahme und Partizipation erlaubt.
- Dem Bildungsplan respektive der didaktischen Jahresplanung folgend macht es Sinn, dass die Lehrerin die Verantwortung für die verschiedenen Anforderungen des Product Backlogs übernimmt. Damit ist sie am ehesten in der Rolle des Product Owners zuhause.
- Didaktische Perspektiven und Empfehlungen:
- Machen Sie sich vorab ein Bild Ihres eigenen Lernprozesses: Was brauchten Sie für Ihren Lernprozess, um Scrum zu verstehen? Wie wichtig war Veranschaulichung? Worauf mussten Sie zunächst einmal reduzieren, um den Kern dessen zu identifizieren, was aus Ihrer Sicht im Unterricht relevant sein könnte? Das erlaubt Ihnen in der Folge, diese lernrelevanten Aspekte auch für Ihre Schüler*innen anzubieten.
- Was muss Meta-Unterricht gewährleisten, der die Schüler*innen über Scrum vorab informiert, sie motiviert und ermutigt und mögliche Stolpersteine gemeinsam aus dem Weg räumen ließe?
- Welche Ziele und Kompetenzen möchten Sie in erster Linie fördern? Welche sollten ebenfalls adressiert werden, dürfen aber in den Hintergrund treten?
- Wenn der Prozess im Sinne der Förderung von Selbstorganisation so offen wie möglich, die Vorgaben so gering wie nötig sein sollen:
Wie müssten Sie die Aufgabenstellung fokussieren? Wie komplex darf diese sein?
- Gewährleisten Sie Progression: Langfristig sollten die Schüler*innen immer mehr in der Lage sein, auch die Frage nach dem Was lernen wir? neben dem Wie erreichen wir das Ziel? für sich beantworten. Geben Sie immer mehr Verantwortung ab.
- Der nächste Schritt besteht darin, Entwicklungsteams zu bilden. Diese bestehen aus 4 bis 5 Schülerinnen und Schülern.
- Didaktische Perspektiven und Empfehlungen:
- Hier ist empfehlenswert, Gelingensbedingungen für zielführende, zufriedenstellende Kooperation gemeinsam mit den Schüler*innen im Meta-Unterricht zu klären:
- Wäre es nicht sinnvoll, die vielen verschiedenen Kompetenzen, die in der Lerngruppe versammelt sind, möglichst gewinnbringend zu nutzen, also auf die zu bildenden Gruppen zu verteilen? Wer könnte sich mit ihrer/seiner hohen Sozialkompetenz gut als „Gruppenkopf“ eignen? Könnten diese sich dann ihr Team nacheinander zusammenstellen?
- Die Gruppen wählen einen Scrum Master. Oftmals ist dies der Gruppenkopf, der vorher mit der Gruppenbildung schon eine wichtige Aufgabe übernommen hatte. Der Scrum Master übernimmt allerdings weniger die Rolle des „Chefs“, er ist vielmehr „Facilitator“ oder „Servant Leader“ (also eher in der Rolle eines unterstützenden Moderators) und derjenige, der das scrumgerechte Verfahren im Blick hält. Er kümmert sich beispielsweise um die Pflege des Scrumboards (s. u.). Es sprechen darüber hinaus lernrelevante Gründe für die explizite Wahl durch die Schüler*innen:
- Didaktische Perspektiven:
- Sie adressieren ein weiteres Mal die Anforderung an (immer umfassendere) Selbstorganisation.
- Die Schüler erleben sich selbstbestimmt und eingebunden in ihr Team (s. o.)
- Nun folgt der Sprint. Abhängig von der Komplexität der zu entwickelnden Lernprodukte und den für eine professionelle Umsetzung des Lernprodukts zu erschließenden Inhalten kann dieser eine Woche bis zu zwei Monate dauern. Zu Beginn jeder Unterrichtseinheit kommen die Teams am Scrumboard zusammen und planen in einem maximal 15-minütigen Daily Scrum bzw. Stand up den nächsten Schritt. Hilfreich sind Leitfragen, die jede Schülerin, jeder Schüler beantwortet: Was habe ich bis heute erledigt? Was werde ich heute tun? Welche Schwierigkeiten erwarte ich? Hier ist natürlich denkbar, dass der Product Owner (Lehrer:in) hinzugezogen wird oder auch Bedarfe, die durch Mitglieder anderer Teams gedeckt werden könnten, angesprochen werden können. Teamübergreifendes Arbeiten ist ausdrücklich gewünscht.
- Didaktische Perspektiven:
- Vertrauen Sie. Schauen Sie nicht ständig über die Schultern, ob die Schüler*innen noch „auf Spur“ sind. Vertrauen Sie darauf, dass sie zu Ihnen kommen, wenn sie sich abstimmen möchten oder Fragen haben. Bieten Sie dazu regelmäßig Meetings mit den Scrummastern der Gruppen an, in denen Erfolge, aber auch Schwierigkeiten in den Teams besprochen werden können. Hier sind Sie der Coach für die Scrum Master.
- Führen Sie zu Beginn zusammen mit den Schüler*innen das Timeboxing, die Zeitplanung durch.
Diese kann in das Scrumboard einfließen, muss es je nach Komplexität aber nicht. Die Verantwortung für die Scrumboards haben die jeweiligen Teams, sie entscheiden entsprechend auch, was dokumentiert wird und was nicht. - Die Frage des Was soll gelernt werden? Haben Sie geklärt (s.o.), die Frage des Wie kommen wir zum Ziel? können Sie in dieser Phase als Expertin für das Lernen unterstützen.
- Übernehmen Sie zu Beginn bzw. in ungeübten Lerngruppen selbst die Aufgabe der Zeitwächterin. Nach und nach kann diese Aufgabe das Team selbst gewährleisten. Halten Sie sich an die Zeitvorgabe der 15 Minuten; diese gewährleistet klare Struktur und vor allem Fokus und Konzentration auf das Anstehende. Sind inhaltliche Fragen zu klären oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, können diese als sogenannte Tasks mit auf das Scrumboard genommen werden. Hier empfehle ich mit verschiedenen Klebezettel-Farben zu arbeiten.
- Lernen gelingt in einer angemessenen Waage zwischen instruktiven und konstruktiven Phasen. Angesichts dessen sollten Sie als Lehrer
- den Prozess beobachten. Nehmen Sie sich vor, bei zwei, drei Schüler*innen genauer zu beobachten, wie diese ihren Lernprozess gestalten. Sprechen Sie das ruhig mit ihnen ab, denn es dient ja der Förderung. Nutzen Sie so oft es geht und nach Absprache mit den Schüler*innen Phasen des selbstgesteuerten Arbeiten für Einzelgespräche/formatives Feedback, um Fragen der Schüler gemeinsam zu klären.
