Lea Schulz
Innerhalb der Fachdidaktik können oben erwähnte Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten zur selbstständigen Arbeit bzw. zur Individualisierung des Lernprozesses ebenfalls Verwendung finden. Gleichzeitig existieren auch verschiedene Anwendungen, die bereits fachliche Inhalte integrieren. Eine Schwierigkeit, insbesondere bei Apps, die z.B. einen Teil des Curriculums abbilden, ist, dass die Inhalte sich nicht an den Lernvoraussetzungen der Schüler:innen orientieren, sondern quasi statisch vorgegeben sind. Derartige Apps können dennoch Verwendung finden, bedürfen jedoch einer Feststellung der individuellen Lernstände der Schüler:innen (vgl. Kap. 7) und einer sorgfältigen didaktischen Planung durch die Lehrkräfte zur Einbindung der Apps.
Eine weitere Gefahr ist durch die Dichotomisierung durch Algorithmen in richtig und falsch gegeben, da diese zu einer Rückkehr zu behavioristischen Ansätzen führen können und von der Idee der Förderung von Kindern und Jugendlichen im Sinne eines adaptiven individualisierten Unterrichts ablassen (vgl. Waffner 2020, Brüggemann 2014). Einige Anwendungen verfügen neben dem oft statischen Übungsbereich für Schüler:innen auch noch eine Plattform für Lehrkräfte, die es z.B. ermöglicht, Ergebnisse der Lernenden einzusehen oder sogar Übungen zuzuteilen, auszuwählen oder gar mit eigenen Inhalten zu ergänzen. Exemplarisch erwähnt werden sollen hier z.B. die Anton App (FA01) oder die Lernplattform Sofatutor (FA02) mit Übungen und Erklärvideos.
Innerhalb der Fächer können folgende Anwendungen Verwendung finden:
- Apps und Anwendungen mit fachlichen Inhalten, die eher statisch sind,
- Anwendungen, die über einen Lehrer:innenbereich zur Zuteilung von Aufgaben/ Übungen verfügen,
- Adaptive Lernsoftware, die sich ggf. an die Lernenden anpasst,
- Anwendungen, die von der Lehrkraft mit fachlichem Inhalt gefüllt werden,
- Tools, die den Lernprozess unterstützen (vgl. Kap. 5.1.)
Adaptive Lernprogramme passen sich an die Lernvoraussetzungen der Schüler:innen auf vielfältige Art und Weise an. Die Erhebung der Lernvoraussetzungen kann beispielsweise durch Zwischentests erfolgen, oder durch die Analyse der Nutzer:inneneingaben, die anhand von Modellen interpretiert werden und ggf. zu einer Weiterleitung der Nutzer:innen führen (vgl. Paramythis & Loidl-Reisinger 2004). Die Antworten können sowohl qualitativ als auch quantitativ ausgewertet werden und die Ergebnisse verweisen dann auf die nächsten Bearbeitungsschritte der Schüler:innen.
Besonders Schüler:innen mit wenigem oder mittlerem Vorwissen profitieren davon (vgl. Meta-Analyse von Gerard, Matuk, McElhany & Linn 2015). Dabei sind adaptive Lernprogramme überlegen, die ein vertiefendes konzeptuelles Verständnis fördern, im Vergleich zu Programmen, die nur ein einfaches Feedback geben (ebd.). Auf dem deutschen Markt existieren bisher nur wenige Anwendungen, die dieser Form der Adaptivität nachkommen können. Eine davon ist bspw. Bettermarks (FA03), die Lernplattform für Mathematik (vgl. Schulz 2020, S. 21ff.).
Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von inhaltsleeren Tools, die mit fachlichen Inhalten gefüllt werden können, z.B. TaskCards (FA04), Book Creator (FA05), Pages (FA06), Powerpoint (FA07), LearningApps (FA08), LearningSnacks (FA09), u.v.m. Diese können durch die Lehrkraft an die jeweilige Unterrichtseinheit sowie an die individuellen Lernvoraussetzungen optimal angepasst werden, sodass ein adaptiver Fachunterricht möglich ist. Dies hat den Vorteil, dass die Schüler:innen auf sie konkret zugeschnittenes digitales Unterrichtsmaterial erhalten.
Im Folgenden werden aus diesen unterschiedlichen Bereichen des Einsatzes digitaler Anwendungen Praxisbeispiele, Einsatzszenarien und Anwendungen aus den Unterrichtsfächern Deutsch, Englisch, Mathematik, Kunst, Musik und Sport präsentiert. Besonders der Deutschunterricht und der Umgang mit Schriftsprache beschäftigt die diklusiven Lernwelten.
Corinna Arff beschreibt Möglichkeiten des Einsatzes der App Book Creator, einem interaktiven E-Book, am Beispiel eines Förderzentrums Geistige Entwicklung (vgl. Kap. 5.2.1). Der Book Creator eignet sich aufgrund der vielfältigen Zugänge und Präsentationsmöglichkeiten (Audio, Video, Foto, Schreiben mit dem Stift, Schreiben von Text über die Tastatur, Zeichnen mit dem Stift) für heterogene Lerngruppen sowohl für die kooperative Zusammenarbeit als auch für die Darstellung von Arbeitsergebnissen durch einzelne Schüler:innen.
