Beispiele für den Bereich Grammatik
Karin Reber
Digitale Medien bieten vielfältige Möglichkeiten der Sprachförderung und motivieren Kinder und Jugendliche bisweilen auch ganz neu für Lerninhalte. Da liegt es nahe, diese auch zur Sprachförderung einzusetzen, um Kompetenzen der Schüler:innen auf allen Sprachebenen zu fördern.
Kurzbeschreibung | Primärer Einsatzbereich | Übung – Alltagstransfer | Gramm. Zielstruktur | Wortschatz | Umsetzung Sprachförderung | Betriebs-system | |
Lexico Kasus (Pappy GmbH 2013), SP01 | Übungs-App zu den Fällen, Sprechanlässe | Therapie / Förderung | Übung | Nominativ, Akkusativ, Dativ | Versch. Themenfelder | App als Sprechanlasse, Üben in der Lautsprache | iOS |
learningapps.org (learningapps o.J.), SP02 | Lernplattform mit verschiedenen Übungsformaten, auch für die Sprachförderung nutzbar | Therapie / Förderung / Unterricht (alle Fächer) | Übung | Beliebig | Alle Themen möglich (erweiterbar) | Akkusativ üben in der Schriftsprache, evtl. zusätzlich als Sprechanlass | alle (Web-App, Internet nötig) |
Mein Bauernhof (wonderkind 2018), SP03 | Wimmel-App zum Thema Bauernhof mit animierten Situationsbildern | Förderung / Unterricht (Sachunterricht) / daheim | Übung, erster Transfer | Beliebig / frei im Gespräch | Bauernhof | App als Sprechanlasse, Üben in der Lautsprache | iOS |
Zeichnen für Kinder (Bini Bambini Academy 2020), SP04 | Kinder lernen unter Anleitung Schritt für Schritt zeichnen | Förderung / Unterricht (Kunst) / daheim | Übung, erster Transfer | Akkusativ | Verschiedene Themenfelder | App als hochfrequente Präsentation, Rezeption Akkusativ | iOS, Android |
ChatterPix (Duck Duck Moose 2020), SP05 | Fotos machen und sprechen lassen | Unterricht (alle Fächer) | Alltagstransfer | Beliebig / frei im Gespräch | Alle Themen möglich (Kreativ-App) | App als Sprechanlass, kreative Medienarbeit, Erzählförderung | iOS, Android |
Puppet Pals HD (Polished Play LLC 2018), SP06 | Sehr einfach Animationsfilme erstellen | Unterricht (alle Fächer) | Alltagstransfer | Beliebig / frei im Gespräch | Alle Themen möglich (Kreativ-App) | App als Sprechanlass, kreative Medienarbeit, Erzählförderung | iOS |
Motivation
Gerade Förderangebote zu den klassischen linguistischen Sprachebenen sind in der Schule zielführend, denn davon profitieren einerseits mehrsprachige Kinder, andererseits aber auch Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen. Letztere gehören zu den häufigsten sprachlichen Auffälligkeiten (vgl. Heilmittelbericht, AOK 2020). Die Lehrpläne der Bundesländer benennen sprachliche Bildung in der Regel als fächerübergreifendes Bildungsziel – genauso wie auch digitale Bildung. Anknüpfungspunkte für Sprachförderung bieten sich fächerübergreifend in allen Unterrichtsfächern und in allen Jahrgangsstufen.
Sprachförderung – ein Überblick
Sprachförderangebote im Unterricht beziehen sich je nach sprachlicher Lernausgangslage der SchülerInnen meist auf eine oder mehrere der Sprachebenen (vgl. Abb. 5.1.7.1).

Im Bereich Aussprache geht es darum, Laute korrekt zu bilden (Phonetik) und zu verwenden (Phonologie). Wörter aus dem Wortschatz (Semantik) tragen die Wortbedeutung und werden im Bereich Grammatik korrekt gebildet (Morphologie) und zu Sätzen kombiniert (Syntax). Aufbauend darauf gilt es dann, die Sprachformen auch kommunikativ angemessen zu verwenden (Pragmatik).