- sinnvollerweise didaktisierte Inhalte (z. B. sprachsensibel aufbereitete Texte) so zur Verfügung stellen, dass die Schüler*innen selbstgesteuert darauf zugreifen können. Bestenfalls stellen Sie diese über ein LMS (Lernmanagementsystem) zur Verfügung. Hier gibt es, sollten Sie in Ihrer Schule keines zur Verfügung haben, mittlerweile gute, kostenlose Angebote. Dieses Arbeitsmaterial stellt in ungeübten Lerngruppen das Instruktionsformat dar. In erfahreneren Lerngruppen ist selbstverständlich das aktive, selbstständige Recherchieren ebenfalls möglich. Auch hier gilt: Öffnen Sie sukzessive die Möglichkeiten so früh und so weit wie möglich, um immer mehr Selbststeuerung erfahrbar zu machen.
- mit den Schüler*innen gemeinsam Übungs-, Verarbeitungsphasen einplanen, in denen auch fachliche Fragen geklärt werden können.
- Veranschaulichung im Sinne der Mehrfachcodierung ist eine wesentliche Gelingensbedingung in Lernprozessen. So sollte auch die Lernumgebung entsprechend genutzt werden, um sinnvolle Artefakte zur Veranschaulichung des Prozesses und des Lernerfolgs zur Verfügung zu stellen. Bewährt hat sich hier der Rückgriff auf ein Instrument, das ebenfalls in Organisationen erfolgreich verwendet wird:
das Kanban Board (als eine Form der Umsetzung eines Scrumboards. Die Fachliteratur unterscheidet hier). Das klassische Kanban-Board ist tabellarisch strukturiert und nutzt die drei Kategorien
- To do
- Work in progress
- Done
Damit ein fokussierter und nicht überfordernder Prozess gelingt, ist es in Organisationen üblich sogenannte WIP-Limits zu setzen: Work in progress (WIP) kann nur stetig optimiert werden, wenn nicht zu viele Aufgaben parallel bearbeitet werden. Dem folgt man dadurch, dass die Anzahl der Aufgaben, die dem WIP zugeordnet werden, begrenzt ist. Auch dieses Verfahren hat sich in Schule bewährt.

- Didaktische Perspektiven:
- Gewährleisten Sie, dass die täglichen Stand ups/Daily Scrum-Sessions an/mit den Kanbanboards stattfinden und somit nicht aus dem Blick geraten. So erst werden diese als sinnvolles Arbeitsinstrument erfahren und zunehmend selbstverständlich genutzt.
- Vorentlasten Sie die Arbeit an/mit einem Kanban-Board, indem Sie ein Alltagsbeispiel wie die Planung eines Ausflugs heranziehen und das Board zur Planung gemeinsam mit den Schüler*innen durchspielen.
- Legen Sie die WIP-Limits mit Ihren Schüler*innen gemeinsam fest. So ist gewährleistet, dass das Team die bevorstehende Arbeit auch mit Blick auf den vermutlichen zeitlichen und inhaltlichen Aufwand eingeschätzt hat. Sie können dabei aus der Perspektive eines Servant Leaders (der auch einmal voran geht) wichtige Impulse aus Ihrer Erfahrung einfließen lassen.
- Prüfen Sie – bestenfalls wieder an einem Beispiel gemeinsam mit der Lerngruppe – den Komplexitätsgrad der Aufgaben. Konkret am Beispiel Ausflug festgemacht bedeutet dies z. B.: Die Aufgabe Einkaufen ist zu komplex, sie muss weiter heruntergebrochen werden, damit das Team ein einheitliches Bild davon hat, was genau Einkaufen umfasst. Wenn ein Teammitglied davon ausgeht, es ginge nur um die Getränke, das nächste Teammitglied aber davon ausgeht, dass damit alle noch zu besorgenden Gegenstände gemeint sind, kann das Team nicht zielführend arbeiten. Mit immer mehr Erfahrung wird dieser Aspekt dazu führen, dass die Teams vor dem Sprint ein sogenanntes Sprint Planning durchführen wollen. Regen Sie ausdrücklich dazu an; im Original Scrum-Framework ist dies ein unabdingbares Ereignis zu Beginn des Prozesses.
- Führen Sie zu Beginn des Sprints in erfahreneren Klassen unbedingt ein gemeinsames Sprint Planning durch. Es dient dazu, die zu bearbeitenden Themen festzulegen und aus dem Product Backlog, das alle zu bearbeitenden Themen enthält, gemeinsam die Arbeitspakete zu identifizieren, die im anstehenden Sprint erledigt werden können. Ein weiterer wesentlicher Klärungsaspekt ist die Definition of Done: die gemeinsame Festlegung, was ein fertiges Lernprodukt ausmacht.
- Didaktische Perspektiven:
- Durch das gemeinsame Sprint Planning wird Mehreres gewährleistet: Die Teams wissen anschließend, was zu tun ist, da Ziele und klar definierte Aufgaben gemeinsam erarbeitet worden sind. Die Schüler*innen sind mehr und mehr in der Lage, Aufgaben mit Blick auf den Aufwand einzuschätzen, eine mit Blick auf zunehmende Selbstständigkeit wichtige Kompetenz. Unsicherheiten können gemeinsam offen besprochen und Lösungsansätze im Umgang mit diesen entwickelt werden. Der anstehende Prozess kann dabei noch deutlicher werden.
- Die gemeinsame Definition of Done könnte folgende Fragen beantworten: Wann sind wir als Gesamtteam der Meinung, dass das Lernprodukt wirklich fertig ist? Sind die Kriterien für dieses „Fertig“ genügend ausgehandelt bzw. inhaltlich klar? Wie wollen wir damit umgehen, wenn dies noch nicht der Fall ist? Ergibt sich daraus ein weiteres Arbeitspaket, das wir mit in unser Sprint Backlog übernehmen müssten? Welche Unterstützung benötigen wir dabei? Diese komplexen Fragestellungen sind ebenfalls für erfahrenere Lerngruppen empfehlenswert. Mit ungeübten Schüler*innen sollten Sie aber zu Beginn eines Sprints durchaus auch entsprechende Perspektiven einnehmen, damit die Tragweite und Komplexität des Lernprozesses sukzessive deutlicher wird und die Schüler*innen immer mehr in die Lage versetzt werden, hier auch Verantwortung zu übernehmen.
- Zum Abschluss der Lerneinheit bzw. des Sprints gewährleisten zwei weitere Ereignisse, dass der Prozess als gewinnbringend reflektiert werden kann: die Sprint Review und die Sprint Retrospektive.