Katja Lauther berichtet von ihren Erfahrungen mit einer Tastatur, die die Buchstaben lautiert (vgl. Kap. 5.2.2). Mit der App Schreiben DE können ebenfalls Schrift mit Bildern kombiniert werden, um die geschriebenen Wörter direkt mit einer Bedeutung zu versehen.
Lea Schröder und Marie-Christine Vierbuchen beschäftigen sich dagegen mit der Förderung von narrativen Schreibfähigkeiten von Schüler:innen (vgl. Kap. 5.2.3). Das selbst erstellte Programm Reise nach Narrativa digital – eine Welt voller Geschichten lässt die Schüler:innen auf einer spannenden Flugreise über verschiedene Inseln ihre Schreibkompetenzen auf innovative Art und Weise erweitern. Grundlegend für alle Fächer im heterogenitätssensiblen Unterricht ist die Berücksichtigung von sprachlichen Lernvoraussetzungen. Schüler:innen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, haben häufig Schwierigkeiten aufgrund des fehlenden Wortschatzes den fachlichen Inhalten zu Folgen.
Nataliya Levytska beschreibt eine digitale Variante der Förderung des Wortschatzes zur Unterstützung des Aufbaus des inneren Lexikons über die kostenfreie Webseite LearningApps (vgl. Kap. 5.2.4). Interessensbasiertes Lernen mit der freien Wahl von Lernkomponenten steigert die Motivation und wird am Beispiel des bedürfnisorientierten Englischunterrichts von Claudia Sobotta dargestellt (vgl. Kap. 5.2.5). Ihre Schüler:innen dürfen ein individuelles Traumziel virtuell bereisen und dazu ein digitales Storyboard erstellen.
Visualisierungen spielen im Fachunterricht häufig eine große Rolle für das Verständnis der Inhalte.
Christian Urff beschreibt sein eigens produziertes digitales Hilfsmittel, die App Rechenfeld, für den Einsatz im inklusiven Mathematikunterricht (vgl. Kap. 5.2.6). Verschiedene Entwicklungsbereiche, aber auch Fähigkeiten für das Fach Kunst lassen sich durch den Kritzelclub fördern. Dorothea Wichmann zeigt unterschiedlichste Bereiche zur Förderung einzelnen Kompetenzen auf (vgl. Kap. 5.2.7). Ästhetische Bildung mit und durch digitale Medien lassen sich ebenfalls im Musikunterricht umsetzen. Die Produktion elektronischer Musik durch die App Garageband berücksichtigt individuelle Vorkenntnisse in der Musik. Stefan Grabowski berichtet von seiner Musikproduktion mit Schüler:innen im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung (vgl. Kap. 5.2.8). Ein inklusiver Sportunterricht kann gleichwohl durch digitale Medien unterstützt werden. Ulrich Theobald beschreibt den Einsatz von sogenannten Wearables als didaktische Ergänzung und Visualisierung zur Reflexion der eigenen Praxis (vgl. Kap. 5.2.9). Hiermit können individuelle Parameter wie Bewegungen oder Zeiterfassungen erfasst und dargestellt werden.
Ein Erfahrungsbericht von Isabel Hurtienne bildet den Abschluss der fachlichen Auseinandersetzung mit Diklusion. Sie berichtet von ihrem Schüler Leo, der durch die App Vocable AAC erste Erfolge im Schriftspracherwerb erlangen kann (vgl. Erfahrungsbericht, Kap. 5.2.10).
Weiterführende Hinweise
- Anton App: FA01
- Sofatutor: FA02
- Bettermarks: FA03
- Taskcards: FA04
- Book Creator: FA05
- Pages: FA06
- Powerpoint: FA07
- LearningApps: FA08
- LearningSnacks: FA09
Literatur
Brüggemann, M. (2014): Medienpädagogische Orientierungsmuster berufserfahrener Lehrkräfte. Medien + Erziehung, 58(6), 63–73.
Gerard, L.; Matuk, C.; McElhaney, K. & Linn, M. C. (2015): Automated, adaptive guidance for K-12 education. In: Educational Research Review, 15, 41-58. URL: FA10 (abgerufen am 01.11.2021).
Hattie, J. (2013): Lernen sichtbar machen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Paramythis, A. & Loidl-Reisinger, S. (2004): Adaptive Learning Environments and e-Learning Standards. In: Eletronical Journal on e-Learning 2 (1), 181–194.
Schulz, L. (2020): Diklusion: Lernen mit digitalen Medien im diklusiven Unterricht. Stuttgart: Raabe-Verlag.
Waffner, B. (2020): Unterrichtspraktiken, Erfahrungen und Einstellungen von Lehrpersonen zu digitalen Medien in der Schule. In: Wilmers, A.; Anda, C.; Keller, C. & Rittberger, M. (Hrsg.): Bildung im digitalen Wandel. Die Bedeutung für das pädagogische Personal und für die Aus- und Fortbildung, Münster/New York/ München/ Berlin: Waxmann, 57-102.

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