Mit Apps Mathematik besser verstehen
Christian Urff
Übersicht
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Kurzbeschreibung
Übungs- und Trainingsapps dominieren den App-Markt. Für Kinder mit Verständnisschwierigkeiten sind sie jedoch oft keine große Hilfe. Vielversprechend für die Verständnisförderung im Mathematikunterricht sind virtuelle Arbeitsmittel, die im Gegensatz zu gegenständlichen Materialien erweiterte Lernchancen und Möglichkeiten der Vertiefung und Auseinandersetzung mit mathematischen Zusammenhängen bieten. Einige Beispiele und Möglichkeiten werden hier anhand der App Rechenfeld vorgestellt.
Was sind virtuelle Arbeitsmittel?
Auf der Suche nach Mathematik-Apps sind am häufigsten Übungsapps in den App-Stores zu finden. Die Lernenden bekommen in solchen Apps Aufgaben gestellt und nach der Eingabe eines Ergebnisses wird zurückgemeldet, ob die Aufgaben richtig oder falsch gelöst wurden. Leider können gerade Kinder mit Rechenschwierigkeiten, die beispielsweise überwiegend zählend rechnen, diese Apps kaum für die Weiterentwicklung ihrer mathematischen Kompetenzen nutzen (vgl. Urff 2014). Denn ein tragfähiges mathematische Verständnis besteht aus viel mehr als dem Ausführen einer Abfolge von Schritten oder dem Eintrainieren und Auswendiglernen von Rechenergebnissen. Deshalb sind für Kinder, die noch kein flexibles, tragfähiges mathematisches Grundverständnis entwickelt haben, reine Übungsbücher, Übungsblätter und Übungs-Apps meist nicht das Förderwerkzeug der Wahl.
Wenn Kinder mathematische Konzepte verstehen sollen, dann benötigen sie anregende, aktivierende Aufgabenstellungen, welche sie durch Ausprobieren und Operieren mit passenden Materialien wie beispielsweise Zwanziger- oder Hunderterfelder, Wendeplättchen, Stellenwertmaterial oder Abakus bearbeiten. Die Kinder erkunden dabei mathematische Zusammenhänge und erkennen bestenfalls, wie Mathematik funktioniert. Dies ist die gedankliche Grundlage dafür, um mathematische Operationen später im Kopfselbst vornehmen zu können und schließlich dann zu üben und anwenden zu können.
Virtuelle Arbeitsmittel können in diesem Verstehensprozess eine wertvolle Unterstützung sein und erweitern und ergänzen die Möglichkeiten realer Arbeitsmittel. Beim Lernen mit virtuellen Arbeitsmitteln steht das Ausprobieren und Entdecken von Zusammenhängen im Vordergrund, ähnlich wie dies bei gegenständlichen Arbeitsmitteln der Fall ist. Anhand der App Rechenfeld, einer digitalen Variante des Zehner-, Zwanziger- und Hunderterfeldes, werden nachfolgend einige Potenziale virtueller Arbeitsmittel (vgl. Rink & Walter 2020) verdeutlicht.

Die gelegten Mengen (beispielsweise 12 rote und 5 blaue Plättchen) und die dazugehörige Rechenaufgabe (12 + 5 = 17) werden in der App synchron zueinander dargestellt. Ändert der Nutzer die Mengen durch Verschieben der Plättchen oder durch Drücken auf einen Button, ändert sich entsprechend dazu die Rechenaufgabe. Dies funktioniert umgekehrt genauso. Dadurch können Bezüge zwischen unterschiedlichen Darstellungen von den Kindern leichter nachvollzogen und erforscht werden.
Zudem können am virtuellen Rechenfeld Handlungen angeboten werden, die an realen Veranschaulichungsmaterialien nicht möglich sind, jedoch große didaktische Potentiale bieten. Beispielsweise können Plättchen gebündelt gelegt werden (Kraft der Fünf, Dezimalsystem) oder mathematische Operationen über Animationen gezielt sichtbar gemacht werden (z.B. Minus-Animation, Verdecken von Zahlen, …). Das aktiv-entdeckende Lernen und Ausprobieren kann enorm vereinfacht werden, da Handlungen per Knopfdruck oft schneller, effektiver und exakter ausgeführt und auch wieder rückgängig gemacht werden können. Zudem kann das Kind im Lernprozess bereits gezielt unterstützt werden, indem begleitende fachspezifische Rückmeldungen angeboten werden wie beispielsweise visuelle Hinweise oder Text- und Audiorückmeldungen, die über ein reines Richtig oder Falsch hinausgehen.