Vom Klassenprofil zum individuellen sprachlichen Förderziel
Für Kinder einer Klasse relevante Sprachförderziele lassen sich mit Hilfe von Verfahren der Lernverlaufsbeobachtungermitteln: Geeignet sind Spontansprachproben im Unterricht, eigene curriculumsbasierte Verfahren (evtl. auch erstellt mit digitalen Tools zur Unterrichtsvorbereitung), Gruppentestverfahren bzw. Schulleitungstests (genauer vgl. Reber & Schönauer-Schneider 2018). Auf diese Weise entsteht in den ersten vier Wochen des Schuljahres ein Sprachentwicklungsprofilder Klasse (vgl. Abb. 5.1.7.2), das im Sinne einer prozessorientierten Förderplanung im Lauf des Jahres kontinuierlich fortgeschrieben wird.

Meist stellt sich anhand des Klassenprofils heraus, dass es sprachliche Förderziele gibt, die viele Kinder der Klasse betreffen. In der dargestellten Lerngruppe kristallisieren sich v.a. zwei Bereiche heraus:
- Ein Kind (Jens) hat immer noch Schwierigkeiten mit der Verbzweitstellung und Subjekt-Verb-Kongruenz (im normalen Spracherwerb mit ca. 2,5 Jahren). Auf dieses Förderziel wird im Beitrag hier nicht eingegangen. Der Junge erhält eigene, differenzierte Förderangebote.
- Sechs Kinder stehen gerade beim Erwerb des Akkusativs(im normalen Spracherwerb ab ca. 3 Jahre): Sie bilden ihn schon manchmal korrekt, aber noch nicht immer. Insofern ist dies eine sinnvolles Förderziel in der Zone der nächsten Entwicklung. Vier Kinder benötigen diese Förderung im Kontext von Mehrsprachigkeit (Diana, Sebastian, Timo, Markus), zwei aufgrund einer Sprachentwicklungsstörung (Sofia, Thomas). Teilweise liegen noch weitere Beeinträchtigungen vor (z.B. geistige Behinderung, ADS, Störung des Sozialverhaltens)
Manche Kinder in dieser Klasse hatten gar keinen sprachlichen Förderbedarf – hier liegen die Schwierigkeiten eher in den Bereichen emotional-soziale Entwicklung oder Lernen.
Für die beschriebene Klasse wurde also für einige Kinder der Akkusativ als Förderziel gewählt. Im Folgenden wird an diesem beispielhaften Förderziel daher genauer erläutert, wie man diese Zielstruktur mit digitalen Medien fördern könnte.
Sprachförderung am Beispiel Grammatik – Akkusativ
Um grammatikalische Fähigkeiten von Kindern gezielt zu fördern, empfiehlt es sich eine Software oder App zu wählen, in der die gewünschte Zielstruktur im Sinne der Kontextoptimierung (vgl. Motsch 2017)
- gehäuft bzw. hochfrequent vorkommt (hier also oft Akkusativ),
- sprachliche Verwirrerbesonders zu Beginn möglichst vermiedenwerden (z.B. bei Akkusativ keine Strukturen mit Dativ),
- Formate des Kindes umgesetzt werden können (z.B. interessante Themen oder Spielformate),
- Fokussierende Gespräche bzw. Modellierenmöglich sind (man sich z.B. gemeinsam dialogisch mit der Software/App auseinandersetzt; bei Fehlern des Kindes modelliert der/die Gesprächspartner:in),
- ein Modalitätenwechseleingebaut werden kann (zunächst Rezeption: Kind hört zu, dann Produktion: Kind probiert selbst den Akkusativ aus; dann Reflexion: Metasprache zu den Besonderheiten des Akkusativs: nur bei Wörtern mit Artikel der (maskulinum) muss ich aufpassen, die verändern sich (der → den), bei den anderen Artikeln nicht) und
- wahrnehmbare Strukturangebote das digitale Lernen begleiten (z.B. ein Plakat zum Akkusativ genutzt werden kann, Artikelgesten angeboten werden, das n-Handzeichen beim Artikel maskulinum den verwendet wird). Da sich derartige Hilfen meist nicht in den Apps selbst finden, müssen sie von der Lehrkraft im Gespräch ergänzt werden.
