Martin Lüneberger & Lea Schulz
Der Prozess der Digitalisierung hat Auswirkungen auf Schulentwicklungsprozesse und den damit verbundenen theoretischen Diskussionen. Ende der 1990er Jahre stellte Rolff ein Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung (vgl. Rolff 2021) vor. Es unterscheidet die Ebenen der Personal-, Organisations- und Unterrichtsentwicklung. Dieses Modell hat Zylka (2018) um die Ebene der Digitalisierung zu einem Vier-Ebenen-Modell erweitert. Im Sinne einer modernen Schulentwicklung versteht er die Digitalisierung dabei als absolut gleichwertig zu den drei anderen Ebenen. Schulz-Zander (1999, S. 49) ergänzt zur Technologieentwicklung die Kooperationsentwicklung als wichtiges Element.
Für Schulentwicklungsvorhaben können nach Bartz (2014, S. 50ff.) generell folgende Phasen unterschieden werden:
- Phase der Initiierung; hier erfolgt eine möglichst breite Sammlung von Ideen und Bedenken.
- Phase der Reflexion, in der gesichtet, geordnet, bewertet und priorisiert wird.
- Phase der Implementierung, in der mögliche Wege, Ziele und Ressourcen geklärt werden.
- Phase der Institutionalisierung, in der die Vorhaben in den Alltag überführt und auf Optimierung geprüft werden.
Inklusion sollte ein Ziel der gesamten Schule darstellen, dies spricht für ein Ineinandergreifen von Organisation- und Personalentwicklung, „bei der Inklusion als Querschnittsaufgabe für die gesamte Schule verstanden und Professionalisierung der Lehrkräfte als zentraler Bestandteil der Entwicklung von Schule erachtet wird, …” (Sommer 2019, S. 244).
In der Implementationsforschung werden zwei Strategien unterschieden: die Top-Down- oder die Bottom-Up-Vorgehensweise (vgl. Gräsel & Parchmann 2004, S. 198f.). Filk (2019, S. 74) präferiert für den diklusiven Kontext eine partizipatorische Herangehensweise, die sich vermutlich eher mit der zweiten Strategie verwirklichen lässt und betont dabei die Rolle der Kooperation: „Ziel eines Kooperationsnetzwerks ist es, inklusiv-medialer Bildung in Schulen mehr Gewicht zu verleihen. Dies meint in letzter Konsequenz die Herausforderung, eine neue Schule des Miteinanders und der individuellen Förderung in der Netzwerkgesellschaft zu gestalten. Partizipatorische Schulentwicklung ist dafür ein wichtiges Umsetzungsinstrument.”
Dennoch kommt der Schulleitung eine wichtige Aufgabe zu. Besonders das individuelle Rollenverständnis einer Schulleitung unterscheidet sich. Eine leitende, partizipative und gleichzeitig unterstützende Schulleitung, die ihren Fokus auf gemeinsame Werte und Visionen ausrichtet, wirkt sich positiv auf die Umsetzung von Inklusion aus (vgl. Scheer 2020, S. 346).
Übertragen auf die diklusive Schule ist zu vermuten, dass sich die Gelingensbedingungen in Bezug auf die Rolle der Schulleitung für Inklusion direkt auf Diklusion übertragen lassen (vgl. zusammenfassend Schulz 2021a, S. 39, nach Scheer 2020, S. 340ff.):
- Vermitteln eines positiven Bildes von Diklusion (eine Vision repräsentieren)
- Fortbildungen und Hospitationen ermöglichen,
- klare Erwartung an die Qualität und die Ergebnisse von Unterricht,
- Förderung hochwertiger Unterrichtsmethoden,
- Monitoring der Lernfortschritte
Zudem lassen sich die fünf Ebenen für eine diklusive Schule (vgl. Kap. 3.2) direkt in die diklusive Schulentwicklung und die oben durch Rolff, Zylka und Schulz-Zander (s.o.) zusammengetragenen Bereiche der Schulentwicklung übertragen und für den diklusiven Kontext spezifizieren (vgl. Zusammenfassend auch Schaumburg 2021, S. 34).
