Formatvorlagen sind nicht alles, aber ohne Formatvorlagen ist alles nichts.
Florian Hilgers
Vorbemerkung
Wenn im folgenden Text von Leser:innen die Rede ist, so sind hiermit sämtliche Personen gemeint, die sich den Inhalt eines Dokuments eigenständig – also ohne eine persönliche Assistenz – erschließen. Dabei ist es völlig unerheblich, auf welche Art und Weise sich dieser Prozess vollzieht und welche Hilfsmittel dabei ggf. zum Einsatz kommen. Möglichkeiten könnten hier z. B. sein:
- Lesen des Dokuments (mit den Augen)
- Nutzung einer optischen Vergrößerung durch Hilfsmittel wie Lupe, digitale Lupe oder Bildschirmlesegerät
- Nutzung einer Braillezeile und Lesen des Textes über ein Punktschrift-System
- Anpassung von Vorder- und Hintergrundfarben, Wechsel der Schriftart, Zeilenabstand etc.
- Verwendung eines Screenreaders mit Sprachausgabe oder eines Gerätes mit Vorlesefunktion
Spätestens die letzten beiden Punkte machen deutlich, dass die Nutzung von Hilfsmitteln beim Lesen von Dokumenten nicht allein auf die Gruppe von sehbehinderten oder blinden Personen beschränkt bleibt. Nicht ohne Grund werden im Vertrag von Marrakesch, der einen erleichterten, grenzüberschreitenden Zugang zu Büchern und anderem gedruckten Material in einem barrierefreien Format garantieren soll, als begünstigte Personengruppe genannt: „blinde, sehbehinderte und anderweitig lesebehinderte Personen” (Europäische Union, 2018). Sie alle profitieren in höchstem Maße von barrierefreien Dokumenten, über deren Erstellung es im Folgenden gehen soll.
Barrierefreie Dokumente
Die Anforderungen an barrierefreie Dokumente sind besonders dann vielfältig und anspruchsvoll, wenn das Dokument Tabellen und Grafiken enthält sowie über ein mehrspaltiges Layout verfügt. In diesem Fall ist es ausgeschlossen, nur mit Hilfe eines Office-Programms Dokumente zu erstellen, die allen Kriterien der Barrierefreiheit genügen. Bevor ein solches Dokument – besonders in dem beliebten Format PDF – der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sollten Expert:innen hinzugezogen und/oder spezielle Programme zur Herstellung von Barrierefreiheit eingesetzt werden.
Damit sind Autor:innen jedoch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, sich um möglichst barrierefreie Dokumente zu bemühen. Im Gegenteil! Von Lehrkräften selbst erstellte Dokumente für den Unterricht bestehen in der Regel mehrheitlich aus einspaltigem Text und wenigen Seiten. Diese Dokumente können mit sehr geringem Aufwand barrierefrei gestaltet werden. Das Zauberwort lautet: Formatvorlagen.
Um es an dieser Stelle klar zu sagen: die Verwendung von Formatvorlagen führt bei der Erstellung von Dokumenten mit einem Office-Programm nicht zu (vollständig) barrierefreien Dokumenten. Je komplexer das Dokument, desto weniger barrierefrei lässt es sich auf einfache Weise gestalten. Die Erstellung barrierefreier Dokumente ohne Formatvorlagen ist jedoch schlicht und einfach unmöglich. Kurz: Formatvorlagen sind nicht alles, aber ohne Formatvorlagen ist alles nichts!
Wozu dienen Formatvorlagen?
Betrachten Sie diesen Text oder jeden anderen Text dieses Buchs. Alle verfügen über einen Titel, Überschriften und vielleicht sogar Unterüberschriften, die den Text strukturieren und übersichtlich gestalten. Größere oder kleinere Veränderungen im Layout (größere Schrift, Fettdruck, andere Schriftfarbe, besondere Abstände, Einrückungen etc.) werden von Personen, die den Text ohne zusätzliche Hilfsmittel lesen, erfasst und zur Orientierung benutzt. Dabei laufen viele dieser Prozesse zur Orientierung und Schaffung einer Erwartungshaltung unbewusst ab. Die Fähigkeit sehr schnelle, effiziente Blickbewegungen auszuführen, führt zu der Möglichkeit, einen Text zu überfliegen, sich blitzschnell Orientierung zu verschaffen oder sich direkt einem Abschnitt zuzuwenden.
