Lea Schulz & Igor Krstoski
Inklusion beschreibt in der Praxis häufig einen Mangel: einen Mangel an Stunden für Lehrkräfte, einen Mangel an Ressourcen und Zeit. Insbesondere die häufig fehlende oder unzureichende Unterstützung durch sonderpädagogische Lehrkräfte erschwert die Umsetzung von Inklusion in der Schule.
Gleichwohl verschwimmt unter dem Dach der Inklusion häufig der Fokus, dass sonderpädagogische Expertise für dessen Umsetzung ein ausschlaggebendes Kriterium ist. Katzenbach beschreibt zwei wesentliche Punkte, die in Bezug auf die Ebene des Schulsystems von zentraler Bedeutung sind: die Organisation sonderpädagogischer Expertise und die Bereitstellung angemessener Ressourcen (vgl. Katzenbach 2017, S. 132).
Die sonderpädagogische Expertise im Komplex Diklusion soll an dieser Stelle hervorgehoben werden. Selbstverständlich sollten digital-inklusive Praktiken durch alle Lehrkräfte erlernt und langfristig in Lehr- und Lernsituationen umgesetzt werden. Dennoch ist es unerlässlich ebenfalls für diklusive Kontexte langfristig ein sonderpädagogisches Expert:innenwissen auszubilden (vgl. Abb. 3.5.1). Zentrale ursprüngliche sonderpädagogische Aufgaben wie Diagnostik, Beratung oder Koordination und Kooperation sind im digital-inklusiven Kontext ebenfalls relevant und müssen aus der Perspektive der digitalen Medien begutachtet werden.

Auf der ersten Ebene gibt es eine Reihe Assistiver Technologien, die von allen Lehrkräften nach einer kurzen Phase der Einarbeitung in den Unterricht integriert werden können (z.B. Verwendung des Google Übersetzer bei Mehrsprachigkeit oder eines Screenreaders zum Vorlesen von Texten am Bildschirm). Andere Assistive Technologien benötigen eine langfristige Erfahrung und wissenschaftliche Fundierung aus sonderpädagogischer Expertise heraus (bspw. Verwendung einer elektronischen Kommunikationshilfe zur Unterstützten Kommunikation, aber auch Einsatz strukturierender digitaler Mittel angelehnt an eine langfristige Förderplanung auf Basis von diagnostischen Prozessen). Im Kontext von Beratung können dann bestimmte Teilbereiche durch alle Lehrkräfte übernommen werden.
Sonderpädagogische Expertise im Bereich Diklusion sollte in transdisziplinären Teams eingebracht werden, um Inklusion und Teilhabe zu ermöglichen. Mit Hilfe des TPACK-Modells könnten die identifizierten Kompetenzbereiche in der Aus-, Fort- und Weiterbildung gezielt angesprochen werden, um beispielsweise den Einsatz Assistiver Technologien zu sichern. In der von Walter-Klose (2015) durchgeführten Meta-Studie werden Fortbildungsbedarfe zu den Themen sonderpädagogisches Fachwissen sowie Wissen zu Hilfsmitteln und Assistiven Technologien identifiziert (vgl. Walter-Klose 2015, S. 140).
Die dargestellte sonderpädagogische Expertise im digital-inklusiven Setting muss noch im Detail erarbeitet werden. Offene Forschungsdesiderata betreffen zum einen die konkreten digital-inklusiven sonderpädagogischen Arbeitsfelder, wie gleichwohl die Ausbildung von Kompetenzen in der Lehrer:innenbildung für einen digital-inklusiven Unterricht. Dieser Band kann als kleiner Beitrag dafür angesehen werden.
Literatur
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Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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