Um speziell den Akkusativ zu fördern, sollten also besonders Verben mit Akkusativ verwendet werden, sowie zu Beginn v.a. maskuline Nomen (weitere Aspekte vgl. Reber & Schmaußer 2010):
- Um Akkusativ zu fördern, wählt man ein Thema bzw. Verben aus, die Sprechanlässe mit Akkusativbieten. Geeignet sind also alle Verben mit Akkusativ (z.B. etw. essen/fressen, etw. hören, etw. kaufen, etw. lieben, etw. malen, etw. suchen, etw. sehen, jdn. Suchen, etw. klauen, etw. tragen, sich etw. wünschen: z.B. Tiere wünsche sich ihre Lieblingsspeise: „Ich wünsche mir einen Riesenregenwurm!“
- Man beginnt in der Regel mit der Sicherung der Artikel im Nominativ. Erst dann bahnt man den Akkusativ an, beginnend mit der maskulinenForm (ohne Ablenker), denn nur im maskulinum unterscheidet sich der Akkusativ-Artikel vom Nominativ: maskulinum: „der Hund“ → „ich sehe den Hund“
femininum: „die Maus“ → „ich sehe die Maus“
neutrum; „das Pferd“ → „ich sehe das Pferd“
Grammatik mit digitalen Medien fördern
Umsetzen lassen sich diese Aspekte mit verschiedenen Arten von Apps bzw. Software-Angeboten jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen (vgl. Übersicht zu Beginn des Beitrags). Im Folgenden werden einzelne Apps genauer beschrieben:
Lexico Kasus (Pappy GmbH 2013) – Sprachtherapeutische Übungssammlung für grammatikalische Zielstrukturen
Möchte man ganz gezielt eine bestimmte Zielstrukturhochfrequent ohne Ablenkung durch andere Anforderungen üben, eignet sich die App Lexico Kasus (vgl. Abb. 5.1.7.3). Sie kommt aus dem Bereich der Sprachtherapie, und ist daher das speziellste der hier vorgestellten Angebote mit dem engsten, auf die Zielstruktur optimierten Übungskontext. Es finden sich Sprechanlässe zu Nominativ, Akkusativ und Dativ. Je nach Frage, Übung und Impuls, wird dabei die gewünschte Zielstruktur beim Kind evoziert bzw. angeregt.

Man wählt einen Inhaltsbereich(z.B. „Tier – fressen“) und eine Zielstruktur(z.B. „Akkusativ – Was frisst das Tier?“). Danach startet eine Zuordnungsübung: Bei der in Abbildung 3 gewählten Einstellung fragt der Sprecher: „Was frisst der Hund?“. Das Kind zieht die Karte auf das richtige Futter und sagt „den Knochen“. Anschließend wird in einem Reflexionbildschirm nochmal wiederholt und zur metasprachlichen Reflexion, auch visualisiert mit Bildern und Schrift, eingeladen.
Das Kind produziert auf diese Weise in kürzester Zeit ganz viele Akkusative: „den Knochen … den Frosch … die Nuss … die Maus … den Fisch …“, und nur Akkusative! Dabei verwendet es intuitiv die kürzeste Zielstruktur(„den Knochen“), und spricht keinen ganzen Satz, man sollte auch nicht dazu auffordern, denn kommunikativ ist in diesem Kontext kein ganzer Satz notwendig. Später in anderen Angeboten wird man dann nicht nur Phrasen evozieren, sondern auch kurze Sätze.
Begriffe können je nach Einstellung als Bild, Text und/oder Ton dargestellt werden. Dadurch sind alle Sprachmodalitäten möglich: lesen, schreiben, sprechen und verstehen. Mit Sprachausgabe ist die Aufgabe eher rezeptiv, ohne produktiv.
Einordnung: Einsatz in der Kleingruppenförderung oder als Station für einzelne Kinder im Unterricht, Fokus auf Sprachförderung (bzw. sogar Sprachtherapie), Inhalte vorgegeben und nicht erweiterbar, sehr enger Übungsrahmen, hoher Umsatz genau der einen Zielstruktur, kürzeste Zielstruktur wird hochfrequent evoziert, Akkusativ wird sprachlich auch durch App als Modell vorgegeben, deutsches und schweizerisches Sprachpaket
Reales und digitales Lernen vernetzen: Zuerst im Rollenspiel Tierfiguren füttern und dabei sprechen („Ich füttere den Hund“, „Wen fütterst du?“ „Was bekommt der Hund?“ „Den Knochen“ etc.), später dann mit der App üben.