Allen Leser:innen ist dies jedoch nicht ohne weiteres möglich. Selbst wenn ihnen ein Text als digitale Ressource zur Verfügung steht und ihr Hilfsmittel somit direkten Zugriff auf die Inhalte hat, sind diese Personen oftmals gezwungen, einen Text links oben zu beginnen, um sich dann Zeile für Zeile bis zu dessen Ende vorzuarbeiten. Ein Überfliegen des Textes („Enthält dieser Text überhaupt die Informationen, die ich suche…?“), die Schaffung einer Erwartungshaltung („Aus wie vielen Kapiteln/Abschnitten besteht der Text?“) oder das Wiederauffinden einer Textstelle („Wie hieß es da noch mal genau…?“) sind deutlich erschwert.
Genau an dieser Stelle kommen Formatvorlagen ins Spiel. Werden z.B. Überschriften mit Hilfe der Formatvorlagen Überschrift 1, Überschrift 2 usw. erstellt, so führt dies zur gewohnten (und gewünschten) visuellen Strukturierung des Textes – vorausgesetzt, die entsprechenden Formatvorlagen wurden dem gewünschten Layout der jeweiligen Überschrift angepasst. Gleichzeitig enthalten die entsprechenden Absätze aber nun nicht sichtbare Hintergrund-Informationen, wie z.B: „Ich bin eine Überschrift der Ebene 1“.
Diese Hintergrund-Informationen können nun durch unterschiedliche Hilfsmittel genutzt werden, um Leserinnen und Lesern einen leichteren und gezielteren Textzugang zu gewähren. Beispiele:
- Sprachausgaben wie der NVDA (2021) geben die Hintergrund-Informationen zusätzlich zum eigentlichen Textinhalt aus und informieren Leser:innen darüber, dass es sich beim aktuellen Abschnitt um eine Zwischenüberschrift handelt. Darüber hinaus verfügt die Sprachausgabe über Befehle wie z. B: „Springe direkt zur nächsten Überschrift.“ mit denen ein Dokument überflogen oder gezielt navigiert werden kann.
- Die Ansteuerung einer Braillezeile verfügt über einen speziellen Befehl, der sämtliche Überschriften der gewünschten Ebene(n) in eine eigene, navigierbare Liste überführt. So entsteht eine navigierbare Text-Übersicht, deren einzelnen Elemente direkt im Text angesprungen werden können.
- Der VIP-PDF-READER (2021) für sehbehinderte Menschen erstellt anhand der per Formatvorlagen definierten Überschriften ein navigierbares Inhaltsverzeichnis des Textes, welches sich auf Wunsch über das eigentliche Dokument legt. So kann auch ein mehrseitiges Dokument überflogen und vor allem direkt navigiert werden (vgl. Abb. 7.3.1).

Durch einen Mausklick in das durch den Reader auf Grundlage von Formatvorlagen erstellte Inhaltsverzeichnis konnte der Abschnitt „Wozu dienen Formatvorlagen direkt angesprungen werden.”
Ähnliches gilt für die Verwendung der Formatvorlage Listenabsatz. Visuelle Leser:innen sorgen bei sich unwillkürlich und intuitiv für eine Erwartungshaltung, indem sie sich beim Lesen einer Liste vergewissern, wie lang diese Liste (ungefähr) ist bzw. ob sie am Ende derselben angekommen sind. Wer hat nicht schon mal bei einer sehr ausufernden Liste zunächst ein oder zwei Seiten vorgeblättert, um eine Idee davon zu bekommen, wie lang diese Liste noch ist?
