Nicht-lineare Inhalte interaktiv aufbereiten
Traugott Böttinger
Übersicht
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Zusätzliche Information: Grundlegende Erfahrungen im Umgang mit HTML-Editoren sind von Vorteil, allerdings finden sich online zahlreiche Tutorials und Beispiele. Twine gibt es als Onlineversion und als Download-Programm für iOS, Linux, macOS und Windows.
Kurzbeschreibung
Twine 2.0 wird häufig zum Verfassen digitaler, interaktiver Geschichten oder zum Erstellen textbasierter Adventurespiele genutzt, die nach dem Prinzip der Spielbücher (weitere Informationen bei Wikipedia: (TW02) funktionieren und es ermöglichen, deren Verlauf durch eigene Entscheidungen zu beeinflussen.
Lehrkräfte können Twine 2.0 aber auch anderweitig einsetzen, nämlich zum Erstellen nicht-linearer, interaktiver Selbstlerninhalte für verschiedene schulische Themen. Dabei bieten die Entscheidungsbaum-Struktur des Programms und das Verlinken von Bild-, Audio- oder Video-Dateien vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten.
Erstellen eines interaktiven Selbstlernmaterials
Was sind nicht-lineare, interaktive Selbstlerninhalte?
- Die Grundidee ist, dass nicht alle Schüler:innen beim Bearbeiten eines Themas die gleichen Lernschritte in gleicher Reihenfolge durchlaufen müssen, sondern eigenverantwortlich selbst Entscheidungen im Lernprozess treffen können.
- Selbstlerninhalte sind, eine vorherige Einführung vorausgesetzt, in der Regel ohne weitere, tiefgehende Hilfestellungen durch die Lehrkraft einsetzbar.
- Nicht-lineares, interaktives Lernen bedeutet, dass der Ablauf des Lernens sowie die Reihenfolge der Inhalte /Aufgaben davon abhängen, welche Entscheidungen getroffen bzw. welche Aufgaben bearbeitet werden. Je nach individueller Auswahl der Lernenden werden andere Folgeaufgaben bzw. Interaktionsmöglichkeiten angezeigt.
- Interaktives Selbstlernmaterial bietet viele Potenziale. Schüler:innen können individuelle Lernwege wählen und selbst entscheiden, ob sie z.B. vor dem Bearbeiten der Aufgaben bestimmte Inhalte noch einmal wiederholen möchten oder mit welchem Lerninhalt sie starten möchten. Zudem können Lehrkräfte über Verlinkungen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten integrieren, die multimodales (paralleles Ansprechen verschiedener Sinneskanäle) und multicodales (Darstellung von Inhalten über verschiedene Repräsentationsformen wie Erklärvideos, Diagramme oder Texte) Lernen unterstützen (vgl. Kap. 4).
Grundprinzip: Das Verlinken einzelner Passagen
Zum besseren Verständnis wird im Folgenden ein beispielhaftes Selbstlernmaterial vorgestellt und das Vorgehen sowie entsprechende Befehle erläutert. Inhaltlich zu verorten ist das Material im Sachunterricht im Bereich Raum und Mobilität bzw. in der Unterkategorie Orientierung im Raum. Zum Einsatz kam es in einer inklusiven dritten und vierten Jahrgangsstufe.
Zum Erstellen eines Lernszenarios, das von den Schüler:innen durchlaufen werden kann, ist es wichtig, den grundlegenden Aufbau von Twine 2.0 zu verstehen. Es handelt sich um einen Entscheidungsbaum (vgl. Abb. 5.1.6.1), der aus einzelnen Abschnitten (als Passagen bezeichnet) besteht, die untereinander verlinkt werden. Durch die Verlinkung werden die Passagen interaktiv, d.h. die Schüler:innen können jeweils entscheiden, zu welcher Passage (und damit zu welchem Inhalt bzw. welcher Aufgabe) sie als nächstes wechseln wollen (vgl. Hirsch 2020).
An dieser Stelle ist nur der vereinfachte Ausschnitt des Strukturbaums zum Thema Orientierung abgebildet, die Inhalte zum Kartenlesen und zu den Wiederholungen fehlen. Die Pfeile signalisieren jeweils die Verlinkungen. Über das Feld Start kann ausgewählt werden, mit welcher Aktion begonnen werden soll. Die vier Felder darunter stellen die Auswahlmöglichkeiten über Links innerhalb des Feldes Start der Schüler:innen dar. Beim Thema Orientierung kann zwischen einer Beispielaufgabe und dem Bearbeiten der Aufgabe zum Thema Stadtplan gewählt werden. Birkenstraße, Schulstraße und Einsteinstraße sind die drei Antwortmöglichkeiten, die wiederum jeweils mit der Musterlösung der Aufgabe verknüpft sind.