Das Scrum-Framework lebt von dem fortwährenden Inspect and adapt-Prinzip, d.h. immer wieder in kurzen Abständen zu prüfen und anzupassen. Und so umfasst die Review zunächst einmal eine (Zwischen-)Präsentation des Lernproduktes durch die Teams. Das Lernprodukt oder Teilprodukte auf dem Weg zum fertigen Endprodukt müssen also soweit entwickelt sein, dass es „vorstellbar“ ist. Sollten Sie ggf. die großartige Gelegenheit haben mit „echten“ Auftraggebern für Ihr Projekt zu arbeiten, ist dies der Zeitpunkt, zu dem auch diese anwesend sind. Im Anschluss an die Vorstellung ist Feedback evident, da ja im Sinne eines iterativen Vorgehens weitere Sprints folgen, die die Optimierung des Produktes gewährleisten können. Im Zuge dessen macht es nun Sinn die Ergebnisaspekte deutlich herauszustellen, die im Abgleich mit der Definition of Done schon zielführend sind, die Schüler*innen also erfolgreich erarbeitet haben. Ebenso ist es sinnvoll gemeinsam das Entwicklungspotential so konkret zu fassen, dass sich daraus Konsequenzen für den nächsten Sprint ableiten lassen. Hier kommt ein weiteres Ziel der Review ins Spiel: der Forecast, die gemeinsame Klärung dessen, was als nächstes ansteht. - Didaktische Perspektiven:
- Bitte schlüpfen Sie als Lehrer*in hier nicht in die Rolle der Beurteilenden. Geben Sie „Inspect and Adapt“ bzw. „Prüfen und Anpassen“ getrost mit in die Verantwortung der Schüler*innen. Zwar geben Sie natürlich in Ihrer Rolle als PO (oder auch als Stakeholder, wenn Sie zugleich die Auftraggeberin sind) konkretes, inhaltliches Feedback. Daraus können sich auch neue Anforderungen ergeben, die im Product Backlog aufgenommen werden; dafür sind Sie ja verantwortlich. Aber die Schüler*innen sollten spätestens im nächsten Sprint Planning mitentscheiden, welche Aspekte aus dem Feedback in die Sprint Backlogs der Teams für den nächsten Sprint aufgenommen werden. Ist nicht ein Lernarrangement lernwirksamer und motivierender, wenn es sich nicht an Prüfungen orientiert und auf Kontrolle basiert, sondern echte, weil eigene, in partizipativen Kommunikationsprozessen identifizierte Herausforderungen zum Thema macht?
- Bieten Sie sich in der Phase der Klärung der nächsten Schritte und der Ableitung von neuen Items für das Product Backlog als Moderator an. Damit bieten Sie ein gutes Modell, wie Feedback gewinnbringend in Vorsätze überführt sowie sachlich fokussiert und konkretisiert werden kann. Hier wertschätzend die Leistung anzuerkennen und das Potential der ausstehenden Fragestellungen als Lerngelegenheit umzupreisen, ermöglicht Ihren Schüler*innen Kompetenz- und Autonomieerleben, denn sie sind es ja, die die Chance im nächsten Sprint nun nutzen können. Zeigen Sie Handlungsspielräume auf, auch das gewährleistet tendenziell autonomere Entscheidungen.
Die Retrospektive schaut weniger auf den Inhalt denn auf den Prozess und die Qualität der Zusammenarbeit. Sie findet nach der Review und vor dem nächsten Sprint statt. Sie bietet den Teams Gelegenheit, die Beziehungsebene in den Blick zu nehmen, die gewählten Werkzeuge, Instrumente, Methoden zu prüfen und den Prozess in seiner Phasierung zu hinterfragen. Ziel ist es einen Plan für die Umsetzung von Verbesserungen der Arbeitsweise des Teams zu erstellen. Am Ende wird das Product Backlog „aufgeräumt“ und ggf. nachgebessert, so dass zu Beginn des nächsten Sprints im Sprint Planning ein neues Sprint Backlog entwickelt werden kann.
- Didaktische Perspektiven:
- Für diese Phase gibt es online viele Flipchart-Vorlagen und etliche Methoden, die den Prozess begleiten bzw. die Fragestellungen veranschaulichen. Auch in diversen Sozialen Medien (insbesondere den bildorientierten) finden sich praxisnahe Beispiele.
- Die Kernperspektiven bilden sich ab in den Fragen
- Was ist gut gelaufen?
- Was ist nicht gut gelaufen?
- Was wollen wir beibehalten?
- Was wollen wir ändern?
Diese Perspektiven lassen sich noch knapper fassen mit Stop – Start – Continue: Was sollte nicht mehr gemacht werden, was sollte nun passieren, was sollten wir beibehalten?
Lernen im Remote-Modus
Bleiben wir bei dem letzten Ereignis, der Retrospektive, das es im onlinebegleiteten Unterricht umzusetzen gälte: Ein gangbarer methodischer Weg, anhand von Leitfragen Lernprozesse zu initiieren, ist es bekanntermaßen diese auf Plakaten zur Verfügung zu stellen. Online lässt sich dies problemlos über digitale Pinnwände (Jamboard, Padlet, Trello ec.), Planungstools wie Planner, Jira etc. oder für das Team geteilte Textdokumente zur Verfügung stellen. Prüfen Sie, ob Sie einen verbalen Austausch Ihrer Schüler*innen zeitgleich mit dem Zusammentragen von Antworten/Lösungsansätzen als lernwirksam erachten. Oder ist es für Ihre Lerngruppe hilfreicher, zunächst in einem stummen Schreibgespräch zu sammeln und dann in den Austausch zu gehen? Sie können beide Varianten auch remote, also in Online-Lernprozessen organisieren: So ist es ja kein Problem, die Schüler*innen zunächst in einem Videomeeting über das Verfahren zu informieren und sie arbeiten dann direkt in Breakout-Sessions an der Beantwortung der Fragen. Oder aber die Beantwortung ist Aufgabe bis zur nächsten Sitzung und kann entsprechend der hohen Selbstständigkeit und -disziplin Ihrer Schüler*innen in aller Ruhe von zuhause aus zusammen in kleinen Teams oder allein entwickelt werden.
Mit den o. g. Tools kann auch ein Kanban-Board wunderbar in kollaborativen Phasen entwickeln und asynchron wie synchron gepflegt werden. Diverse Angebote verfügen über vorstrukturierte Kanban-Boards: Cryptpad, (Links: siehe Literaturverzeichnis)
Zwischenfazit:
Scrum ist als Rahmenwerk komplex und liefert eine Vielzahl an neuen Begrifflichkeiten.
Das mag abschrecken. Gleichwohl ist es nicht unbedingt erforderlich, von vorneherein alle Ereignisse, Artefakte und Rollen in unterrichtliche Prozesse zu überführen. Meine Empfehlung: Lesen Sie die Empfehlungen mit Blick auf Ihre konkreten Lerngruppen: Was halten Sie für sofort umsetzbar, was können Ihre Schüler*innen vermutlich noch nicht leisten? Was müsste einem solchen Prozess lernerisch vorausgegangen sein? Werden Sie gerade bei der Beantwortung der letzten Frage konkret und verfahren nach dem Ausschlussprinzip: Reduzieren Sie die Anteile des Frameworks, die zu komplex sind und fokussieren Sie sich auf die Schritte, die für die Gruppe leistbar sind. So verhindern Sie, dass Sie von einem Thema zum nächsten springen, weil Sie nicht immer wieder mit Ihren Schüler*innen klären müssen, um was es gerade geht. Apropos: Im Organisationsmanagement heißt es, content switching, also das ständige Springen zwischen verschiedenen Themenfeldern, unbedingt zu vermeiden, um produktiv zu bleiben. Sie sehen: Wenn Sie so fokussiert vorgehen, sind Sie schon ein wenig mehr in der Lage agil zu handeln. Ein Schritt also in die richtige Richtung.