Kann eine Leserin oder ein Leser diese Information nicht visuell erfassen, läuft im Hintergrund stets die Frage mit, ob der aktuelle Absatz noch zu der Liste gehört oder nicht. Wurde eine entsprechende Liste mit Hilfe der Formatvorlage Listenabsatz versehen, so sind alle Listen-Absätze einer Liste logisch miteinander verknüpft und können ggf. durch ein Hilfsmittel ausgelesen werden („Listeneintrag 3 von 6: …“). Auf diese Art und Weise ist eine Orientierung innerhalb einer Liste leicht möglich, so dass sich die Leser:innen voll auf die inhaltliche Auseinandersetzung konzentrieren können.
Die Verwendung von Formatvorlagen
Die Verwendung von Formatvorlagen ist denkbar einfach und funktioniert in allen großen Office-Programmen wie Libre Office, Open Office, Microsoft Office oder Pages ähnlich. In all diesen Programmen kann man Absätzen über ein entsprechendes Menü die gewünschte Formatvorlage zuweisen, die dann für den aktuellen Absatz übernommen wird. Dabei ist es in der Regel nur notwendig, mit der Maus auf die gewünschte Formatvorlage zu klicken, während sich der Cursor im entsprechenden Absatz befindet (vgl. Abb. 7.3.2).

Gleichzeitig wird über die Einstellungen des Office-Programmes bestimmt, über welche Layout-Eigenschaften die entsprechenden Absätze verfügen sollen. Diese Layout-Einstellungen beziehen sich nicht nur auf Schriftart und -größe, sondern auf nahezu alle Format-Einstellungen, die einem Absatz zugewiesen werden können, also auch: Einzüge, Abstände, Zeilenabstände, Ausrichtungen, Tabulatoren, Rahmen usw.
Besonders wichtig dabei: die gewünschte Formatierung einer Formatvorlage erfolgt innerhalb des Menüs zur Zuweisung von Formatvorlagen. Solange die entsprechenden Änderungen hier erfolgen, werden sämtliche Änderungen an einer Formatvorlage automatisch auf alle Absätze eines Dokuments angewandt, die auf der entsprechenden Formatvorlage basieren. Man kann sich während des Verfassens eines Textes also vollständig auf dessen Inhalt konzentrieren, um dem Gesamttext am Ende mit wenigen Mausklicks ein auf den eigenen Vorstellungen basierendes Layout zu geben.
Apropos Layout: um sicherzustellen, dass die verwendeten Formatvorlagen später durch die Leserinnen und Leser genutzt werden können, sollten möglichst nur die folgenden Formatvorlagen zur Anwendung kommen:
- Standard
- Überschrift 1, Überschrift 2, Überschrift 3, Überschrift 4
- Listenabsatz
Diese -relativ kurze- Liste soll nicht verunsichern! Die inhaltliche Struktur eines Textes lässt sich mit diesen wenigen Formatvorlagen vollständige definieren. Weitere Gestaltungselemente eines Textes können zur optischen Differenzierung weiterhin direkt im Text angewendet werden. Entscheidend bleibt, dass alle zukünftigen Leser:innen einen direkten Zugriff auf die grundsätzliche Textstruktur – unabhängig ihrer grafischen Gestaltung – haben.
Übrigens: man kann sich während der Erstellung oder Überarbeitung eines Textes die per Formatvorlagen zugewiesenen Überschriften selbst zu Nutze machen, um gezielt durch den Text zu navigieren. Alle Office-Programme bieten die Möglichkeit, sich die verwendeten Überschriften in einer Art Navigationsleiste neben dem Text anzeigen zu lassen. Per Mausklick können Autor:innnen dann direkt zu der entsprechenden Überschrift springen. Dies stellt eine tolle Möglichkeit dar beim Arbeiten in längeren Dokumenten die Übersicht zu behalten!