Auf der ersten Ebenesollte sichergestellt werden, dass digitale Medien zur Kompensation zum Einsatz kommen und die Lehrkräfte diesbezüglich zum einen fortgebildet sind (Personalentwicklung) und zum anderen bei besonderen Fällen auf eine oder verschiedene diklusive Beratungsstellen zurückgreifen können (Kooperationsentwicklung). Außerdem sollte geprüft werden (Technologieentwicklung), dass die zur Verfügung stehenden Endgeräte möglichst flexibel in verschiedenen Kontexten bezogen auf die Heterogenität der Schülerschaft Verwendung finden. Auf der zweiten Ebenesollten digitale Medien für die Individualisierung und zur Unterstützung von (meta-)kognitiven Strategien innerhalb der Unterrichtsentwicklung Berücksichtigung finden. Diese können auch klassen- und fächerübergreifend innerhalb der Schule entwickelt, angeglichen und ritualisiert werden (Kooperations- und Unterrichtsentwicklung).
Die zweite und dritte Ebene (Lernen mit Medien in Bezug auf Individualisierung und Kooperation) umschreibt gleichwohl die Unterrichtsentwicklung. Die Organisationsentwicklung greift wiederum bei der Vereinfachung von Verwaltungsaufgaben und Kommunikation durch digitale Prozesse (vierte Ebene). Außerdem wird in der vierten Ebene zudem die Kooperation unter Lehrkräften angeregt. Zur Personalentwicklung würden die Fortbildungen gerechnet werden, die nun auch auf digitalem Wege ermöglicht werden können.
Die fünfte Ebenebeschreibt den Kontext der Kompetenzvermittlung unter den Aspekten von Vielfalt und Heterogenität. Die Entwicklung einer Schulkultur stellt diesbezüglich eine wesentliche Grundlage für die Umsetzung von Inklusion dar, um einen respektvollen und wertschätzenden Umgang zwischen Lehrkräften und Schüler:innen sowie innerhalb der Schülerschaft zu erreichen (vgl. Entwicklung einer Kultur der Diklusivität, Schulz 2021b).
Der zuletzt benannte Kulturwandel innerhalb der Schule hin zu einer Kultur der Diklusivität ist eine notwendige Basis diklusiver Schulentwicklung. Die Haltung der Lehrkräfte und die vorherrschende Kultur an der Schule stellen bereits Booth und Ainscow in ihremIndex für Inklusion als zentrales Element dar. Sie unterscheiden in drei Dimensionen für eine inklusive Schule: Inklusive Kulturen schaffen, inklusive Strukturen etablieren und inklusive Praktiken entwickeln(vgl. Booth & Ainscow, übers. Boban & Hinz 2003, S. 17). Diese Maßnahmen sind gleichwohl grundlegend für die diklusive Schule. Hinzu kommt die Idee Stalders, der Kultur der Digitalität, die eine kritische und kulturwissenschaftliche Perspektive einnimmt, die noch nicht hinreichend auf schulische Kontexte übertragen wurde. „Die Erweiterung dieser Begrifflichkeit hin zu einer Kultur der Diklusivität beschreibt die inklusionspädagogische Perspektive der Etablierung einer inklusiven Gesellschaft innerhalb einer digitalisierten Welt.” (vgl. Schulz 2021b, S. 67).
Schaumburg (2021, S. 36) stellt für die digital-inklusive Schulentwicklung fünf zentrale Entwicklungsfelder in den Vordergrund:
- Inklusiv-digitale Infrastruktur und Ausstattung: Neben spezieller Hard- und Software sollten bei der Anschaffung auf Barrierefreiheit und einfache Bedienbarkeit Rücksicht genommen werden. Bei der Software ist es von Vorteil sich besonders mit individualisierbaren Lernplattformen und Lernprogrammen zu beschäftigen.
- Inklusiv-digitaler technischer und pädagogischer Support: Neben einem technischen und pädagogischen Support sollten gleichfalls Beratungsstrukturen für spezielle diklusive Settings bereitgestellt werden.
- Inklusiv-digitale Fort- und Weiterbildung: Didaktische Konzepte und Innovationen für den Unterricht können in Fortbildungsangeboten erworben werden. Zudem sollte die Etablierung einer Schulkultur für Diversität, die auf Teilhabe und Wertschätzung ausgerichtet ist, thematisiert werden.
- Inklusiv-digitale Kooperation: Kollegiale Kooperation findet vielerorts unter erschwerten Bedingungen statt (vgl. Schulz 2021a), wenn beispielsweise Sonderpädagog:innen für mehrere Schulen gleichzeitig zuständig sind und nicht beständig vor Ort erreichbar sind. Die Etablierung derartiger (digitaler) Netzwerke und Kooperationsstrukturen sind vermutlich ein wesentlicher Faktor für die Umsetzung.
