Überlegungen und Ideen zur Motivation von Schüler:innen in analogen und digitalen Lernsettings
Holger Müller-Hillebrand – Juni 2020
Bin ich einmal da, treibe ich dich an. Doch wenn du mich verlierst, kannst nur du selbst mich wiederfinden.
– Ich bin die Motivation.
Das (Kinder-)Rätsel beschreibt schon ganz gut, worin die Crux mit der Motivation besteht: Sie kann nur äußerst schwer von außen erzeugt werden. Und wird sie es doch, ist sie oft unecht und nicht auf das eigentliche Ziel bezogen. Wir sprechen dann gerne von „extrinsischer“ Motivation.
Schule und schulisches Lernen erzeugen häufig extrinsische Motivation. Grundlage dafür ist die Struktur unseres Schulsystems nach dem Prinzip der Leistungs- und ebenso der Wettbewerbsorientierung. Es baut darauf, erworbene Kompetenzen zu demonstrieren und etwa in Prüfungen unter Beweis zu stellen. Geschieht dies wie in der Schule in einer Gruppe, erwächst daraus eine andauernde Vergleichssituation, bei der jede:r in der Regel erreichen möchte, dass die eigene Kompetenz möglichst hoch eingeschätzt wird. Im positiven Fall entwickelt sich Selbstbewusstsein, im negativen eigene Schuldzuweisungen und Versagensängste.
Auch eine andere Form der Motivation, die in Schule gern produziert wird, ist unecht: die Motivation auf der Grundlage von „Urtrieben“ und dazugehörigen Reiz-Reaktions-Zusammenhängen. Bei diesem Antrieb agieren Lernende vorrangig, um mindestens ein Grundbedürfnis zu befriedigen – beispielsweise das Grundbedürfnis nach Lob und Anerkennung. Lernplattformen wie beispielsweise „Kahoot“ funktionieren nach diesem Prinzip.
„Echte“ Motivation hingegen, die primär auf das eigentliche Ziel ausgerichtet ist, entwickelt sich auf diese Weise nur äußerst selten. Sie zu schaffen, ist die eigentliche Kunst – nicht nur in der Schule. Einen vielversprechenden Ansatz hierzu liefert die Psychologie mit ihrer Theorie der Selbstbestimmung. Danach hängt die Motivation für ein bestimmtes Verhalten stets von der Erfüllung der drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und – an dritter Stelle – sozialer Eingebundenheit ab. Ihre quantitative wie qualitative Befriedigung führt, stark vereinfacht, zu mehr Kreativität, einem besseren Problemlöseverhalten sowie größerem Durchhaltevermögen.
Was theoretisch klingt, lässt sich in der Schule tatsächlich immer wieder beobachten. Erzählt beispielsweise eine Lehrperson begeistert davon, dass eine Schülerin oder ein Schüler bei einer Aufgabe „vollkommen aufgeblüht“ sei und etwas abgeliefert oder produziert hätte, das man ihr oder ihm gar nicht zugetraut habe, dann handelt es sich dabei oft um Motivation durch Selbstbestimmung. Denn hinterfragt man die Art und Weise des dazugehörigen Arbeitsauftrags, kommt in den meisten Fällen heraus, dass man die Schüler:innen „einfach mal hat machen lassen“. Mit anderen Worten: Man hat ihnen Zutrauen (= Kompetenz) und Freiraum (= Autonomie) gegeben. Bezogen auf schulische Lernprozesse bedeutet das nichts anderes als: „Echte“, intrinsische Motivation erwächst dann am einfachsten, schnellsten und besten, wenn…
- den Lernenden etwas zugetraut und auf ihre Stärken gesetzt wird – und nicht ständig ihre Schwächen projiziert werden;
- sich an den Bedürfnissen und Ideen von Schüler:innen orientiert und ihnen Freiraum gegeben wird, etwa hinsichtlich des Arbeitswegs und des Lernprodukts – und Lernende nicht ständig fremdgesteuert enge Aufgabensettings abarbeiten sollen;
- in der Lerngruppe eine professionelle partnerschaft-liche Beziehung zwischen Lerncoach und Lernenden, aber ebenso zwischen den Lernenden untereinander besteht und Teamarbeit auch in wechselnden Zusammen-stellungen problemlos möglich ist – und Schüler:innen weder von oben herab behandelt werden noch Einzelkämpfer-tum propagiert oder indirekt gefördert wird.
All diese Faktoren lassen sich meines Erachtens erheblich leichter, wenngleich nicht ausschließlich in analogen als in digitalen Lernsettings erzielen, wobei unter „analoge Lernsettings“ hier all das verstanden werden soll, was im direkten Kontakt, zur gleichen Zeit und am selben Ort geschieht. Für ein „Blended Learning“, einem Lernen im Mix aus Präsenz- und Fernunterricht, bedeutet das: Um die Stärke einer jeden Phase auszuspielen, sollte etwa in analogen Phasen besonderer Wert auf Beziehungs- und Bindungsarbeit sowie auf die Schaffung von Motivation durch Kompetenz und Freiraum gelegt werden. Konkrete Elemente hierfür können beispielsweise sein:
- Schüler:innen aktiv an (der Auswahl von) Lerninhalten beteiligen,
- Lerninhalte mit deutlichem Lebensweltbezug schaffen,
- Transparenz über den Lernablauf (nicht Lehrgang) geben,
- gemeinsam mit den Lernenden entwickelte Problemstellungen aufstellen,
- Arbeitswege und Lernprodukte weitgehend frei wählbar gestalten,
- Teamarbeit und kollaboratives Arbeiten begünstigen,
- Scaffolding-Angebote bereitstellen,
- Peer-Feedback unterstützen,
- Selbsteinschätzung, -bewertung sowie Evaluation ermöglichen.
Somit ist Motivation letztlich eng verknüpft mit einem Paradigmenwechsel, was die Haltung zum Unterricht betrifft: Um die Entstehung „echter“, intrinsischer Motivation zu unterstützen, muss die (vor allem im deutschen Schulwesen) althergebrachte „Command and Control“-Mentalität endlich aufgegeben und durch eine Geisteshaltung des „Trust and Believe“ ersetzt werden.
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Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Hybridunterricht 101” – ein Gemeinschaftswerk von 33 Autor:innen, das zeigt, wie Hybridunterricht in modernen Unterrichtskonzepten umgesetzt werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Digitalisierung sondern auch um soziale Aspekte, die für hybrides Lernen wichtig sind.
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