Das Beste kommt wie immer zum Schluss
Ihre volle Wirkung entfalten Formatvorlagen spätestens dann, wenn sie im Zusammenhang mit dem Im- und Exportieren von Texten verwendet werden. Auch hierzu einige, kleine Beispiele:
- Die Strukturierung eines Dokuments mit Hilfe von Formatvorlagen bleibt erhalten, wenn dieses aus dem Office-Programm heraus in ein anderes Format exportiert wird. Ein als PDF oder HTML exportiertes Dokument wird im Hintergrund z. B. sämtliche Überschriften mit den Tags H1, H2, H3 usw. versehen haben, mit denen in diesen Dokument-Formaten die Überschriften der entsprechende Ebene gekennzeichnet werden.
- Apps für iPad und Android, die in der Lage sind, Word-Dokumente und/oder PDF-Dateien nicht nur anzuzeigen, sondern auch via Sprachausgabe vorzulesen, nutzen Formatvorlagen, um automatische Kapitelsprungmarken zu erzeugen, die dann in der Audiosteuerung perVor und Zurück angesteuert werden können. Gleichzeitig erstellen sie beim Öffnen mit Hilfe der Überschriften ein Inhaltsverzeichnis, das über ein Menü angezeigt werden kann.
- Beim kollaborativen Arbeiten an einem gemeinsamen Dokument mit Hilfe eines ZUMPads (vgl. ZLS, 2021) werden die dort bereits per Menü definierten Überschriften und Listen in einen möglichen Word-Export übernommen. Ist die Arbeit an dem gemeinsamen Dokument im Browser also beendet, kann das Endergebnis mit einem Klick in ein Word-Dokument überführt werden, welches – vorausgesetzt beim Arbeiten im ZUMPad wurde den Absätzen bereits die passenden Formatvorlagen zugewiesen – direkt über ein gutes Layout verfügt, da das im Office-Programm definierte Layout übernommen wird (vgl. Abb. 7.3.3).
- Bei der Umwandlung eines Word-Dokuments in ein für E-Book-Reader geeignetes Format, werden zugewiesene Überschriften automatisch verwendet, um ein für E-Book-Reader typisches Inhaltsverzeichnis zu erstellen, mit dem die verschiedenen Bereiche des Dokuments direkt angesprungen werden können.

Fazit
Die Verwendung von Formatvorlagen sorgt nicht nur für eine grundlegende Barrierefreiheit innerhalb des verwendeten Office-Programms. Vielmehr bleiben die per Formatvorlagen definierten Überschriften, Textabschnitte und Listen auch in anderen Programmen und exportierten Dateiformaten zugänglich und sorgen dort ebenfalls für Übersicht, Orientierung, direkte Navigation und Erwartungshaltung. Für alle Leser:innen besteht so die Möglichkeit, sich voll und ganz auf den Inhalt eines Dokuments zu konzentrieren.
Für einen inklusiven Unterricht bedeutet das: ein und dasselbe Dokument steht gleichberechtigt allen Schüler:innen einer Klasse zur Verfügung, und zwar völlig unabhängig davon, wie die einzelnen Schüler:innen das Dokument lesen, navigieren und verwenden.
Weiterführende Hinweise
NVDA (2021): Der NVDA ist ein kostenloser, open source Screenreader für Windows 7 SP1 oder später. Download und Informationen unter BA02.
VIP PDF-Reader (2021): Der VIP PDF-Reader ist ein kostenloser PDF-Reader für Menschen mit Sehbehinderung des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen, der PDF-Dokument nach den Wünschen der Benutzer:innen visuell neu ordnet und ggf. Inhaltsverzeichnisse und Sprungmarken automatisch erstellt. Download und Informationen unter BA03.
Literatur
Europäische Union (2018): Übersetzung Vertrag von Marrakesch zur Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte und anderweitig lesebehinderte Personen, Amtsblatt der Europäischen Union, L 48/3 vom 21.2.2018. URL: BA01 (abgerufen am 18.07.2021)
Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, ZSL (2021): Werkzeuge zum Lernen mit kollaborativen Textwerkzeugen. Stuttgart. URL: BA04 (abgerufen am 18.10.2021)

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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