Video (SP11) zur ähnlichen App Lexico Verstehen (Pappy GmbH 2017, SP12)
Individuelle Sprachförderangebote plattformübergreifend erstellen: learningapps.org
Ein aus anderen Kontexten bekannter Klassiker ist learningapps.org (LearningApps o.J. SP13). Mit dieser Lernplattform lassen sich für alle Jahrgangsstufen und Fächer digitale Angebote erstellen – auch für die Sprachförderung: Video (SP18)

Hier wurde z.B. zum Akkusativ ein Lückentext mit Feedback zum Thema Zoo erstellt: Die Schüler:innen sehen zunächst nochmal ein Merkplakat zum Akkusativ: Nur im Akkusativ verändert sich etwas! Evtl. könnte sich hier eine kurze Reflexionsphase anschließen. Dann füllen sie nur die Akkusativ-Objekte in die Lücken. Beim Tippen ist rechtschriftliches Wissen vorentlastet, indem die Grundform gegeben ist. Auf diese Weise steht nur die Akkusativ-Bildung im Fokus.
Das „Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung Bayern“ (ISB) stellt fertige LearningApps zur Sprachförderung bereit. (SP17)
Einordnung: Sehr enges Setting, starker Übungscharakter, statt Lautsprache wird indirekt über die Schriftsprache gelernt, geeignet zum Kick-Off/zur Reflexion, weniger für Alltagstransfer, eher Grammatikunterricht statt natürlicher Spracherwerb, für ältere Schüler:innen geeignet, Üben in vielen Sprachen möglich
Real und digital vernetzen: Echten Zoobesuch mit dem Zooplan planen und als Sprechanlass benutzen, von eigenen Besuchen erzählen
Wonderkind Wimmel-App „Mein Bauernhof“ (wonderkind 2018) – Wimmelbücher digital
Wimmelbücher sind in der Sprachförderung sehr populär. Es gibt sie natürlich auch digital, mit der Besonderheit, dass in kleinen Animationen Mehrinfos zu Themen oder Wortkonzepten geliefert werden können (z.B. auf die Sonne tippen: Es wird dunkel – Konzept Tag-Nacht).

In der App Mein Bauernhof (wonderkind 2018) stehen drei Situationsbilder zur Auswahl (Bauernhof, Feld, Stall). Je nach Eingangsfrage ist es möglich, ganz unterschiedliche grammatikalische Zielstrukturen bei den Kindern zu evozieren. Die Lehrkraft beginnt mit der gewünschten Zielstruktur, und die Kinder stellen dann reihum in der gleichen Art selbst Rätsel:
- Akkusativ: Lehrkraft (L): „Ich sehe einen Hund! Was siehst du?“ – Kind (k): „Ich sehe ein U-Boot!“
- Fragesätze: L: „Wo ist die Kuh?“ (W-Fragen) – K: „Da! … Wo ist die Ziege?“
- Nebensätze (weil): L: „Warum fährt die Oma mit dem Motorrad herum?“ – K: „Weil …“
- Nebensätze(wenn): L: „Was passiert, wenn es Nacht wird?“ – K: „Dann wird es dunkel. … Was passiert, wenn der Hund bellt?“
- Rätsel/Hauptsätze mit Verbzweitstellung (zeigen lassen): L: „Die Kuh frisst einen Apfel.“ – K: „Der Maulwurf aus Erde schaut“ (falsch), L (modelliert): „Genau, der Maulwurf schaut aus der Erde!“
- Rätsel/Relativsätze: L: „Ich sehe ein Tier, das einen Apfel frisst.“ – Kind zeigt, K: „Ich sehe einen Mann, der auf der Leiter steht.“
Diese App wurde nicht speziell für die Sprachförderung oder -therapie entwickelt: Sie kann aber, wie oben ersichtlich, dafür eingesetzt werden. Zielstrukturen müssen dann selbst gefunden und umgesetzt werden, denn sie werden durch keinen App-Sprecher vorgegeben. Der Erfolg hängt somit sehr stark von der passgenauen, an die Zone des Kindes angepassten didaktisch-methodischen Verwendung ab. Das ist natürlich zunächst eine Herausforderung für die Lehrkraft, bietet aber auch viele Freiheitsgrade: Die App kann dadurch ganz flexibel für verschiedenste Zielstrukturen eingesetzt werden! Die App wird als Sprechanlassgenutzt. Geübt wird direkt in der Lautsprache, nicht indirekt über die Schriftsprache.
