Lea Schulz
Die Kultusministerkonferenz (2012, S. 3) definierte den Begriff der Medienkompetenz als „Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein sachgerechtes, selbstbestimmtes, kreatives und sozial verantwortliches Handeln in der medial geprägten Lebenswelt ermöglichen. Sie umfasst auch die Fähigkeit, sich verantwortungsvoll in der virtuellen Welt zu bewegen, die Wechselwirkung zwischen virtueller und materieller Welt zu begreifen und neben den Chancen auch die Risiken und Gefahren von digitalen Prozessen zu erkennen.” Die Definition lässt sich zurückführen auf die Habilitation des Medienwissenschaftlers Dieter Baacke (1973), die bis heute noch gültig ist. Er unterscheidet dabei vier Dimensionen (Baacke 1999, S. 31ff.):
- Medienkritik beschreibt die Analyse von problematischen Prozessen, die (diesbezügliche) Reflexion des eigenen Handelns sowie die ethische Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und der sozialen Verantwortlichkeit.
- Medienkunde ist zusammengesetzt aus der informativen und der instrumentell-qualifikatorischen Dimension, die das Wissen über Medien und Mediensysteme beschreibt.
- Mediennutzung wird durch die rezeptive und anwendende Programm-Nutzungskompetenz und die Dimension des interaktiven Handelns beschrieben. Hierbei geht es um die bewusste und aktive Nutzung von Medien, z.B. für die Produktion eines Podcasts oder zur Erstellung einer virtuellen Präsentation.
- Mediengestaltung beschreibt den kreativen Umgang mit digitalen Medien. Es umfasst die Dimensionen kreativ und innovativ. Die Medienproduktion ist dabei das zentrale Element, dies kann ein gemeinsam gestaltetes E-Book, ein produzierter Trickfilm, ein selbst erstelltes Hörspiel oder ein digital gestaltetes Plakat sein.
Digitale Teilhabe wird aus der Perspektive der inklusiven Medienbildung als zentrales Ziel betrachtet. Medienbildung wird in diesem Sinne nach Bosse (2012, S. 13) als überwiegende „Vermittlung von Medienkompetenz verstanden”. Dabei wird Teilhabe aus der rechtswissenschaftlichen Perspektive (vgl. Welti 2005, S. 535) als Zugang zu gesellschaftlich relevanten Gütern oder sozialen Positionen bezeichnet (vgl. Bosse, Kamin & Schluchter 2019, S. 36). Aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive umfasst Teilhabe auch den Bereich der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. zur Gesellschaft (vgl. Kamin & Hester 2015, S. 91, nach Bosse, Kamin & Schluchter 2019, S. 36). Medienkompetenzen erweisen sich aufgrund der digitalisierten Gesellschaft als lebensnotwendig für alle, sodass diese für alle demnach erreichbar sein sollten (vgl. Schorb 2019, S. 70).
Teilhabe…
beschreibt sowohl Zugänglichkeit (z.B zu gesellschaftlich relevanten Gütern) als auch die Zugehörigkeit (z.B. zu einer sozialen Gruppe).
Die Bildungseinrichtung Schule sollte Schüler:innen befähigen, sich in der zunehmend digitalisierten Gesellschaft bewegen zu können, was sich in der Strategie „Bildung in der digitalen Welt” (2016) widerspiegelt. Selbstverständlich beschreiben die dort von der Kultusministerkonferenz aufgestellten für Schüler:innen in der Schulzeit zu erwerbenden Kompetenzen gleichwohl eine wichtige Grundlage für inklusive Settings. Dennoch sei an dieser Stelle benannt, dass einige Teilbereiche besonders in den Fokus von Inklusion und Teilhabe gerückt werden sollten. Der Einsatz digitaler Medien im Alltag (Abb. 8.1, fünfte Ebene des Fünfebenen-Modells, vgl. Kap. 3) beschreibt die Notwendigkeit der diversitätssensiblen Betrachtung der Förderung und Ausbildung von Medienkompetenzen unter dem Aspekt von Inklusion und Teilhabe:
„Bezüglich Inklusion bedeutet dies, dass es zwar keine Medienkompetenz der Inklusion geben kann, dass aber die Realisierung von Medienkompetenz dem jeweiligen Handlungsfeld, hier der Inklusion, Rechnung tragen muss.” (vgl. Schorb 2019, S. 70).

