Das Projekt Inclusive Appucation im Rahmen der Lehrer:innenbildung
Michael Kirch
Ohne die Unterstützung durch verschiedene Tools oder Apps könnte ich nicht das tun, was ich heute beruflich mache. Mein Name ist Dr. Michael Kirch, ich bin Akademischer Rat am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und -didaktik der Ludwig-Maximilians-Universität.
Medien haben mir beim Lernen geholfen. Sie haben mir geholfen, Texte zu lesen. Texte, die ich lesen musste oder wollte. Medien haben mir auch beim Schreiben geholfen. Ohne sie hätte ich keine Doktorarbeit schreiben können. Und auch diesen Beitrag schreibe ich nicht. Ich diktiere ihn. Der Computer schreibt für mich und hilfsbereite Menschen helfen mir beim Korrigieren.
Diese persönlichen Erfahrungen bilden die Grundlage für das Projekt Inclusive Appucation, das nachfolgend vorgestellt werden soll.
„Inclusive …“
Die kurze Einführung macht deutlich, dass das Projekt Inclusive Appucation von einem weit gefassten Inklusionsbegriff ausgeht. Inclusive Appucation spricht damit nicht nur Lernende mit der einen oder anderen Behinderung an. Todd Rose, der Direktor des Mind, Brain and Education Programms an der Harvard Universität, sagt: „Human beings don’t line up perfectly. There is no average learner. They have strengths and weaknesses. They all do. Even geniusses do.“ (Hough 2015).
Überträgt man die Ausführungen von Rose auf die Schule kann man zu dem Urteil gelangen, dass die Ausrichtung von Unterricht an einzelnen fiktiven Durchschnittsschüler:innen, Ursache dafür ist, dass wir jeder/jedem einzelnen Lernenden nicht gerecht werden (vgl. Rose, 2017).
„… Appucation“
Die Wortkreation Appucation, aus Apps und Education, versucht zu verdeutlichen, dass Medien das Lehren und Lernen beeinflussen und manchmal sogar erst möglich machen.
„Inclusive Appucation“
Inclusive Appucation thematisiert das Lernen durch Medien, insbesondere das Lernen mit mobilen Endgeräten, die mit Hilfe spezifischer Geräteeinstellungen und Apps als Hilfsmittel das Lernen bzw. die Teilhabe aller ermöglichen (vgl. Schulz 2020). Apps dieser Kategorie werden im Rahmen des Projektes als Inclusive Apps bezeichnet. Es handelt sich um Hilfsmittel im Sinne Assistiver Technologien (vgl. Henne & Wienberg 2015).
Ein weiterer Schwerpunkt von Inclusive Appucation stellt das Lernen mit Medien dar (vgl. Schulz, 2020; vgl. Kap. 3). Apps dieser Kategorie sind nicht explizit für einen bestimmten Förderbereich ausgelegt. Im Rahmen des Projektes wird hier zwischen Learning Apps und Power Apps unterschieden. Learning Apps sind Anwendungen, die einen bestimmten Inhalt thematisieren oder einem Fach zugeordnet werden können. Learning Apps können auch Anwendungen sein, die ein Zusatzmaterial für ein Lehrbuch sind.
Power Apps dagegen sind fachübergreifende Apps. Sie stehen auf möglichst allen Systemen zur Verfügung und bieten häufig eine webbasierte Variante an.
Learning Apps und Power Apps können über inklusive Eigenschaften verfügen. Schulz und Böttinger heben hier die Multimedialität, die Interaktivität und die Adaptivität der Anwendung als notwendige Kriterien hervor (vgl. Schulz & Böttinger 2021).
Inclusive Appucation besteht jedoch nicht nur aus Apps, die bestimmten Qualitätskriterien entsprechen sollten. Vielmehr dreht es sich im Rahmen des Projektes auch um den Einsatz dieser Anwendungen im Unterricht. Hier bietet das Universal Design for Learning einen interessanten und hilfreichen Orientierungsrahmen (Cast 2021).
Zielgruppen
Inclusive Appucation ist ein Projekt des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Primäre Zielgruppe sind Studierende, Referendar:innen sowie Lehrkräfte der Grund- und Förderschulen. Sekundäre Zielgruppe sind die Schülerinnen und Schüler aller Schularten.
Inhalte
Inhaltlich orientiert sich das Projekt an den Förderschwerpunkten Sprache, Hören, Lernen, Sehen, körperliche und geistige Entwicklung. Mit dem weiteren Ausbau des Projektes werden zusätzlich die Themenbereiche Lese-Rechtschreibschwäche, Dyskalkulie, Deutsch als Zweitsprache und Hochbegabung integriert.
Die einzelnen Themengebiete sind ähnlich aufgebaut. Sie versuchen zu Beginn, in den Förderschwerpunkt einzuführen, so dass auch fachfremde Studierende, Referendar:innen bzw. Lehrkräfte ein Grundverständnis erwerben können. Zu diesem Zweck werden die inklusionsdidaktischen Lehrbausteine der Ludwig-Maximilians-Universität integriert (vgl. Heimlich, Gloe et al. 2021).
Nachfolgend werden Apps und Tools des jeweiligen Förderbereichs vorgestellt. Diese werden in den Präsenzsitzungen bzw. den synchronen Online-Sitzungen gemeinsam mit den Fachreferent:innen unter Bezug auf das Universal Design for Learning reflektiert.
Team
Inclusive Appucation wird von einem Team von Referent:innen der jeweiligen Förderschwerpunkte bzw. Themengebiete realisiert. Gemeinsam mit Herrn Dr. Michael Kirch entwickeln sie die Online-Lernumgebung, die seit dem Sommersemester 2020 aufgebaut wird. Die offene Lernumgebung ermöglicht die Umsetzung von synchronen und asynchronen Seminarveranstaltungen.
Die digitalen Medien ermöglichen im Rahmen des Projektes eine universitätsübergreifende Zusammenarbeit.
Fazit
Inclusive Appucation versucht, die Potenziale digitaler Medien für eine inklusive Bildung in die Lehrer:innenbildung zu integrieren. Die ersten Jahre des Projektes verdeutlichen, dass es bei Studierenden für das Lehramt an Förderschulen und das Lehramt an Grundschulen einen großen „Förderbedarf“ und großes Interesse für dieses Thema gibt.
Literatur
CAST (2021): About Universal Design for Learning. URL (abgerufen am 21.06.2021)
Heimlich, U. & Gloe, M., et al. (2021): Inklusionsdidaktische Lehrbausteine. URL (abgerufen am 21.06.2021)
Henne, M. & Wienberg, G. (2015): Was Sie schon immer über „Assistive Technologien“ wissen wollten, URL (abgerufen am 21.6.2021)
Hough L. (2015): Beyond Average. URL (abgerufen am 21.06.2021)
Rose, T. (2016): The End of Average: Unlocking Our Potential by Embracing What Makes Us Different. Harper Collins.
Schulz, L. (2020): Fünf-Ebenen-Modell für den Einsatz digitaler Medien in inklusiven Settings. URL (abgerufen am 21.06.2021)
Schulz, L. & Böttinger, T. (2021): Möglichkeiten digitaler Lernförderung – Wie können Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten von digitalen Medien im inklusiven Grundschulunterricht profitieren. Vortrag im Rahmen der FluxDays, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, 18.6.2021.

Das Buch zum Beitrag
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