Für die Verlinkung ist ein einfacher HTML-Befehl notwendig, durch den beliebige Verlinkungen vorgenommen werden können (vgl. Abb. 5.1.6.2).

Wenn zum Beispiel weitere Aufgaben zur Verfügung gestellt werden sollen, wird der Verlinkungsbereich durch je zwei eckige Klammern eingegrenzt, der Pfeil verweist auf das Ziel der Verlinkung, in diesem Fall eine neue Passage für weitere Aufgaben. Im fertigen Selbstlernmaterial wird die Verlinkung dann im Browser angezeigt (vgl. Abb. 5.1.6.3). Durch Klicken auf den blauen Link gelangt man zur entsprechenden Passage, die von Twine automatisch im Strukturbaum angelegt wird, sobald der Befehl zur Verlinkung eingegeben wird.

Weitere Ausarbeitung eines interaktiven Selbstlernmaterials
Wie kann ein Startpunkt aussehen?
Zu Beginn können die Schüler:innen auswählen, mit welchem Inhalt sie starten möchten. Im Startmenü stehen Aufgaben zum Thema Orientierung sowie zum Thema Karten lesen zur Verfügung. Alternativ können beide Themen zunächst noch einmal wiederholt werden. Abbildung 5.1.6.4 zeigt das Startmenü des fertigen Materials im Browser.

Die blau hinterlegten Felder sind die Verlinkungen zu den entsprechenden Inhalten. Der Startpunkt wird erstellt, indem der Text eingegeben wird und die jeweiligen Verlinkungen hinzugefügt (vgl. Abb. 5.1.6.5) werden. Twine erstellt die vier neuen Passagen dann automatisch.


Wie kann die weitere Navigation gestaltet werden?
Möchte ein Kind zum Beispiel mit den Aufgaben zur Orientierung starten, so klickt es auf den entsprechenden Link und es öffnet sich die nächste Passage (vgl. Abb. 5.1.6.7). Dort kann das Kind dann entweder direkt mit der eigentlichen Aufgabe beginnen oder zunächst eine Beispielaufgabe (mit Lösungsweg) betrachten. Natürlich sind auch andere Navigationswege denkbar, wie z.B. eine verpflichtende Wiederholung bestimmter Inhalte vor der Bearbeitung von Aufgaben. Dazu müssen lediglich die Verlinkungen angepasst werden.