Zur Vertiefung
Es gibt bereits gute Erfahrungen mit Scrum in der Schule, die in Modelle überführt sind und einen Einstieg in die Umsetzung erleichtern. Hier ist Willy Wijnands mit seinem eduScrum-Modell zu nennen, der seine Erfahrungen in einen eduScrum-Guide überführt hat. (Wijnands, 2020)
Design Thinking
… ist ebenfalls ein agiles Rahmenwerk, das in Organisationen immer stärker eingesetzt wird. Es ist insbesondere geeignet, um neuartige Lösungen für komplexe Problemstellungen zu entwickeln. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist dabei der Kunde. Und damit wird auch deutlich, warum der Ansatz seine Herkunft im Design findet: Anders als die Kunst ist Design ist immer auf den späteren Nutzer fokussiert: Kann der neue Gebrauchsgegenstand aus der Perspektive des späteren Benutzers einen Mehrwert liefern, weil er besonders praktisch ist? Ist er klimaneutral? Kostengünstig? Nachhaltig? Ergonomisch? Kann das neue Produkt aus der Perspektive des Besitzers auch eine symbolische Funktion, beispielsweise die des Statussymbols gewährleisten? Design erfüllt vor allem Bedürfnisse des Kunden, sonst ist es kein gutes Design. Und so richtet sich sämtliches Streben im Entwicklungsprozess eines Produktes nach den (verschiedenen und damit zu identifizierenden und gewichtenden) Bedürfnissen des Nutzers.
Diesen Hintergrund zu verstehen ist Garant, die Kundenperspektive des Design Thinking Ansatzes nicht aus dem Auge zu verlieren. Und genau hier liegt auch das Potential für den Einsatz in Schule. Denn unsere Schüler*innen sind zugleich unsere „Kunden“ – in einem, zugegebenermaßen zunächst unangenehm-ökonomisch klingenden Sinne – als auch diejenigen, die künftig in Interaktion und Kommunikation professionell handeln können müssen. Dies gilt, unabhängig von dem Berufsfeld, das sie sich für sich erschließen werden. Da ein Design Thinking-Prozess immer die Perspektive auf diejenigen legt, für die etwas entwickelt wird, sind die beteiligten Schüler*innen gefordert, nicht nur ihre Brille, sondern auch die anderer aufzusetzen. Der Ansatz schult also Mehrperspektivität und Perspektivwechsel, eine nicht unerhebliche Grundlage zur Entwicklung von Einfühlungsvermögen.
Aus dem besonderen Fokus ergibt sich die Systematik des Prozesses: Sie beginnt mit dem Blick auf den Kunden, die Erkenntnisse zu diesem bleiben handlungsleitend im gesamten Prozess. Dieser ist – ebenso wie Scrum – iterativ und inkrementell aufgebaut: Das Prinzip der Iteration, des wiederholten Durchlaufs ist ein wesentliches Element im Design Thinking Prozess. Dieser erfolgt in klar voneinander abgegrenzten, überschaubaren Schritten:

Der Design Thinking-Prozess
Phasen
Es gibt insgesamt sechs aufeinander folgende Phasen im sich wiederholenden Prozess. Sie sollten der Reihe nach durchlaufen werden, da die nachfolgende Phase auf den Erkenntnissen der vorlaufenden Phase aufbaut. Iterativ heißt hier auch, dass einzelnen Phasen bei Bedarf auch einzeln wiederholt werden können. Fehler gibt es nicht, aber sehr wohl nicht tragfähige Erkenntnisse, sodass die Iteration eine sukzessive Optimierung des (Lern-)Produktes erlaubt.
Phase I: Problemfeld verstehen
In dieser Phase geht es darum, das Big Picture, also das Problem selbst, den Kontext, die damit einhergehenden Inhalte gemeinsam aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und damit besser zu verstehen.
Diese Phase sorgt dafür, dass die Voraussetzungen für einen „Anpacken“ des problemlösenden Teams geschaffen werden.
Phase II: Empathie aufbauen
In dieser Phase geht es darum, die Stakeholder, also alle im Problemfeld relevanten Personen zu identifizieren und näher kennenzulernen. Das bedeutet, die Bedürfnisse und Werthaltungen der „Kunden“ besser zu verstehen, Vorvermutungen abzugleichen und ein Bild des Gegenübers zu konkretisieren.
Diese Phase sorgt dafür, dass in den nachfolgenden Phasen Entscheidungen immer wieder auf die Bedürfnisse des Kunden rekurriert werden können und damit Begründungszusammenhänge hergestellt werden können.
Phase III: Nutzerperspektive erfassen
In dieser Phase geht es darum, durch einen bewussten Perspektivwechsel die oftmals vielfältigen Bedürfnisse zu strukturieren und zu fokussieren, um die Bedürfnisse noch besser zu verstehen und auch einzugrenzen, welches Bedürfnis bedient werden könnte.
Diese Phase sorgt dafür, dass der Prozess im Folgenden immer konkreter wird und zielgruppenbezogen Entscheidungen getroffen werden können.
Phase IV: Ideen sammeln
In dieser Phase geht es darum, mögliche Lösungsansätze in einem kreativen, ergebnisoffenen Prozess in möglichst großer Breite zu entwickeln.
Diese Phase sorgt dafür, dass nachfolgend diese Möglichkeiten geprüft und angetestet werden können.
Phase V: Prototypen bauen
In dieser Phase geht es darum, einen als tragfähig beurteilten Ansatz konkret umzusetzen.
Diese Phase sorgt dafür, dass eine Idee erlebbar und überprüfbar wird.
Phase VI: Prototypen testen
In dieser Phase geht es darum, bestenfalls zusammen mit Kunde und Stakeholdern die Idee zu testen, Feedback und andere Perspektiven einzuholen, so dass Verbesserungsmöglichkeiten offenbar werden.
Diese Phase sorgt dafür, dass mit klareren Kriterien eine neue Runde des Entwicklungsprozesses eingeleitet werden kann.
