Bettina Knuppertz – Juni 2020
Gehen Sie davon aus, dass in jeder Klasse Schüler mit einer breit gefächerten Palette biologisch bedingter Temperamentsmerkmale vorzufinden sind, von denen rund 15 bis 20 Prozent hochsensibel und teilweise hochbegabt sind (HS). Diese Gruppe von Schülern besitzen angeborene, im Nervensystem verankerte Dispositionen, selbst die unterschwelligsten Aspekte einer Situation nehmen sie wahr und verarbeiten diese Informationen auf einer tieferen Ebene, bevor sie eine Entscheidung treffen oder handeln. Infolgedessen sind diese Schüler in der Regel hochgradig reflektierend, intuitiv und kreativ (fähig zu vernetztem Denken), gewissenhaft, um Fairness bemüht und empathisch. Sie haben ein ausgeprägtes Gespür für subtile Veränderungen, Details oder den „fehlenden Baustein“ in einem Mosaik. Diese temperamentsbedingte Disposition bewirkt, dass sie sich leicht überfordert und verletzt fühlen, sowohl physisch als auch emotional; sie tauen langsamer auf, finden schwerer Anschluss und sind im Unterricht bisweilen still und wortkarg. Lassen Sie sich von dieser Zurückhaltung nicht in die Irre führen – hier bietet sich die Chance, ein ungewöhnliches Potential zu entwickeln.
- Seien Sie kreativ bei der Gestaltung des Unterrichts, um der Kreativität dieser Schüler gerecht zu werden. Bauen Sie Elemente aus der visuellen und darstellenden Kunst ein, oder Übungen, die kreatives Schreiben und originelle Problemlösestrategien fördern. Wählen Sie Literatur aus, die sich mit komplexen moralischen oder emotionalen Themen befasst. Weil diese Schüler oft sehr reif für ihr Alter sind, sollten Sie die Möglichkeit bieten, eine persönliche Beziehung „auf Augenhöhe“ zu entwickeln, indem Sie ihnen Aufgaben übertragen, in der kleinen oder großen Pause beim Aufräumen oder der Vorbereitung von Klassenprojekten zu helfen. Da viele hochbegabte und hochsensible Kinder und Jugendliche sehr naturverbunden sind, blühen sie bei Projekten auf, die Pflanzen, Tiere oder Gartenarbeit einbeziehen. Infolge ihrer ausgeprägten Beobachtungsgabe und des Gespürs für die nonverbale Kommunikation sind sie bestens geeignet, Schülern zur Seite zu stehen, die aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse noch nicht integriert sind.
- Behalten Sie das Erregungsniveau Ihrer besonderen Schüler im Blick. Jeder Mensch fühlt sich und lernt am besten, wenn das Erregungsniveau für ihn optimal ist – in einer Atmosphäre, die weder zu viel noch zu wenig Stimulation bietet. Hochbegabte und hochsensible Schüler sind leichter überreizt und überstimuliert als andere; sie brauchen Ruhezonen und mehr Auszeiten, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Da die Regenerationszeit nach einer Phase der Übererregung mindestens zwanzig Minuten dauert, ist Prävention besser.
- Sorgen Sie für ein gesundes Gleichgewicht zwischen Starthilfe und Schutz.Versuchen Sie zu erkennen, wann diese Schüler Starthilfe benötigen und wann Zurückhaltung geboten ist, aber vermeiden sie nach Möglichkeit, sie völlig von Aktivitäten auszuschließen, die ihnen schwerfallen (zum Beispiel ein Referat vor der ganzen Klasse zu halten). Warten Sie den richtigen Zeitpunkt ab, um Leistungen auf diesem Gebiet einzufordern; gestatten Sie ihnen, sich stufenweise auf die Situation einzulassen (ein Referat, das zuerst nur im Beisein eines Mitschülers gehalten werden darf, bevor Sie den Zuhörerkreis nach und nach erweitern, bis schließlich die ganze Klasse einbezogen ist). Achten Sie darauf, dass jeder Schritt als Erfolg verbucht und mit ausreichend Lob von Ihrer Seite bedacht wird, sodass sie angespornt sind, den nächsten in Angriff zu nehmen.
- Stimmen Sie Ihre Bewertungsmethoden auf die temperamentbedingte Disposition ab
- Beginnen Sie mit leichten Fragen, dann gehen Sie zu Stichproben über, auf die sie sich gut vorbereiten konnten, danach können Tests ohne Zeitgrenze und zum Schluss Prüfungen mit Zeitvorgabe erfolgen.
- Verzichten Sie bei hochbegabten und hochsensiblen Schülern auf harsche Disziplinierungs-maßnahmen. Sie achten in besonderem Maße darauf, die Regeln einzuhalten, und normalerweise reicht eine sanfte Erinnerung unter vier Augen aus.
- Helfen Sie hochbegabten und hochsensiblen Schülern bei Integrationsproblemen. Geben Sie ihnen Zeit, sie allein zu lösen, aber wenn sie mehrere Tage sichtbar leiden oder sich ständig zurückziehen, sich isoliert und abgelehnt fühlen, gehänselt oder tyrannisiert werden, sollten Sie in Erwägung ziehen, einzuschreiten und darüber hinaus Eltern und Schulberater zu informieren.
- Helfen Sie hochbegabten und hochsensiblen Schülern dabei, Freundschaften zu schließen. Sie blühen in persönlichen Beziehungen auf und brauchen normalerweise nur einen einzig guten Freund für ihr emotionales und soziales Wohlbefinden, doch der ist von essenzieller Bedeutung. Setzten Sie diese Schüler dieser Art zusammen oder bilden Sie Gruppen bei bestimmten Aufgaben, sodass sich die Schüler besser kennenlernen.
- Ältere hochbegabte und hochsensible Schüler profitieren beträchtlich, wenn sie einen Mentor haben und ihre besonderen Fähigkeiten Anerkennung finden. Sie lassen sich oft in einem Maß inspirieren – durch Schönheit, das Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit, etc., dass sie leiden, wenn sie kein Ventil für diese innere Fülle finden. Ermutigen sie daher, verschiedene Möglichkeiten der Selbstreflexion zu erproben (Gedichte, Tanz, visuelle Künste, Laientheater, Referate, kreatives Scheiben und nicht zu vergessen die Mitarbeit an einer Schülerzeitung oder die Gründung einer solchen, falls es noch keine gibt), um ihr Potential auszuschöpfen.

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Hybridunterricht 101” – ein Gemeinschaftswerk von 33 Autor:innen, das zeigt, wie Hybridunterricht in modernen Unterrichtskonzepten umgesetzt werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Digitalisierung sondern auch um soziale Aspekte, die für hybrides Lernen wichtig sind.
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