Wie können konkrete Aufgaben aussehen?
Grundlegend ist es die Entscheidung der Lehrkraft, welche Art von Aufgaben in welchem Umfang einbaut werden. Natürlich spielen hier auch die Lernvoraussetzungen der Schüler:innen und didaktisch-methodische Gesichtspunkte eine Rolle. Technisch möglich ist beispielsweise das Einbinden von Internetseiten, Videos, Filmen, Audiodateien oder eingescannten Texten. In diesem Beispiel (vgl. Abb. 5.1.6.7) handelt es sich um eine einfache, textbasierte Orientierungsübung mit Hilfe eines Stadtplans. Beim Aufrufen der Aufgabe wird ein Stadtplan mit einer kurzen Beschreibung eingeblendet. Die Schüler:innen sollen die Aufgabenstellung lesen, den beschriebenen Weg in Gedanken auf dem Stadtplan ablaufen und entscheiden, an welchem Punkt der Karte sie landen. Eine Lernunterstützung für Schüler:innen mit Schwierigkeiten im Leseverständnis kann bereitgestellt werden, indem die Textbeschreibung vertont und diese Audiodatei verlinkt wird – so ist das Lösen der Aufgabe nicht mehr vom Textverständnis abhängig. Abbildung 5.1.6.8 zeigt die entsprechenden Befehle, wobei v.a. der Befehl zur Einbindung des Stadtplans als Bild-Datei (hier im jpeg-Format) wichtig ist. Die Einbindung von Grafiken aus dem Internet erfolgt über <img src= URL des Speicherortes>.

Welche Antwortmöglichkeiten haben SchülerInnen?
Die Antwort zur oben beschriebenen Aufgabe kann aus mehreren Alternativen (in diesem Fall: Birkenstraße, Schulstraße, Einsteinstraße) gewählt werden. Hier können natürlich andere, oder auch zusätzliche, Lösungsvarianten eingebaut werden. Für jede Variante muss eine neue Verlinkung erstellt werden, die dann – je nachdem, ob richtig oder falsch geantwortet wurde – unterschiedliche weitere Möglichkeiten bietet. Bei richtiger Antwort (Schulstraße) öffnet sich eine neue Passage mit entsprechender Rückmeldung. Zudem kann die/der Lernende über das weitere Vorgehen (Lösung anzeigen oder Zum Start zurückkehren und eine neue Aufgabe auswählen). selbst entscheiden (Abb. 5.1.6.9).

Bei falscher Antwort kann die Aufgabe neu gestartet, direkt die Lösung angezeigt oder eine andere Aufgabe gewählt werden (Abb. 5.1.6.10).

Wie kann ich weitere Informationen oder Hilfestellungen geben?
Durch das Einbinden von Inhalten über Verlinkungen ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, das Selbstlernmaterial durch zusätzliche Informationen oder Hilfestellungen anzureichern. Denkbar ist zum Beispiel eine Art digitale Tippstation, die verschiedenartige und bezüglich des Unterstützungsgrades gestaffelte Hinweise oder Musteraufgaben mit Lösungsweg bereithält. Wichtig ist dabei, pro Tipp eine neue Passage zu erstellen und auf die richtigen Verlinkungen zu achten. Soll z.B. eine Homepage (hier OpenStreetMap) verlinkt werden, kann folgender Befehl genutzt werden (Abb. 5.1.6.11).