Der Design Thinking Prozess ist schon differenziert analysiert worden und findet heute vor allem in Entwicklungskontexten Anwendung. In der Folge gibt es etliche Veröffentlichungen und Methodenempfehlungen, auch bereits im Kontext Bildung. So kann man den Ansatz seit 2004 an der d.school der Stanford University in Palo Alto oder auch an der HPI Design Thinking School in Potsdam studieren. Die HOPP Foundation in Weinheim bietet entsprechende Workshops an und stellt Unterrichtsmaterial online und kostenlos zur Verfügung. (Hopp Foundation, 2020) Das Material ist so umfassend und gut aufbereitet, dass eine weitere Ausführung an dieser nur einen sehr kleinen Teil der methodischen Möglichkeiten aufzeigen könnte. Gleichwohl lohnen sich Empfehlungen auf der didaktischen Ebene:
- Didaktische Perspektiven:
- Um Design Thinking zu verstehen, muss man den Prozess erfahren. Dafür ist es besonders hilfreich, eine im Thema geübte Moderation zu gewährleisten, die den Prozess begleitet und immer wieder meta-reflexiv einordnet. Empfehlenswert ist deshalb ein Einüben im Kreis des Kollegiums oder z. B. bei einem der vielen Barcamps zum Thema Digitale Bildung, die sich im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren etablieren konnten. Suchen Sie sich gemeinsam eine Herausforderung, von der Sie vermuten, dass Sie sie umsetzen können. Ein Beispiel: Sie planen gemeinsam mit einem Team von 4 bis 6 Personen den nächsten Lehrerausflug. Klären Sie für sich die Teamregeln. Wie wollen Sie miteinander arbeiten? Welche zeitlichen Strukturen wollen Sie sich geben? Wer könnte die Rolle des Zeitwächters übernehmen? Wer könnte darauf achten, dass wir die Design Thinking Vorgaben einhalten? In welchem Umfeld wollen wir arbeiten? Lädt dies zu kreativen Prozessen ein?
- Besorgen Sie sich Methodenbücher und tauschen sich im Vorfeld darüber aus. Das löst vermutlich eine hohe Motivation und zielgerichtete Arbeitshaltung aus, die Sie initial nutzen können.
- Binden Sie, sobald Sie ein gemeinsames Bild des Prozesses und einer möglichen Umsetzung erfahren und reflektiert haben, auch Ihre Schüler*innen in den nächsten Prozess ein. Sie könnten z. B. das nächste Schulfest gemeinsam planen. Die Kooperation auf Augenhöhe unterstützt in besonderem Maße ein hilfreiches Mindset, wenn es darum geht, in agiler Weise miteinander zu lernen und Innovatives zu entwickeln.
- Bleiben Sie dran und scheuen Sie nicht den vermeintlichen Aufwand, es lohnt sich.
Ziele und Kompetenzen
Schaut man auf die Fachliteratur zum Lernen unter den Bedingungen der Digitalität, ist es künftig unabdingbar Kompetenzen breiter zu fassen, als es aktuelle Curricula derzeit abbilden. Über fachliches Wissen hinaus wird es erforderlich sein, weitere Skills, Charaktereigenschaften und Fähigkeiten zum Meta-Lernen auszubauen, um den Herausforderungen im Beruflichen und Privaten kompetent zu begegnen.
Im Folgenden greife ich zurück auf ein Kompetenzmodell des Centers for Curriculum Redesign CCR, das in den Blick nimmt, was Schülerinnen und Schüler im 21. Jahrhundert lernen müssen. In einem umfassenden Framework werden vier Dimensionen von Bildung vorgestellt (Fadel, Bialik, & Trilling, 2017).
Die beschriebenen Aspekte können indikativ für die Vorteile agiler Lernsettings herangezogen werden:
Skills:
- Kreativität
- Gerade im Design Thinking Prozess ist mit der Phase der Ideenentwicklung Kreativität integraler Bestandteil dessen, was Schüler*innen erfahren und erlernen können. Kreativität gilt als eine der wichtigsten Eigenschaften für Leadership, um in komplexen und unsicheren Zeiten Herausforderungen zu meistern. (Fadel, Bialik, & Trilling, 2017, S. 129)
- Die eigene originäre Schöpfung wird als die höchste Stufe der Kreativität ausgewiesen, diese wird durch die Produktorientierung agiler Verfahren in Schule gewährleistet. (Fadel, Bialik, & Trilling, 2017, S. 133)
- Dave Kelley, Mitbegründer der Design Thinking Methode stellt ausdrücklich die „Kreative Zuversicht“ in den Fokus dessen, was Design Thinking leisten kann und sollte. (Kelley, 2020)
- Kritisches Denken
- Insbesondere durch das Primat Inspect and adapt kann das Framework Scrum den stark reflexiven und selbstverantwortlichen Duktus gewährleisten. So lernen Schülerinnen und Schüler Prozesse und Inhalte zu hinterfragen, eine wichtige Voraussetzung, Aussagen zu untersuchen und zu prüfen und Verzerrungen und Argumentationslücken dabei zu identifizieren.
- Kommunikation
- Beide vorgestellten agilen Rahmenwerke sind geprägt von Ereignissen, die Fortschritt und Weiterentwicklung durch Kommunikation und fortwährende Interaktion gewährleisten.
- Kommunikation findet heute schon auf vielen Kanälen statt. Die Coronara-Krise hat uns dabei vor Augen geführt, dass Interaktion in Videokanälen einen neuen Verhaltenskodex und veränderten Sinneseinsatz mit sich bringt. Nutzen wir in der Umsetzung didaktischer Konzepte verstärkt unterschiedliche Kanäle und reflektieren diese mit unseren Schüler*innen, kann Kompetenzzuwachs diesbezüglich gezielt gefördert werden.
- Kollaboration
Erfolgreiches Kollaborieren ist lt. Johnson et al. von folgenden fünf Gelingensbedingungen abhängig: Individuelle Verantwortung, Positive Abhängigkeit, zielführende Gruppenstrategien und -evaluationen, soziales Lernen und Face-to-Face-Interaktionen. (Johnson, Johnson, & Johnson Holubec, 2012)
In Scrum sind alle fünf Bedingungen immanent:
- Individuelle Verantwortung:
Die Arbeit der Entwicklungsteams folgt dem Prinzip der Selbstverantwortung und kann in der Gesamtheit der zu leistenden Arbeitspakete nur dann gelingen, wenn sich jedes Gruppenmitglied verantwortlich für Teile und das ganze Sprint Backlog zeigt. - Positive Abhängigkeit:
Commitment, (Selbst-) Verpflichtung der Gruppe gegenüber ist festverankertes Primat im Scrum Framework. - Zielführende Gruppenstrategien und -evaluationen: Die Scrum-Ereignisse des Daily Sprint sowie die Sprint Review stellen sicher, dass Teammitglieder regelmäßig Auskunft über ihre Arbeit in der Gruppe geben und Möglichkeiten zur Verbesserung des Prozesses erarbeiten und dokumentieren.
- Soziales Lernen: In der Rolle des Scrummasters ist die Aufgabe Teams mit Blick auf Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten sowie Entscheidungs- und Leitungsstrukturen zu coachen. In Konfliktsituationen ist es an ihm Lösungsstrategien zu vermitteln und dafür Sorge zu tragen, dass die Gruppe wieder effektiv arbeiten kann. Mit Blick auf den Transfer in die Schule kann und sollte diese Rollenausprägung im Meta-Unterricht thematisiert, aufbrechende Konfliktsituationen als Lerngelegenheit genutzt werden. Angebote für die Rollenträger in der Lerngruppe erweitern das Potential.