Einordnung: Thematisch am Sachunterricht gekoppelter Einsatz möglich (Bauernhof), für alle oder einzelne Kinder, Frontalunterricht über Beamer oder offener Unterricht (Station), Inhalte nicht erweiterbar, verschiedene Umsetzungsvarianten möglich (Zielstruktur und Methode), auch kombiniert mit Schriftsprache möglich: Sätze schreiben, danach darf man antippen. Video: SP21
Reales und digitales Lernen vernetzen: Einbetten in ein Unterrichtsprojekt, Bauernhofbesuch, Spiel- und Lernsituationen mit Tierfiguren, Erzählen von Bauernhofbesuchen
Akkusativ-Bombardement und -Anwendung beim Malen:
App „Zeichnen für Kinder“ (Bini Bambini Academy 2020)
Die App Zeichnen für Kinder (Bini Bambini Academy 2020 (SP22)) ist eigentlich eine Zeichenschule für Kinder, unterrichtlich z.B. im Fach Kunst nutzbar. Das Besondere ist, dass ein kindlicher App-Sprecher alle Schritte handlungsbegleitend versprachlichtund dabei permanent Akkusativ sowie Wortschatz als Hörmodellanbietet (Rezeption). Der/die Schüler:in darf sich aus einem Themenfeld aussuchen, was er/sie zeichnen möchte, und dann Schritt für Schritt loslegen (vgl. Abb. 5.1.7.6).

Dabei wird das Kind vom App-Sprecher permanent mit Akkusativ bombardiert– die Lehrkraft könnte das in dieser Intensität im Klassenraum gar nicht für einzelne Kinder leisten: „Lass uns einen Vogel malen! … Male erst seinen Körper! … Nun male den Bauch! … Und seinen Schnabel! … Male jetzt seinen Flügel! … Und die Beine!“
Video (SP25) (Video englisch, die App kann aber auch auf Deutsch genutzt werden)
Einordnung: Obwohl es sich nicht um eine sprachtherapeutische App handelt, ist ein hoher rezeptiver Akkusativumsatz in einer natürlichen Situation gegeben; Inhalte fest vorgegeben, im Gespräch beim digitalen Malen kann man auch zum Produzieren von Akkusativ anregen (Nachfragen: „Was malst du jetzt?“); App bietet eine Brücke zwischen Übungssituation und Alltagstransfer; viele verfügbare Sprachen: Deutsch, Englisch, Russisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Türkisch, Chinesisch, …
Real und digital vernetzen: Später die Zeichnung frei auf Papier umsetzen und dabei mitsprechen, als Lehrkraft nachfragen: „Was malst du jetzt?“ Kind: „Den Bauch“ etc.
ChatterPix (Duck Duck Moose 2020) – Fotos von Dingen und Personen sprechen lassen
Oft ist es so, dass Kinder in Übungssituationen eine neue grammatikalische Struktur bereits gut umsetzen, aber der Transfer in den Alltag (z.B. Pausenhof, zu Hause) nicht klappt. Dann empfiehlt es sich, als Zwischenschritt die Zielstruktur nochmal gezielt in einer freieren Kommunikationssituation im Unterricht zu üben, in der neben der Zielstruktur aber auch andere Anforderungen bestehen (z.B. anderer Aufmerksamkeitsfokus, komplexere Aufgabenstellungen). Digital geht es dann oft Richtung kreative Medienarbeit.
Mit ChatterPix (Duck Duck Moose 2020) kann man ganz einfach Dinge und Personen aus der Umgebung zum Sprechen bringen, indem man z.B. einen Koffer fotografiert, dann einen Strich als Mund mit dem Finger einzeichnet und ihm dann per Mikrofon-Aufnahme Worte in den Mund legt (vgl. Abb. 5.1.7.7): Video (SP28)

Auf diese Weise entstehen umgrenzte Sprechsituationen, die zwar immer noch Akkusativ enthalten können, aber nicht mehr so hochfrequent und schon eher zufällig. Indem man als Lehrkraft noch Satzstartervorgibt, kann man evtl. nochmal mehr Akkusativ evozieren, im Beispiel zum Thema Länder der Welt mit einem kleinen, kreativen Schreibanlass: Ein Gegenstand (z.B. ein Koffer) etc. erzählt von seiner Reise in ein anderes Land. Die Schüler:innen planen im ersten Schritt ihren Schreibprozess, indem sie ihre Idee in der App einsprechen und evtl. mehrmals aufnehmen. Im zweiten Schritt schreiben sie ihre Idee auf. Auf diese Weise kommen auch Kinder mit grammatikalischen Schwierigkeiten zu korrekten Sätzen.