Das Einbinden von Videos funktioniert nach dem gleichen Prinzip, es ändert sich lediglich die URL.
Bei der Verlinkung von Inhalten aus dem Internet müssen drei grundlegende Dinge beachtet werden: Zum einen sollte auf eine creative commons Lizenz zurückgegriffen werden, damit die Inhalte kostenfrei verwendet werden dürfen. Zum anderen müssen die Inhalte online vorliegen. Dies ist bei Homepages oder Online-Videos kein Problem. Sollen jedoch z.B. selbst erstellte Bilder verlinkt werden, müssen diese erst online (z.B. in einem Padlet oder in einer Dropbox) gespeichert werden, da ohne URL keine Verlinkung möglich ist. Außerdem ist es denkbar, dass verlinkte Inhalte aus dem Internet gelöscht werden könnten und die Aufgabe in Twine dann mit einem neuen Link aktualisiert werden müsste.
Übersicht über wichtige Befehle bei Twine 2.0
Verlinkung: Hier findet du [[weitere Aufgaben -> weitere Aufgaben]]
Text fett: **wichtiger Inhalt**
Text kursiv: //wichtiger Inhalt//
Aufzählungszeichen: * aufzuzählender Inhalt
Ein Bild in eine Passage einbinden: <img scr= „URL des Bildes“>
Inhalte (z.B. Homepage) verlinken: <a href=“URL“ target=“blank“> Bezeichnung des Links </a>
Was muss ich sonst noch beachten?
Twine bietet die Möglichkeit, einen Strukturbaum während der Erstellung zu testen, auch wenn noch nicht alle Inhalte eingebunden oder alle Passagen erstellt wurden. Es ist auch möglich, einzelne Passagen direkt im Browser aufzurufen, um das finale Layout oder Verlinkungen zu überprüfen. Wer Twine direkt im Browser nutzt, sollte sich bewusst sein, dass die erstellten Inhalte im Cache gespeichert werden und damit nicht langfristig zur Verfügung stehen. Wird dieser geleert, ist auch der Zugriff auf bisher Erarbeitetes nicht mehr möglich. Daher empfiehlt sich die Nutzung der Desktop-App oder der regelmäßige Export bzw. Download der HTML-Datei in der Browservariante. Das Internet hält eine Vielzahl an Hilfestellungen und Tutorials für Twine 2 bereit. Dort finden sich auch Tipps für Fortgeschrittene. Zu empfehlen sind die YouTube-Tutorials von netzdurchblick.de und das OERcamp, u.a. mit Tutorials von Nele Hirsch.
Kann ich das Selbstlernmaterial personalisieren?
Personalisiertes Selbstlernmaterial ist unter Umständen für Schüler:innen ansprechender. Bei Twine ist es möglich, die Kinder mit Namen zu begrüßen und den Namen im Verlauf der Aufgaben immer wieder einfließen zu lassen. Mit dem Befehl aus Abbildung 5.1.6.12 erscheint im fertigen Material zu Beginn ein Fenster, in dem die Kinder ihren Namen eingeben können.

Twine ersetzt dann automatisch jeden Platzhalter ($name) durch den eingegebenen Namen (Abb. 5.1.6.13).

Fazit
Mit Twine lassen sich relativ einfach interaktive, nicht lineare Selbstlernmaterialien erstellen. Diese ermöglichen es den Schüler:innen, ihr Lernen individuell zu gestalten, da sie z.B. selbst entscheiden können, ob sie Inhalte wiederholen oder direkt mit einem bestimmten Inhaltsbereich beginnen möchten.
Großes Potenzial liegt auch in der Möglichkeit, multimediale und multicodale Zusatzinformationen oder Hilfestellungen zur Verfügung zu stellen. So kann eine Aufgabe durch ein Erklärvideo oder ein Fachtext durch Links zu Wörterbüchern und Websites mit weiterführenden Informationen angereichert werden. Texte für Schüler:innen können in leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden. Dies unterstützt den Lernprozess und baut gleichzeitig durch mangelnde Zugänglichkeit verursachte Lernbarrieren (z.B. Sehbeeinträchtigung, Leseschwäche) ab, indem auf alternative Darstellungsarten zurückgegriffen werden kann.
Die technischen Anforderungen sind für den Zugang der Schüler:innen niedrigschwellig: Die fertigen Materialien werden als HTML-Datei gespeichert, sind in jedem Browser nutzbar und können z.B. per E-Mail verschickt werden. Da Twine als OER lizenziert ist, können bereits auf der Homepage veröffentlichte Twines genutzt und an eigene Bedürfnisse angepasst werden.
Weiterführende Hinweise
Literatur
Hirsch, N. (2020): Mit Twine interaktive Geschichten, Spiele und Tutorials erstellen. URL: TW06 (abgerufen am 18.03.2021)
OER Camp (2020): Tutorials (oder interaktive Geschichten) erstellen mit Twine. URL: TW07 (abgerufen am 20.08.2021)
Erklärkarten vom Netzwerk nimm! URL: TW08 (abgerufen am 20.09.2021)

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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