- Face-to-Face-Interaktion: Erfolgreiche Teams arbeiten über einen längeren Zeitraum hinweg in konstanten Konstellationen in unmittelbarer Nähe miteinander. Im Online-Unterricht ist dies systembedingt nicht gegeben. Um also direkte Absprachen und Dialogische Prozesse synchron und asynchron möglich zu machen, sollten Tools und Working Agreements – im Scrum Framework fester Bestandteil im Rahmen der Teamfindung – mit den Lerngruppen thematisiert und systematisch eingeführt und evaluiert werden. (Johnson, Johnson, & Johnson Holubec, 2012)
Charakter:
- Achtsamkeit
- Achtsamkeit, verstanden als „Bewusstheit, die sich durch gerichtete Aufmerksamkeit, nicht wertende Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick einstellt“ (Kabat-Zinn, 1990) zitiert nach (Fadel, Bialik, & Trilling, 2017, S. 152), ist in routiniert-schnellen, auf Effizienz und Produktivität ausgerichteten Prozessen schwer sicherzustellen. Umso wichtiger ist es, dies mit Schülerinnen und Schülern zu trainieren. Eingebunden in die oben beschriebenen Rituale bzw. Ereignisse könnte dies seinen Platz in den längeren, teaminternen Kontexten des Sprint Plannings und der Retrospektive finden. Während eines Design Thinking Prozesses sollte die Thematik in der Teamfindungsphase zur Sprache kommen.
- Neugier
- Der Information-Gap-Theorie nach erzeugt eine Lücke zwischen dem, was ich weiß und dem, was ich wissen möchte, neugierige Aufmerksamkeit. Gehen wir nun von der These aus, dass tendenziell offene Lernsettings, die an und mit den Fragen und Interessen der Schüler*innen arbeiten, und forschendes Lernen erlauben ein Mehr an „wissen wollen“ mit sich bringen, gehen wir mit agilen Settings einen guten Weg. Diese sind per definitionem offen. Mehr projektorientierte, auf Lernprodukte ausgerichtete Lernsetting, weniger Stoff nach dem Prinzip „je mehr desto besser“ abarbeiten, das ist mit agilen Settings durch den Fokus auf die (Selbstständigkeit der) Lernenden implizit.
- Mut
- Etwas Schwieriges gemeistert zu haben, macht zufrieden und stolz. Auch und gerade dann, wenn die bevorstehende Herausforderung zu Beginn als solche wahrgenommen wurde, zu bewältigen, aber nicht ohne Anstrengung. Sich als selbstwirksam zu erfahren bedeutet, eine Kausalität zwischen den eigenen Fähigkeiten und zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten und dem erfolgreichen, selbstständigen Bewältigen von Aufgabenstellungen hergestellt zu haben. Stehen wir vor neuen Herausforderungen, deren Komplexität noch nicht abzusehen ist, braucht es Mut und die Erfahrung von Selbstkompetenz, diese anzunehmen. Die strukturell immanenten Ereignisse in Scrum, die dafür Sorge tragen, dass Komplexität sukzessive gehändelt werden kann, erlauben die Erfahrung, dass es sich lohnt mutig zu sein. Zu lernen also, dass es sich lohnt, auch ergebnisoffene Aufgaben anzunehmen und sich auf Erforschungsprozesse einzulassen. Auch erfordert es Mut, sich immer wieder in Selbstreflexion zu begeben, geht damit doch die Gefahr einher, dass mögliche Fehler, blinde Flecken oder Fehlstrategien offenbar werden. Lernen wir, dass dieses Aufdecken nicht zu Liebesentzug, sondern zu langfristig besseren Lösungen führt, kann eine Fehlerkultur gedeihen. Es lohnt sich also ein weiteres Mal mutig zu sein. Mit den immer wiederkehrenden Reviews und Retrospektiven ist Reflexion fester Bestandteil von Scrum. Mut ist nicht ohne Grund einer der im agilen Manifest beschriebenen Grundwerte. (Beck et al., 2001) Das Primat der Iteration adressiert an dieser Stelle nicht nur den Optimierungsprozess, sondern trägt zu einer mutigen und anstrengungsbereiten Fehlerkultur bei.
- Resilienz
- Der gerade beschriebene Zusammenhang zwischen Kompetenz- und Unsicherheitserleben in herausfordernden Situationen beleuchtet vermutlich eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Resilienz. Nach schwierigen Lebensphasen zurückzuschauen und zum Schluss zu kommen, dass die Selbstkompetenz, die eigene Problemlösefähigkeit, das eigene Durchhaltevermögen wesentliche Gelingensbedingung war, lässt künftig Positiverwartung zu und damit die Offenheit (ebenfalls ein Grundwert des agilen Manifests) und Gelassenheit, die mit Resilienz einhergeht.
- Ethik
- Ethik, als Zugriffsfähigkeit auf gemeinschaftlich vereinbarte Moralvorstellungen verstanden, steht m. E. in engem Zusammenhang mit der Fähigkeit Perspektivwechsel vorzunehmen, Empathie aufzubauen und Toleranz zu leben. Fühle ich mich als Schüler*in in eine kennenzulernende Persona (ein Instrument des Design Thinkings in der Phase der Klärung der Sichtweise/des Standpunktes) ein, lerne ich Vorverurteilungen und vorschnellen Kategorisierungen Vorschub zu leisten und aktiv gegenzusteuern. Durch meine Verantwortung aufbauend auf Erkenntnissen zu meinem Gegenüber in gemeinsamen Entscheidungsprozessen mitzuwirken, ist meine moralische Instanz in besondere Weise gefordert.
- Leadership
- Der Grundwert des Commitments im Sinne von „dem Team und der Aufgabe verpflichtet“ wie auch „sich selbst verpflichtet“ ist in Scrum festverankert. Der Begriff Leadership muss aber über Pflichtbewusstsein und den damit einhergehenden disziplinarischen Duktus hinaus weiter verstanden werden. Er umfasst auch und vor allem das vorbildhafte, wertschätzende, vertrauensvolle Handeln innerhalb eines Teams, das als Ganzes Verantwortung übernommen hat. Einem „modernen“ Führungsverständnis folgend, das Vertrauen und aktive Wahrhaftigkeit in den Fokus nimmt und eine Ausgestaltung der Rolle als Servant Leader anempfiehlt (Sprenger, 2007), bedeutet erfolgreiches Leadership vor allem Aufbau vielfältiger sozialer Kompetenzen. Zweifelsohne können diese in kollaborativen Prozessen, in denen eben diese Kompetenzen explizit adressiert und reflektiert werden, in besonderem Maße entwickelt werden.
- Potential geht neben der Verantwortungsübernahme auch mit der Identifikation mit der Aufgabe und dem eigenen Team einher. Durch gemeinsame Teamentwicklung und Themen, die bestenfalls an und mit den Fragen der Lernenden arbeiten, sind identifikatorische Entwicklungen zu erwarten und gewinnbringend nutzbar zu machen.