Die Entwicklung von Medienkompetenzen (wie bspw. in der Zusammenstellung in der Forderung der KMK, 2016) ist eine wesentliche Grundlage, um der Entwicklung der sogenannten digitalen Kluft (digital devide) in Bezug auf die Medienkompetenzen innerhalb der Gesellschaft entgegenwirken zu können. Die Spaltung der Gesellschaft vollzieht sich durch eine Unterteilung zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern von digitalen Medien. Bereits jeder siebte (ab 14 Jahren) bewegt sich nicht im Internet, darunter meist ältere Personen und Menschen mit einer geringeren formalen Bildung (vgl. Schelisch & Spellerberg 2021, S. 53). Die ICILS-Studie (2018) konnte gleichfalls für den Schulbereich aufzeigen, dass nur 2% aller an der Studie teilnehmenden Schüler:innen über die Fähigkeit verfügten, Informationen aus dem Internet kritisch zu analysieren. Außerdem wurde festgestellt, dass die digitalen Kompetenzen maßgeblich mehr vom sozioökonomischen Hintergrund als vom Alter der Schüler:innen abhängig sind (vgl. Senkbeil, Drossel, Eickelmann & Vennemann 2019, S. 301ff.), was die digitale Kluft in der Schülerschaft bestätigt. Nicht zuletzt die Studie „Leben mit geringer Literalität” (2018) konnte aufzeigen, dass die digitale Grundbildung eine wichtige Voraussetzung zur Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft darstellt, da digitale Praktiken die Hürden für „gering literalisierte Menschen” (Stammer & Buddeberg 2020, S. 161) verstärken.
Folgende Aspekte seien exemplarisch für den Bereich der inklusiven Medienbildung aufgezeigt:
- Schaffen von Zugängen im Sinne von Empowerment
- Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen im Internet
- Teilhabe und Partizipation in der öffentlichen Kommunikation
- Inklusion und Diversität in der digitalisierten Gesellschaft als Lerngegenstand
„Um Zugänge zu digitalen Medien im Sinne des Empowerments zu erleichtern, ist es notwendig, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, die es Menschen ermöglicht, die Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit in Bezug auf die eigenen Alltags- und Lebensbedingungen umzusetzen (vgl. Stark 1993, S. 41).” (Bosse, Kamin & Schluchter 2019, S. 39). Angebote der inklusiven Medienbildung in der Schule können somit einen Teil zum Empowerment beitragen, indem die Schüler:innen in der vorbereiteten medialen Lernumgebung Kompetenzen entwickeln können, die auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind und ihre Lernvoraussetzungen berücksichtigen.
Beispielhaft soll hier benannt werden, dass Schüler:innen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, sich mit Übersetzer-Apps bzgl. des Textverständnisses rückzuversichern; Schüler:innen, die Schwierigkeiten haben, schwierige Texte im Internet zu verstehen, dazu befähigt werden, bspw. Kindersuchmaschinen zu benutzen oder hinter ihren Suchbegriffen „leichte Sprache“ einzugeben, um die Suchergebnisse für sich zugänglich zu gestalten; oder die Anpassung von Einstellungen von Endgeräten bspw. um bei einer Sehbeeinträchtigung die Kontraste des Geräts so anzuzeigen, dass die Texte lesbar sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Entwicklung einer eigenen Identität. Die Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen wird immer mehr von sozialen Netzwerken geprägt. Digitale Medien sind im Alltag der Lernenden mit ihren Erfahrungs-, Handlungs- und Erlebnisräumen längst zu einer Sozialisationsinstanz geworden (vgl. Mikos 2004, S. 160). Umso wichtiger ist eine zeit- und altersangemessene Medienbildung für alle Schüler:innen, um Medienangebote kritisch zu reflektieren, diese ausgewählt zu verwenden und anzuwenden, und gleichzeitig die eigene Persönlichkeit verantwortungsvoll wie kreativ auszubilden (vgl. KMK 2012, S.5). Selbstverständlich ist es unerlässlich als z.B. ein Schüler mit Migrationshintergrund oder eine blinde Schülerin die Grenzen und Möglichkeiten der digitalen Angebote auszuloten und für sich nutzbar zu machen, um z. B. Social Media selbstbestimmt benutzen zu können, ggf. Peers zu treffen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen (vgl. Schorb 2019, S. 72). Jeder Mensch hat das Bedürfnis dazu sich mit anderen Menschen zu vernetzen, die ggf. ähnliche Gefühle, Bedürfnisse oder auch Probleme haben. So existieren vielfältige Gruppen zur Kommunikation im Internet, wie asperger autisten bei Facebook oder es wird den Vorbildern gefolgt, wie bspw. der blinden Youtuberin Fabiana aka Ypsilon. Für digitale Teilhabe ist es notwendig die Vielfalt in der Gesellschaft auch in den Medien abzubilden (vgl. Bosse 2019, S. 4). Die öffentliche Kommunikation sollte durch die Perspektiven aller Menschen der Gesellschaft erfolgen. Somit sei es notwendig, dass Redaktionen die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln (vgl. Bosse, Kamin & Schluchter 2019, S. 45). Hierfür sollen auch unsere Schüler:innen befähigt werden – ihre freie Meinung zu äußern und gleichzeitig ihre individuellen Perspektiven darzustellen.
