Martin Lüneberger & Lea Schulz
Im Jahr 2016 legte die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrem Strategiepapier zur Bildung in einer digitalen Welt sechs Kompetenzbereiche fest, die als „Querschnittsaufgabe in der Lehrerbildung zu der alle Ausbildungsphasen mit ihren je eigenen Schwerpunkten einen Beitrag leisten müssen” (KMK 2016, S.28) postuliert wurden. Lehrkräfte müssen entsprechend, so die KMK, die Kompetenzen entwickeln, digitale Medien im Unterricht professionell und didaktisch sinnvoll nutzen und gemäß der föderalen bildungsadministrativen Vorgaben inhaltlich reflektieren zu können (vgl. ebd., S.25).
Beispielhaft seien hier die Digitalisierung der Lehramtsbildung der Universität Bamberg sowie der Orientierungsrahmen für die Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung des Landes Nordrhein-Westfalen genannt. Entsprechende Beiträge für die so genannte erste und zweite Phase der diklusiven Lehrer:innenbildung finden sich in diesem Kapitel.
Die UNESCO (2021) hat nach der 82. Mitgliederversammlung ebenfalls in ihrer Resolution deutliche Forderungen nach einer digital-inklusiven Lehrer:innenbildung gestellt: „Multiprofessionelle Zusammenarbeit sowie die Aus-, Fort- und Weiterbildung und Unterstützung der Lehrkräfte und des gesamten pädagogischen Personals spielen bei der Umsetzung einer chancengerechten und digital unterstützten Bildung eine zentrale Rolle.” Die UNESCO betont dabei, dass diklusive Bildung und das Lernen im Allgemeinen ein lebenslanger Prozess ist, der alle Bildungsstufen bis hin zur Erwachsenenbildung umfasst. Dies bedeutet, dass nicht nur die Lehrer:innenbildung in Bezug auf ein diklusive Curriculum in allen Lehrämtern eine Überarbeitung erfahren sollte, sondern alle Bildungsinstitutionen dazu aufgerufen sind, digital-inklusive Bildung zu integrieren und auch selbst durchzuführen.
Für die Lehrer:innenaus-, -fort- und -weiterbildung werden folgende Forderungen gestellt, denen sich die Herausgeber:innen dieses Buches anschließen:
- Das pädagogische Personal muss in Aus-, Fort- und Weiterbildung mit Herausforderungen der Digitalisierung unter Berücksichtigung von Chancengerechtigkeit vertraut gemacht werden.
- Für die Bildung pädagogischer Fach- und Lehrkräfte ist ein Gesamtkonzept der Verknüpfung von Chancengerechtigkeit und Digitalisierung notwendig.
- Alle Phasen der Aus-, Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fach- und Lehrkräfte sollten gezielt auf die Gestaltung digitaler Lehr-/Lernsettings in heterogenen Lerngruppen vorbereiten.
- Es bedarf erheblich mehr, sowohl kurzfristig bedarfsorientierter wie auch strukturell verankerter Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für inklusives und digitalgestütztes Lernen. Qualifizierungsangebote sollten das Bildungspersonal an allen Lernorten adressieren.
- Wenn neue Lernformate geplant und erprobt werden, muss die Chancengerechtigkeit immer im Mittelpunkt stehen.
- Multiprofessionalität sollte, auch in Bezug auf die chancengerechte Nutzung digitaler Anwendungen, in der Aus-, Fort- und Weiterbildung verankert werden.
- Für die neuen Aufgabenfelder an der Schnittstelle zwischen Pädagogik, Hard- und Software muss gezielt Personal qualifiziert werden.” (UNESCO 2021, S. 4)
Zu berücksichtigen sei, dass zum einen alle pädagogischen Fachkräfte eine diklusive Grundbildung erfahren sollte, gleichzeitig muss für bestimmte diklusive Spezifika ebenfalls diklusives sonderpädagogisches Expertenwissen ausgebildet, durch Forschung weiterentwickelt, in der Praxis innerhalb einer diklusiven Schulentwicklung und auch kommunal in einem Beratungssystem verankert werden, um bspw. den Umgang mit digitalen Kommunikationshilfen usw. zu erlernen (vgl. hierzu Kap. 3.5, Sonderpädagogisches diklusives Experten:innenwissen).