- Angesichts dessen ist es naheliegend, die Rolle des Scrum Masters als desjenigen, der o. g. Prozesse im Team initiiert und begleitet, in Schülerverantwortung zu geben. Dass hier auch und gerade die Schüler*innen angesprochen sind, die nicht dem klassischen Bild des Alphatieres folgen, ist selbstredend. Hohe Beziehungskompetenz, Motivation, Vertrauen in die Fähigkeit, sich in diese Rolle einfinden zu können und die Freude am gemeinsamen Lernen sind an dieser Stelle erfolgsversprechendere Voraussetzungen.
Meta-Lernen:
- Dynamisches Selbstbild
- Sich selbst als Lernende zu erleben, kann positiv wie negativ konnotiert sein. Sich selbst als wirksam zu erleben hingegen nicht: Dieses Gefühl wird sicherlich von jedem Menschen als positiv wahrgenommen. Umso sinnvoller scheint es, Lernprozesse so zu gestalten, dass die eigene Selbstwirksamkeitserwartung erfüllt werden könnte. Die Beantwortung der Frage, wie genau dies gelingen kann, spricht nicht nur strategische Überlegungen, sondern auch das eigene Selbstbild an: Lasse ich mich als Schüler leiten vom Glaubenssatz, „Mathe noch nie gekonnt zu haben (und deshalb auch nie zu können)“ oder glaube ich, dass ich, wenn ich mich nur darauf einlasse, auch bislang Unbekanntes oder Ungekonntes werde lernen können? Fraglos ist die zweite Version die besser geeignete, um Lernen als etwas Positives zu verstehen und sich bewusst und aktiv professionalisieren zu wollen. Die Scrum Werte Commitment, Mut und Offenheit repräsentieren Eigenschaften, die helfen, zur beschriebenen Selbsteinschätzung zu kommen.
- Die in den letzten Jahren vielfach beschworene Empfehlung, Feedback auszubauen und hier insbesondere formatives Feedback in den Blick zu nehmen, findet hier Bekräftigung: Der Lernfortschritt, die individuelle Bezugsnorm kann als Indikator der persönlichen Lernfähigkeit herausgestellt werden. Anmerkung am Rande: Nicht nur im hier diskutierten Kontext scheint mir dies sinnvoller als auf zu bestehende Abschlüsse und Prüfungen zu rekurrieren.
- Metakognition
- Metakognition ist ein Garant für transferfähige, handlungsleitende Erkenntnis und als solche unabdingbar in komplexen, problemlösenden Lernprozessen. Mit dem hohen Anwendungsbezug der komplexen Aufgabenstellungen einerseits und den sich stetig wiederholten Reflexionsanlässen andererseits findet auch Meta-Unterricht in agilen Lernsettings seinen Platz.
- Die Notwendigkeit, den Lernprozess gemeinsam in Abgleich zu bringen mit dem agilen Rahmenwerk und seinen Prinzipien, stellt zugleich eine weitere Lerngelegenheit dar, das eigene Tun metakognitiv zu hinterfragen. Hier ist sicherlich gerade die Beziehung zwischen zugrundeliegenden Werten und den sich daraus ableitenden Strategien eine Chance, die eigenen Strategien zu reflektieren.
- Das gemeinsame Überprüfen in retrospektiven Phasen umfasst ausdrücklich nicht nur die Qualitität des generierten Produktes, sondern umschließt auch die Strategien, die Beziehungsgestaltung, die Prozessgestaltung. Somit ist sowohl die Vor- wie die Rückschau gewährleistet und ein Einordnen der eigenen Lernprogression wahrscheinlicher. Dass entsprechende Erkenntnisse in der Interaktion verbalisiert und damit ein weiteres Mal verarbeitet werden, unterstützt Metakognition einmal mehr.
- Das Scrum Framework nimmt eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Was werden wir erarbeiten? (Inhalt des Product Backlogs) und dem Wie werden wir es erarbeiten? (im Team zu beantwortende Fragestellung, die im Sprint Backlog Niederschlag findet) vor. Auch diese strategisch-inhaltliche Perspektive kann zu metakognitiver Auseinandersetzung beitragen, da das Team den Transfer vom Was? zum Wie? zunehmend selbstständig vornehmen muss.
Fazit:
Probieren Sie agile Rahmenwerke wie Scrum, Design Thinking und andere mutig und offen für Neues aus! Beide Eigenschaften repräsentieren Werte eines agilen Mindsets, lohnen sich also als Ausgangslage für eigene und gemeinsame Lernprozesse, die Agilität im Blick haben. Der Abgleich mit künftig zu erwartenden Herausforderungen und damit einhergehenden Kompetenzen zeigt das Potential auf. Hier ist es sicher nicht erforderlich, die beschriebenen Rahmenwerke möglichst vollständig und umfassend umzusetzen. Vielmehr lohnt es sich, ganz dem Prinzip „Inspect and Adapt“ folgend, zu beginnen, innezuhalten, zu evaluieren und gemeinsam weiterzugehen. Sich Kollegen an die Seite zu holen und damit einen „didaktischen Doppeldecker“ im gemeinsamen „Prüfen und Anpassen“ gewinnbringend nutzen zu können, ist eine weitere Empfehlung, die sich aus den Potential-Überlegungen ableiten lässt.
Ich wünsche viel Freude, vielfältige Perspektiven und transferfähige Erkenntnisse!
Ein Exkurs mit Appellfunktion: Vertrauen als Grundlage gelingender asynchroner Unterrichtsgestaltung
Eine der größeren Sorge in Zeiten der Schulschließungen im Zuge der Corona-Krise war es, die Leistungen der Schülerinnen und Schüler ihnen nicht nachweislich zuordnen und damit keine valide Leistungsbeurteilungen vornehmen zu können. Liegt der Fokus auf der institutionellen Anschluss- und Marktfähigkeit der Schülerinnen und Schüler in einem System, das Prüfungen als das Instrument der Qualitätssicherung festschreibt, ist diese Sorge sicherlich nachvollziehbar. Aber ist sie auch legitim? Steht hier nicht ein Generalverdacht im Raum, der allen Schüler*innen fragwürdiges Verhalten zuschreibt? Dazu kommt, dass ein gemeinsames Erarbeiten, der selbstständig in die Wege geleitete Diskurs und das kollaborative Verfassen des Lernprodukts, Pfuschen also, damit als die schlechtere Variante ausgemacht ist, Lösungen zur gestellten Aufgabe zu entwickeln. Was aber wäre, wenn eben diese Form des Pfuschens die lernwirksamere wäre? Und schlimmer noch: Ist nicht die Vorannahme, die Leistungsnote könne das Richtige und Relevante erfassen, mit Blick auf die oben beschriebenen Kompetenzen ohnehin obsolet?