Dies leitet in den letzten exemplarischen Unterpunkt über: In der Schule sollten Inklusion, Diversität und auch die negativen Auswirkungen wie Diskriminierung, Rassismus, Klassizismus u.v.m. in den Medien zum Lerngegenstand werden. Somit gilt es nicht nur eine Medienbildung unter dem Blickwinkel von Inklusion zu gestalten, sondern gleichzeitig auch Inklusion und Diversität zum Unterrichtsinhalt werden zu lassen. Themen wie die Darstellung von Menschen mit Behinderung in Filmen oder die Reflexion aktueller Nachrichten zum Fall #drachenlord, einem übergewichtigen Youtuber, der nach jahrelangem Cybermobbing und Verfolgung bis ins eigene Haus hinein, sich wehrt und zu zwei Jahren Haft verurteilt wird (vgl. Ballon 2021). Der Umgang mit Diversität stellt einen Teil der diklusiven Schulkultur dar: Wir sind alle anders und doch sind wir alle gleich, sowohl hier vor Ort, als auch in den Netzwerken!
Die Bildungsinstitution Schule trägt die Verantwortung zur Ausbildung von Medienkompetenz innerhalb der sich schnell digital entwickelnden Gesellschaft, um Ausgrenzungen innerhalb dieser digitalen Kontexte zu vermeiden. Somit sollte ein elementarer Bestandteil eines guten diklusiven Unterrichts die Förderung von Medienkompetenz unter dem Fokus von Heterogenität und Diversität darstellen, was im folgenden Kapitel mit Beispielen verdeutlicht wird.
Stefan Schwarz zeigt in seinem Artikel auf, welchen Herausforderungen Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen bei der Ausbildung von Medienkompetenzen begegnen und wie eine inklusive Medienbildung möglich wird (vgl. Kap. 8.1). Tipps und Tricks praktischer Natur wirft Susanne Dierker mit ihren Ideen zu Tools und Apps für die Ausbildung von Medienkompetenz auf (vgl. Kap. 8.2). Sogenannte Webquests stellen eine gute Möglichkeit dar, mit den Schüler:innen im Internet möglichst frei eine selbstgewählte Fragestellung zu erarbeiten. Jörg Tully erklärt, wie diese Methode im inklusiven Setting Einzug halten kann (vgl. Kap. 8.3). Erstes Programmieren und der Umgang mit kleinen Robotern sind für die informatische Grundbildung der Schüler:innen von Relevanz. Martin Lüneberger stellt einen Bodenroboter in Bienenform (Bee-Bot, vgl. Kap. 8.4) und das elektronische Erfinder-Kit Makey Makey (vgl. Kap. 8.5) vor, um diese Kompetenzen zu fördern.
Literatur
Baacke, D. (1973): Kommunikation und Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien. München: Juventa.
Baacke, D. (1999): Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten. In: Baacke, D.; Kornblum, S.; Lauffer, J.; Mikos, L. & Thiele, G. L. (Hrsg.): Handbuch Medien: Medienkompetenz. Modelle und Projekte, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 31-35.
Ballon, J. (2021): Youtuber „Drachenlord“ verurteilt. Aber was ist mit seinen Hatern? URL (abgerufen am 11.11.2021).
Bosse, I.; Kamin, A.-M. & Schluchter, J.-R. (2019): Inklusive Medienbildung. Zugehörigkeit und Teilhabe in gegenwärtigen Gesellschaften. In: Brüggemann, M.; Eder, S. & Tillmann, A. (Hrsg.): Medienbildung für alle. Digitalisierung. Teilhabe. Vielfalt. München: Kopaed, 35-52.
Bosse, I.; Schluchter, J.-R. & Zorn, I. (2019): Handbuch Inklusion und Medienbildung. Weinheim: Beltz Juventa.
Kultusministerkonferenz (2012): Medienbildung in der Schule. URL (abgerufen am 06.06.2021)
Mikos, L. (2004): Medien als Sozialisationsinstanz und die Rolle der Medienkompetenz. In: Hoffmann, D. & Merkens, H. (Hrsg.): Jugendsoziologische Sozialisationstheorie. Impulse für die Jugendforschung. Weinheim und München: Juventa Verlag, 157-171.
Schetisch, L. & Spellerberg (2021): Digital Devide. Soziale Aspekte der Digitalisierung. URL
Schorb, B. (2019): Medienkompetenz und Inklusion. In: Bosse, I., Schluchter, J.-R. & Zorn, I. (Hrsg.): Handbuch Inklusion und Medienbildung. Weinheim: Beltz Juventa, 65-76.
Senkbeil, M.; Drossel, K.; Eickelmann, B. & Vennemann, M. (2019): Kapitel X. Soziale Herkunft und computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich. In: Eickelmann, B.; Bos, W.; Gerick, J.; Goldhammer, F.; Schaumburg, H.; Schwippert, K.; Senkbeil, M. & Vahrenhold, J. (Hrsg.): ICILS 2018 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Köln: Waxmann, 301-334. URL (abgerufen am 06.06.2021)
Stammer, C. & Buddeberg, K. (2020): Geringe Literalität und Lebenssituation. In: Buddeberg, K. & Grolüschen, A. (Hrsg.): Leo 2018, Leben mit geringer Literalität. Bielefeld, wbv, 143-165. URL (abgerufen am: 11.11.2021)

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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