Noch ein paar Ideen für andere Zielstrukturen:
- Sachunterricht, Thema Wünsche:Fotos von Kindern etc. aus verschiedenen Erdteilen („Was wünschen sich Kinder in anderen Ländern?“, „Was wünschst du dir?“ – „Ich wünsche mir …“) vergleichen mit Wünschen der Kinder in der Klasse, Wünsche von Erwachsenen, Verhältnismäßigkeit, Probleme der Konsumgesellschaft
- Bildung für nachhaltige Entwicklung/Nebensätze:Dinge, Pflanzen und Tiere fotografieren und sagen lassen, warum es ihnen gerade nicht so gut geht – Foto Boden mit Müll: „Mir geht es nicht so gut, weil alle ihren Müll auf mich werfen.“
- Deutsch bzw. wörtliche Rede/Frage-, Ausrufe-, Aussagesatz und Satzstellung: Von einer Handlung Einzelfotos machen und die Äußerungen in wörtlicher Rede erst einmal sprechen, später aufschreiben
- Perspektivenübernahme, sozial-emotionale Förderung, Ethik/Nebensätze:Zwei Kinder haben sich gestritten. In einer Zweiergruppe machen die Partner:innen von jedem Kind ein Foto und lassen es aussprechen, was es gerade denkt oder fühlt: „Ich finde Niklas doof, weil …“, „Ich wünsche mir, dass …“ (Nebensätze). In einer zweiten Phase könnten sie über mögliche Lösungen nachdenken: „Ich könnte …“ (Konjunktiv)
Einordnung: App für den Alltagstransfer, sehr weites Kommunikationsfeld mit sprachlichen Ablenkern, nicht nur auf Akkusativ beschränkbar, Kreativität, Zielstruktur durch Satzstarter steuerbar (am besten visuell als Sprechblasen-Karten auf den Gruppentischen auslegen), durch Aufnahme wird Lautsprache reflektierbar, Kinder sind sehr motiviert mehrmals aufzunehmen, Motivation durch einfach erzeugbare, aber professionelle Arbeitsergebnisse
Real und digital vernetzen: per se gegeben: Fotos von der Realität machen und digital ausgestalten
Von der Grammatik- zur Erzählförderung: Animierte Filme drehen mit Puppet Pals HD (Polished Play LLC 2018)
Ganzeanimierte Dialogelassen sich mit der App Puppet Pals HD (Polished Play LLC 2018 SP29) erzählen. Auch mit dieser App kann man durch geschickte Wahl des Themas bzw. der Figuren und Hintergründe ganz bestimmte Zielstrukturen evozieren. Allerdings geht es hier noch mehr Richtung Alltagstransfer, denn beim Erzählen einer Geschichte bleibt wenig Aufmerksamkeit für einzelne Sprachebenen übrig. Außerdem mischen sich die Zielstrukturen durch die freiere Kommunikationssituation unvermeidbar. Inhalte und Themen sind unbegrenzt! Die Aufnahmefunktionerlaubt es, das Gesagte dauerhaft verfügbar und damit reflektierbar zu machen. Alles neu einzusprechen ist kein großer Aufwand: Tatsächlich sind viele Schüler:innen mit ihren Videos sehr kritisch und starten motiviert mehrmals. Dadurch entsteht ein hoher Sprechumsatz. Video: SP30
Einordnung: Ähnlich ChatterPix, aber noch weitere Kommunikationsfelder, auch Dialoge möglich, auf einfache Art entstehen ganz beeindruckende Animationsfilme, auch für Erklärfilme der Lehrkraft nutzbar (handlungsbegleitendes Sprechen einsetzen!)
Real und digital vernetzen: Beim Director’s Pass kann man eigene Kulissen und Figuren per Kamerafunktion integrieren: Um ganz passgenaue Filme zu drehen sowie Zeichnungen oder Fotos aus dem Unterricht zu verwenden, ist diese Version sehr empfehlenswert!
Prinzipien zum Einsatz digitaler Medien: Wie kann
Sprachförderung gelingen?
Noch zentraler als das WAS mit der Wahl der App bzw. der Software ist das WIE: Wie sollte man das digitale Medium einsetzen? Wie schafft man es, sprachliche Lernprozesse anzustoßen? Einige Aspekte seien hier genannt (ausführlicher vgl. Reber & Wildegger-Lack 2020).
Basis: Kommunikatives Milieu, Blickkontakt und Vorbild
bei der Mediennutzen sein
Grundlegende Basis für Sprachförderung ist, dass in der Klasse ein angstfreies, kommunikatives Milieu herrscht, in dem sich auch unsichere Kinder sprechen bzw. nachfragen trauen. Fehler sind erlaubt und werden inhaltlich wertschätzend modelliert. Blickkontakt unterstützt und belohnt die Mühe. Beim Sprechen sollte man sich immer anschauen, auch wenn man danach weiter mit dem digitalen Medium arbeitet.