Unterrichtsbeispiele
An zwei Beispielen wird veranschaulicht, wie das virtuelle Arbeitsmaterial Rechenfeld zusammen mit passenden Aufgabenstellungen das Verständnis von mathematischen Operationen besonders auch für Kinder mit Rechenschwierigkeiten unterstützen und erweitern kann.
Beispiel 1: Aufgaben mit möglichst wenigen Schritten legen
Eine gute Aufgabenstellung, um Kinder dazu anzuregen, geschickte Rechenstrategien zu entwickeln ist das Legen von Aufgaben mit möglichst wenigen Schritten.
Beispielsweise kann die Aufgabe 6 + 4 als Zielaufgabe angegeben werden. Je nach Entwicklungsstand der Kinder können die Kinder mit dem virtuellen Material Lösungsversuche entweder direkt ausprobieren oder erstmal die Lösung im Kopf überlegen und dann erst überprüfen. Die unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten der einzelnen Kinder können anschließend miteinander ausgetauscht und diskutiert werden.
Ziemlich umständlich ist das Legen von einzelnen Plättchen, hier sind insgesamt zehn Handlungen notwendig (vgl. Abb. 5.2.6.3). Effektiver ist es, die Funktion zum gleichzeitigen Legen von fünf Plättchen zu nutzen. Wird beispielsweise die erste Menge mit einer Fünferportion gelegt, sind nur noch sechs Handlungen erforderlich. Werden bei der zweiten Menge ebenfalls zunächst fünf Plättchen gelegt und dann wieder ein Plättchen entfernt, sind es sogar nur noch vier Handlungsschritte. Durch das Ausprobieren und Vergleichen solcher Legemöglichkeiten werden die Kinder dazu angeregt, sich über das geschickte Legen von Aufgaben und Verknüpfungen zwischen verschiedenen Aufgaben gezielt Gedanken zu machen und dadurch ein Verständnis für geschickte, effektive Rechenstrategien zu bekommen.

Es gibt sogar eine Lösungsmöglichkeit mit nur drei Handlungen: Dafür wird zunächst die erste und dann die zweite Menge mit Fünferportionen gelegt und dann ein Plättchen der zweiten Menge umgedreht (Doppeltipp oder entsprechender Knopf).
Beispiel 2: Umkehraufgaben erforschen
Der Zusammenhang zwischen Plus und Minus ist für viele Kinder zunächst oft ein Mysterium. Mit Hilfe der App Rechenfeld können Tauschaufgaben anschaulich erkundet werden.
Dazu gibt es am unteren Bildschirmrand einen Umschaltknopf für die Umkehraufgabe (vgl. Abb. 5.2.6.4). Voraussetzung für die Bearbeitung dieser Übung ist, dass die Kinder bereits ein grundlegendes Verständnis für die Operation Plus und Minus haben und Aufgaben dazu auf dem Rechenfeld legen und auch ablesen können. Nachdem zunächst beispielsweise die Aufgabe 6+2=8 gelegt wurde, wird auf den Schalter hingewiesen und die Möglichkeit vorgestellt die Umkehraufgabe anzeigen zu lassen. Die Kinder bekommen zunächst die Aufgabe, genau zu beobachten und zu beschreiben, was auf dem Feld und mit der Rechenaufgabe passiert, wenn sie auf den Umschaltknopf zwischen Plus und Minus gedrückt haben.
Beim Drücken auf den Tauschaufgabe-Knopf (gelbe Markierung) wird die zuvor hinzugelegte blaue Menge wieder animiert vom Feld geschoben. Zudem wird die Ergebniszahl der Plusaufgabe mit der Zahl an der Position des Minuenden der Minusaufgaben vertauscht. Rechts ist das daraus resultierende Rechenfeld dargestellt (vgl. Abb. 5.2.6.4).


Folgende Fragestellungen können anschließend, beispielsweise mit der Methode Think–Pair–Share, bearbeitet werden:
- Warum wird bei der Tauschaufgabe die Position der zwei Zahlen vertauscht?
Überlegt in Partnerarbeit anhand der Mengen auf dem Rechenfeld, warum die zwei Zahlen getauscht werden. Erstellt dazu mit euren Überlegungen ein kurzes Erklärvideo mit der Funktion Bildschirmaufnahme. - Weiterführende Aufgabenstellung: Wenn du ein rotes Plättchen dazu legst, wie verändert sich dann die Umkehraufgabe?
Solche und weitere Aufgaben regen Kinder gezielt dazu an, über die mathematischen Zusammenhänge zwischen den Tauschaufgaben vertieft nachzudenken und ein Verständnis zu entwickeln, warum und wie Plus und Minus miteinander zusammenhängt.
Fazit
Virtuelle Arbeitsmittel können das Lernen mit realen Arbeitsmitteln sinnvoll ergänzen und neue Lernchancen bieten – besonders für Kinder mit Verständnisschwierigkeiten. Dank Tablets in vielen Klassenzimmern sind sie mittlerweile schnell und flexibel verfügbar und einsatzbereit. Gute Apps regen zum Nachdenken und Experimentieren an und sind möglichst so gestaltet, dass mathematische Zusammenhänge mit entsprechender Anleitung und Begleitung erkannt und erforscht werden können.
Besonders effektiv ist die Kombination von denkanregenden Aufgaben und virtuellen Arbeitsmitteln. In Kürze erscheint eine App mit dem Namen Rechnen mit Köpfchen, die genau dies digital umzusetzen versucht.
Weiterführende Hinweise
Informationen zu seinen entwickelten Apps gibt es auf Internetseite: MA02
Literatur
Rink, R. & Walter, D. (2020): Digitale Medien im Matheunterricht – Ideen für die Grundschule. Berlin: Cornelsen.
Urff, C. (2014): Digitale Lernmedien zur Förderung grundlegender mathematischer Kompetenzen. Theoretische Analysen, empirische Fallstudien und praktische Umsetzung anhand der Entwicklung virtueller Arbeitsmittel. Berlin: Mensch und Buch Verlag.

Das Buch zum Beitrag
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