Die (angehenden) Lehrkräfte aller Lehrämter sollten ein diklusives Grundlagenwissen erwerben. Gleichzeitig sollte innerhalb der Sonderpädagogik diklusives Expertenwissen ausgebildet werden, dass später bspw. In Beratungsstrukturen abgebildet werden kann.
Diese Unterscheidung nehmen ebenfalls die Behindertenverbände in ihrem Pakt für Inklusion (2021) vor. Sie fordern einerseits „digitale Kompetenz der allgemeinbildenden Lehrkräfte und aller pädagogisch Tätigen einschließlich der Sensibilisierung für die Chancen digitaler Lernmedien hinsichtlich Barrierefreiheit und Nutzen digitaler Medien für Differenzierung und individuelle Förderung im Unterricht”. Andererseits verlangen sie „digitale Kompetenz der sonderpädagogischen Lehrkräfte innerhalb des Konzepts des Universal Design sowie Reflexion und Einsatz barrierefreier digitaler Medien für die Zugänglichkeit von Lerninhalten für Lernende mit Behinderungen unter Einbeziehung der für unterschiedliche Behinderungsformen verfügbaren Hilfstechnologien”.
Stephanie Wolf und Belinda Berweger berichten über ein hochschulübergreifendes Projekt der Universitäten Jena und Erfurt (vgl. Kap. 11.1). Mehr als 50 Studierende entwickelten ein gemeinsames Verständnis inklusiver Lehr-Lernangebote, welches in der Praxis an selbst gewählten Unterrichtsthemen entsprechend der Thüringer Lehrpläne angewandt und evaluiert wurde.
Michael Kirch beschreibt das Projekt „Inclusive Appucation” (vgl. Kap. 11.2), das versucht, die Potenziale digitaler Medien für eine inklusive Bildung in die Lehrer:innenbildung zu integrieren. Thorsten Groß (vgl. Kap. 11.3) vergleicht mit AVIVA und SAMR zwei Modelle zur Systematisierung des Einsatzes digitaler Tools im Referendariat und in Praktika für Studierende und skizziert mögliche Umsetzungen im Seminar.
Der Thematik einer differenzierten und digitalen naturwissenschaftlichen Bildung widmen sich Elizabeth Watts und Clemens Hoffmann (vgl. Kap. 11.4) und stellen ein entsprechendes Lehr-Lern-Angebot vor. Kevin Niehaus (vgl. Kap. 11.5) fokussiert die Bedeutung von Sprachbildung und Mehrsprachigkeit in der universitären Ausbildung junger Lehrer:innen und veranschaulicht die entsprechende Konzeption und Seminargestaltung an der Universität Duisburg-Essen.
Martin Lüneberger (vgl. Kap. 11.6) fasst in seinem Erfahrungsbericht Äußerungen von angehenden Lehrer:innen im Referendariat während des Lockdowns in der Corona Pandemie im Jahr 2020 zusammen. Die angehenden Lehrkräfte sind der Frage nachgegangen, welche digitalen Tools sich im Distanz- bzw. Hybridunterricht bewährt haben und wo Schwierigkeiten auftauchten.
Literatur
Deutsche UNESCO-Kommission (2021): Für eine chancengerechte Gestaltung der digitalen Transformation in der Bildung. Resolution der 81. Mitgliederversammlung. URL (abgerufen am 30.07.2021)
Kultusministerkonferenz (2016): Bildung in der digitalen Welt. URL (abgerufen am 30.10.2021)
Pakt für Inklusion (2021): Inklusive Bildung und Digitalisierung zusammen denken! URL (abgerufen am 20.10.2021)

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Diklusive Lernwelten” – ein Gemeinschaftswerk von 51 Autor:innen, das zeigt, wie digitale Medien die Inklusion wirklich aller Schüler:innen im Unterricht fördern kann. Mit vielen Erfahrungsberichten und Tipps direkt aus der Praxis!
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