Digitale Medien immer gemeinsam nutzen
Um Sprache zu fördern, reicht es nicht, Kinder vor Apps zu parken! Wenn man alleine mit einem digitalen Gerät ist, spricht man nicht(vgl. Abb. 5.1.7.8)! Das gilt sowohl für Erwachsene, wenn sie z.B. in der Bahn mit dem Handy beschäftigt sind, als auch für Kinder. (Gleiches gilt übrigens auch für Bücher, Arbeitsblätter & Co!) Man sollte also für Sprachförderung idealerweise immer zu zweit sein, entweder die Lehrkraft mit dem/n Kind/ern oder zumindest zwei Kinder. Oft ist es dabei hilfreich, heterogene Gruppen zu bilden, damit ein/e gute/r Sprecher:in Sprachmodelle geben kann (Stitzinger 2018).
Ein Kind allein mit der App | Zwei Kinder mit der App | Lehrkraft und Kind mit der App |
Kein Sprachumsatz | Sprachumsatz, aber ohne gezielte Vorgabe einer Zielstruktur (Akkusativ) | Sprachumsatz inkl. Gezielte Vorgabe einer Zielstruktur (Akkusativ) |
Kind tippt wahllos herum, tippt Dinge und Personen an, spricht aber nicht dabei. | K1: „Schau mal, ein Hund“K2: „Der ist aber dick! Schaut gefährlich aus“…K1: „Jetzt darf ich mal!“ … | L: „Lass uns Rätsel machen. Ich fang an, dann kommst du! Ich sehe einen Hund!“K zeigt, dann: „Ich sehe ein Storch“L (modelliert): „Hm, einen (betont) Storch…Den da? (zeigt) … |
Tab. 5.1.7.2 Sprachlicher Umsatz allein, zu zweit und mit Lehrkraft am Beispiel der Wimmel-App „Mein Bauernhof“ (wonderkind 2018, vgl. Abb. 5.1.7.5)
Dialogisches Sprechen über digitale Medien
(Impulse und Modellieren)
Mit guten Impulsenkann man beeinflussen, was und wie viel ein Kind antworten wird: Im Beispieldialog in obiger Tab. 5.1.7.2 zwischen Lehrkraft und Kind gibt die Lehrkraft zuerst ein beispielhaftes Modell („Ich sehe einen Hund!“) und präsentiert die korrekte Zielstruktur (Akkusativ „einen Hund“). Wenn sie mit einer geschlossenen Frage starten würde, z.B. „Wo ist der Hund?“, würde das Kind nur mit „da“ antworten und im Anschluss daran bestenfalls ebenfalls eine W-Frage mit „Wo ist …“ stellen. Es käme kein Akkusativ vor.
Bildet das Kind einen Akkusativ falsch, wird nicht getadelt oder rigide verbessert (z.B. „nein, das heißt ‚einen Hund‘!“), sondern eine korrigierte Version einfach in die nächste Äußerung der Lehrkraft wie nebenbei eingebaut („hm, einen (betont) Storch“). Man kann sogar noch einen zweiten Akkusativ zur Vertiefung präsentieren („den da“). Auf diese Weise modelliert die Lehrkraft die Zielstruktur und gibt ähnlich der elterlichen Sprechstile im kindlichen Spracherwerb gezielt Feedback. Das Kind hört das Feedback, muss aber nicht nochmal wiederholen. Meist tun es die Kinder jedoch von selbst, denn sie wollen ja sprechen lernen!
Reales und digitales Lernen vernetzen
Da Medien in der Regel Vermittler der realen Welt sind, bietet es sich an, gemäß der natürlichen Entwicklung auch im Unterricht den Wegvom Realen zum Digitalenzu suchen, also Lernerfahrungen z.B. zunächst mit allen Sinnen enaktiv zu machen, später symbolisch mit Modellen oder Bildern zu arbeiten und erst als höchste Abstraktion digitale Medien zu nutzen (vgl. EIS-Prinzipnach Bruner 1971, ausführlicher Reber & Wildegger-Lack 2020).