Was also tun? Wie also umgehen mit der (vorhandenen und gottseidank weidlich genutzten) Möglichkeit zu „pfuschen“ in asynchronen Lernsettings?
Die erste Empfehlung: Trauen wir uns systemisch groß zu denken und den Changeprozess als notwendig und gewinnbringend anzuerkennen. Zweitens: Diskutieren und evaluieren wir gemeinsam, was uns die Entwicklung der letzten Jahrzehnte (!) und sicher nun in besonders verdichteter Weise die Zeit der Schulschließungen als Potential aufzeigt und damit (noch) greifbarer macht, für welche Herausforderungen wir unsere Schüler*innen und uns bilden sollten. Überprüfen wir unsere Vorannahmen dahingehend, dass wir Lernwirksamkeit wieder stärker in den Fokus nehmen und Regelwerk, Sicherungssysteme und Kontroll-Instanzen daraufhin überprüfen (und höchstwahrscheinlich ausdünnen).
Und: Trauen wir unseren Schüler*innen zu, dass sie einen Wert im Lernen selbst sehen, dass sie erfolgreiche Lernprozesse als befriedigend erleben, dass sie sich selbst als jemanden entdecken können, der/die sich weiterentwickeln kann und will. Wenn wir mehr Energie aufwenden, (bestenfalls gemeinsam mit) unseren Schüler*innen herausfordernde, für sie relevante und ausreichend komplexe Lernaufgaben zu entwickeln, und gestehen ihnen dabei Freiheit und Selbstbestimmung zu, werden wir sie schlussendlich selbstbewusster und kompetenter erleben. Wenn wir dabei weniger Energie aufbringen, sie gleichzeitig zu kontrollieren, werden wir zugleich glaubwürdiger mit unserem Vertrauensversprechen. Unlängst hat ein Online-„Prüfungsformat“ in den sozialen Medien von sich reden gemacht, das die Problematik auf den Punkt bringt: Zu einer Online-Klassenarbeit sollten sich die Schüler*innen mit zwei Geräten zu einer Online-Konferenz anmelden, die zu lösende Aufgabe ausdrucken und sich dann bei der Erarbeitung filmen, so dass die Lehrperson nachvollziehen konnte, dass auch nicht geschummelt wurde. Was wird hier überprüft? Die Ausstattungsqualität der Familie? Die Medienkompetenz im Umgang mit zwei Geräten? Die Konzentrationsfähigkeit angesichts der digital überwachenden Präsenz des Lehrers? Schaffen wir es so, unsere Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen, die doch Grundvoraussetzung dafür ist, dass unsere Schüler*innen ihrerseits Vertrauen geben und nehmen? Möglicherweise haben die Schüler*innen bei dieser „Prüfung“ vor allem Energie in die Fähigkeit gesteckt, diese Sicherungsmaßnahme geschickt zu umgehen und doch auf Zweitquellen zurückzugreifen. Welch ein Erfolgsmodell.
Es ist an der Zeit, offene Lernsettings nicht nur in der Theorie als sicher wertvoll abzunicken, sondern diese auch zuzulassen. Wenn wir uns nach wie vor damit schlecht fühlen – das käme nicht von ungefähr, wir sind anders sozialisiert, durchlaufen hier also selbst einen Lernprozess und Lernen geschieht nicht zuletzt aus einer Unsicherheit heraus – dann sind wir damit ja nicht allein. Wir können uns gemeinsam die Fragen beantworten, die helfen könnten: Woran könnten unsere Schüler*innen erkennen, dass wir ihnen wahrhaftig vertrauen? Was könnten wir dafür tun, Vertrauen zu fördern? Welche unserer Spielregeln stehen im Gegensatz zu Vertrauen? Was sind die größten Hürden, um Vertrauen aufzubauen? (nach Sprenger, 2007, S. 178)
Und dann denken wir die Qualität von Prüfungsformaten und Lernsettings neu. Spannend in diesem Zusammenhang: Ein Impuls von Rolf Dubs: Schlechte Denker suchen nach Gewissheit und Sicherheit und vermeiden Vieldeutigkeit. Sie sind nicht selbstkritisch und mit ersten Lösungsansätzen zufrieden. Sie sind impulsiv, geben rasch auf und sind von der Richtigkeit erster Ideen überzeugt. Die allgemeinen Merkmale von „Guten Denkern“: Sie begrüßen kritische Situationen und schätzen Vieldeutigkeit. Sie sind genügend selbstkritisch, suchen immer nach anderen Möglichkeiten und Zielen, suchen vielseitige Belege. Sie sind reflektiv und überlegend, suchen wenn nötig intensiv. (Dubs, 1995, S. 254)
Viel Spaß bei der Suche nach den Lücken im Regelwerk und den Potentialen von Öffnung!
Linkliste der genannten Tools:
Literaturverzeichnis
Beck et al., K. e. (2001). http://agilemanifesto.org/. Von Manifest für Agile Softwareentwicklung: http://agilemanifesto.org/ abgerufen
Deci, E., & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik 39, S. 223-238 .
Dubs, R. (1995). Lehrerverhalten. Zürich: Verlag des Schweizerischen Kaufmännischen Verbandes.
Fadel, C., Bialik, M., & Trilling, B. (2017). Die vier Dimensionen der Bildung, Was Schülerinnen und Schüler im 21. Jahrhundert wissen müssen. Hamburg: ZLL21 e. V.
Groeben, N., Wahl, D., Schlee, J., & Scheele, B. (1988). Forschungsprogramm Subjektive Theorien, Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen: Francke .
Hopp Foundation, H. (11. Juni 2020). Design Thinking und Schule. Von https://unterrichtsmaterialien.hopp-foundation.de/konzepte/design-thinking-und-schule abgerufen
Johnson, D., Johnson, R., & Johnson Holubec, E. (2012). Kooperatives Lernen – Kooperative Schule: Tipps, Praxishilfen und Konzepte. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr.
Kabat-Zinn, J. (1990). Full Catastrophe Living, Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain, and Illness. New York: Delacorte.
Kelley, D. (11. Juni 2020). Mindsets. Von https://www.designkit.org/mindsets abgerufen
König, E. P., & Volmer, G. D. (2008). Handbuch Systemische Organisationsberatung. Weinheim: Beltz Verlag.
Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag.
Luhmann, N. (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag.
Oestereich, B., & Schröder, C. (2019). Agile Organisationsentwicklung. München: Vahlen.
Schlee, J. (2008). Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe. Stuttgart: W. Kohlhammer.
Sprenger, R. (2007). Vertrauen führt. Frankfurt: Campus Verlag.
Wijnands, W. (11. Juni 2020). eduScrum. Von https://eduscrum.nl/de/was-ist-eduScrum abgerufen

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Hybridunterricht 101” – ein Gemeinschaftswerk von 33 Autor:innen, das zeigt, wie Hybridunterricht in modernen Unterrichtskonzepten umgesetzt werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Digitalisierung sondern auch um soziale Aspekte, die für hybrides Lernen wichtig sind.
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