- Inklusiv-digitale Schulleitung: Die Schaffung gemeinsamer Steuerungsstrukturen im multiprofessionellen Team ist notwendig, um die sonderpädagogischen, fachlichen, digitalen und weiteren Expertisen miteinander zu vereinen. So ist es möglich, Digitales und Inklusion direkt in Verschränkung miteinander in die Schulentwicklungsprozesse einfließen zu lassen.
Diesen theoretischen Grundlagen folgen die Praxisbeiträge dieses Kapitels, die nur einen kleinen Ausschnitt des Spektrums der diklusiven Schulentwicklung abbilden können.
Zunächst beschreibt Simon Koch die technische und pädagogische Implementierung von iPads an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung (vgl. Kap. 9.1). Neben der Darstellung der erforderlichen Infrastruktur wird auf notwendige Fortbildungsmaßnahmen verwiesen. Im Sinne der Organisationsentwicklung wird das Ausleihprinzip der iPads sowie die entsprechende Ausstattung der Klassenräume erläutert. Im Sinne der Unterrichtsentwicklung wird die Auswahl zu installierender Apps ebenfalls diskutiert. Der gleiche Autor stellt anschließend die WoltLab Suite™ als modulare Plattform zur Entwicklung einer datenschutzkonformen Lösung zur digitalen Schulentwicklung vor (vgl. Kap. 9.2).
Die Ebenen Organisationsentwicklung und Digitalisierung stehen hier im Mittelpunkt der Ausführungen. Das Kapitel abschließend diskutiert Michaela Verena Schmid den Einsatz von Schulbegleitungen im Distanzlernen (vgl. Kap. 9.3) und geht der Frage nach, welche Strukturen und digitale Tools dabei hilfreich sein können.
Literatur
Bartz, A. (2014): Besprechungen und Konferenzen leiten. Vorbereiten – moderieren – mit schwierigen Situationen umgehen. Erftstadt: Ritterbach Verlag.
Boban, I. & Hinz, A. (2003): Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule für Vielfalt entwickeln. Halle-Wittenberg: Martin-Luther-Universität. URL (abgerufen am 13.11.2021).
Filk, C. (2019): Onlife -Partizipation für alle. Plädoyer für eine digital-inklusive Bidung. In: Burow, O.-A. (Hrsg.): Schule digital – wie geht das?. Weinheim: Beltz, 61-81.
Gräsel, C. & Parchmann, I. (2004): Implementationsforschung – oder: der steinige Weg, Unterricht zu verändern. In: Unterrichtswissenschaft 32 (3), 196-214.
Rolff, H.-G. (2021): Schulentwicklung in Zeiten der Digitalisierung. In: Brägger, G. & Rolff, H.G. (Hrsg.): Handbuch Lernen mit digitalen Medien, Weinheim: Beltz, 165-188.
Schaumburg, H. (2021): Schulentwicklung – Inklusiv und digital? In: Plan BD, Fachmagazin für Schule in der digitalen Welt 3, 32-38.
Scheer, D. (2020): Schulleitung und Inklusion. Empirische Untersuchung zur Schulleitungsrolle im Kontext schulischer Inklusion. Wiesbaden: Springer VS. URL (abgerufen am 13.11.2021).
Schulz, L. (2021a): Diklusive Schulentwicklung. In: Medienpädagogik 41, 32-54. URL DOI: 10.21240/mpaed/38/2021.02.03.X. (abgerufen am 13.11.2021)
Schulz, L. (2021b): Kultur der Diklusivität: Auf dem Weg zu einer digital-inklusiven Schulgemeinschaft. Schule Verantworten | führungskultur_innovation_autonomie, 1(2), 64–71. URL (abgerufen am 13.11.2021)
Schulz, L. (2018): Digitale Medien im Bereich Inklusion. In: Lütje-Klose, B.; Riecke-Baulecke, T. & Werning, R. (Hrsg.): Basiswissen Lehrerbildung: Inklusion in Schule und Unterricht, Grundlagen in der Sonderpädagogik. Seelze: Klett/Kallmeyer, 344–367.
Sommer, S. (2019): “Man muss es ausprobieren” – Lerngelegenheiten der Lehrkräfteprofessionalisierung für inklusiven Unterricht. In: Sasse, A.; Kracke, B.; Czempiel, S. & Sommer, S. (Hrsg.): Schulische Inklusion in der Kommune. Münster: Waxmann, 243-258.
Zylka, J. (2018): Digitale Schulentwicklung. Das Praxisbuch für Schulleitung und Steuergruppen. Weinheim: Beltz.

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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