Z.B. könnte man zunächst Tiere in der Realität füttern oder zumindest Füttersituationen mit Spielfiguren im Rollenspiel nachspielen (z.B. mit Schleich®- oder Playmobil®-Figuren), bevor man gegen Ende der Förderung mit der App Lexico Kasus (Pappy GmbH 2013, vgl. Abb. 5.1.7.3) dann nochmal ganz intensiv und hochfrequent digital übt. Derartige Spielangebote können auch über eine Spielecke, in Ankommens- oder Freiarbeitsphasen als Belohnung organisatorisch integriert sein.
Alltagstransfer unterstützen
Sollen die Kinder eine neue Zielstruktur erlernen, sind enge Übungskontexte sinnvoll, in denen sie ohne Ablenkung das Neue hochfrequent trainieren können. Bei der Medienauswahl kann man also z.B. auf Übungs-Apps wie Lexico Kasus (Pappy GmbH 2013) zugreifen. Soll es aber Richtung Alltagstransfer gehen, dann sind eher Kreativ-Apps oder kreative Medienarbeit gefragt (z.B. Puppet Pals HD, Polished Play LLC 2018).
Ausblick: App-Ideen für weitere Zielstrukturen
Die Spannbreite an Apps ist also im Bereich Grammatik groß: von Spezial-Apps über allgemeine Lern-Apps bis hin zu Unterhaltungs-Apps gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Manche Apps haben dabei feste Inhalte integriert, andere sind durch eigene erweiterbar und dadurch besonders passgenau in den Unterricht integrierbar. Manche geben die Zielstruktur direkt sprachlich oder schriftsprachlich vor, bei anderen muss dies die Lehrkraft ergänzen. Bei einigen wird Lautsprache auch indirekt über die Schriftsprache geübt.
Um auch für andere Schüler:innen mit anderen Förderzielen (Ausgangspunkt Schüler:in) geeignete Software und Apps zu finden, entstand eine App-Sammlung zu verschiedenen Aspekten der Sprachförderung:
CC-BY Dr. Karin Reber (www.karin-reber.de) | Karin Reber & Hildegard Kaiser-Mantel: Apps für Schule und Therapie – für Sonderpädagogik, Inklusion, Förderschwerpunkt Sprache sowie Sprachtherapie (SP31) |
Alternativ empfiehlt es sich, ausgehend von bestimmten Unterrichtssituationen nach thematisch passenden Apps zu suchen (z.B. zu Themen des Sachunterrichts, zu Unterrichtsfächern allgemein) und dann zu überlegen, welche Zielstrukturen sich für welche Schüler:innen einbauen lassen (Ausgangspunkt Unterrichtsinhalt). Hilfreich dabei ist der Gedanke, wie die App als Sprechanlass genutzt werden kann.
Weiterführender Hinweis
Einige Grafiken des Beitrags stehen unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY 4.0: SP35) und dürfen in Vorträgen und Publikationen verwendet werden, wenn auf die CC-Lizenz und die Quelle verwiesen wird. Die Rechte an den Screenshots liegen bei den jeweils genannten Rechteinhaber:innen.
Literatur
AOK/WidO (2020): Heilmittelbericht. Ergotherapie, Sprachtherapie, Physiotherapie, Podologie. SP32 (abgerufen am 25.5.2021)
Motsch, H.-J. (2017): Kontextoptimierung: Evidenzbasierte Intervention bei grammatischen Störungen in Therapie und Unterricht. München: Reinhardt.
Reber, K. & Schmaußer, C. (2010): Hintergrundinformationen zum Akkusativ. In: Praxis Sprache 1, 3-5. SP33 (abgerufen am 25.5.2021)
Reber, K. & Schönauer-Schneider, W. (2018): Bausteine sprachheilpädagogischen Unterrichts. München: Reinhardt.
Reber, K. & Schönauer-Schneider, W. (2018a): Kompetenzprofile Sprache. Freies Online-Material zu Reber, K. & Schönauer-Schneider, W. (2018): Bausteine sprachheilpädagogischen Unterrichts. München: Reinhardt. SP34
Reber, K. & Wildegger-Lack, E. (2020): Sprachförderung mit Medien: Von real bis digital. Idstein: Schulz-Kirchner.
Stitzinger, U. (2018): Sprachliche Modelle in der Inklusion – Wie wirksam sind diese? In: Jungmann, T.; Gierschner, B.; Meindl, M. & Sallat, St. (Hrsg.): Sprach- und Bildungshorizonte. Wahrnehmen – Beschreiben – Erweitern. Sprachheilpädagogik aktuell. Beiträge für Schule, Kindergarten, therapeutische Praxis. Idstein: Schulz-Kirchner, 103-109.

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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