
herr_ka_punkt: Soeben habe ich das Buch „Agilität und Bildung“ zu Ende gelesen. Was für ein Ritt, was für eine Erfahrung – Mind Blowing. Agilität ist nicht nur ein neumodisches Buzzword, ein Marketing-Verkaufsargument. Es steckt so viel dahinter, auch und vor allem im Bildungsbereich.
Ich weiß nicht wie es euch geht, aber nach dem Lesen eines Buchs halte ich einen Moment inne, denke über die Inhalte und was sie in mir auslösen nach. Erste Ideen zu Umsetzung kommen. Die Textfragmente oder auch Kapitel, die mich am meisten bewegt haben setzen sich wie Kaffeesatz ab. Bleiben kleben. Darum wäre es doch toll wenn wir diesen „Kaffeesatz lesen“ und hier mitteilen. Oder nennen wir es Goldstücke. Welche Goldstücke habt ihr im Buch gefunden?

christofarn: Bei mir gibt es viele einzelne Goldstücke, z.B. das Stufenmodell nach Peschl, auf das Reto Thöny und Karin Lutz-Bommer im Zusammenhang mit dem “Churer Modell” hinweisen. Darauf hatte mich etwa zeitgleich noch jemand hingewiesen. Dieses Stufenmodell erweitert mein Denken über Agilität eindrücklich! Solche einzelnen Goldstücke gibt es für mich sogar richtig viele in diesem Buch.
Und dann gibt es noch sowas wie ein “Gesamtgoldstück”: In diesem Buch lernen Lehrende gewissermassen gemeinsam das Lehren weiter. Hier entsteht Community, informell, und doch verbunden. Da ist eine forschende Grundhaltung, wissenschafts- und praxisorientiert gleichzeitig. Passend zur Idee der “scientific community” gehört diese typische Offenheit für Austausch, dieses voneinander und miteinander lernen, dazu. Sportliche Kompetition – ja, warum nicht, hat auch Kraft. Und doch im Gesamten Kooperaton: Wir teilen miteinander Ideen, kombinieren, interessieren uns für einander. Dies “Lern- und Forschungskollaboration” auch als Teil der Idee eines agilen Mindsets zu sehen, ist nochmals eine Erweiterung meiner bisherigen Art und Weise, Agilität zu denken: Agiles Mindset nicht als etwas denken, das ich habe, sondern als etwas, das wir gemeinsam haben. Oder von mir aus beides, aber die “kollaborative Agilität”, die mehr bzw. nochmals etwas anderes ist als die “persönliche Agilität”, diese in diesem Buch zu erleben, das ist auch ein Goldstück hier drin für mich, ein besonders Gewichtiges.

verolev: Ein grosses Goldstück ist, dass wir vielen Autor:innen aus so vielen Richtungen auf den Elefanten „Agilität und Bildung“ zugelaufen sind. Wir haben uns nicht gekannt und sind dennoch vertrauensvoll daraufzugegangen. Wir hatten alle schon einmal einen Teil des Elefanten durch die Bäume durchblitzen gesehen, aber so eine echte Vorstellung von der schieren Grösse des ganzen Tieres hatten wir alle nicht. Und dann sind wir zusammen mehrmals um den Elefanten herumgelaufen – und jetzt kennen wir ihn alle schon etwas besser. Ich mag den Elefanten sehr …

saegi: gerade auch das Jahr 2020 – mit den neuartigen Herausforderungen – hat uns als Menschen, als Unternehmen eindrücklich vor Augen geführt, wie nicht planbar unser Leben, unser Lernen und unser Arbeiten ist. In diesem Jahr wurde es für uns alle offensichtlich, dass die Idee der Planbarkeit – des vorausschauenden Handelns – wahrscheinlich eine Illusion ist. Wenn ich so meine Erfahrungen reflektiere, dann haben diese Illusionen in verschiedenen Situationen sehr viel Stress ausgelöst. Die Prüfungstermine an Schulen, die Meilensteine in Projekten, die fortlaufenden Versionen 0.1; 1.0; 2.0 etc. in Softwareentwicklungsprozessen, die Zielvereinbarungen für Mitarbeitende ….. da haben wir dann immer sehr viel Zeit und auch Hirnschmalz investiert, um herauszufinden, warum wir dies oder jenes wieder nicht erreichen konnten. Wir haben dann wahrscheinlich auch schon gespürt, dass wir keine trivialen Systeme – sprich Maschinen sind … und doch haben wir von uns und auch von anderen erwartet so zu funktionieren. Das hat sich in unserer Kultur “verfestigt” und uns immer wieder verführt den Mythos der Planbarkeit aufrecht zu erhalten. Ich, wir auch als Unternehmen TBF + Partner AG – wir wünschen uns, dass wir als Menschen lebendig sein und uns auch so begegnen können. Das Lebendige das unterscheidet uns von der Maschine und eben dieses lebendige auch bezüglich Lernen, Leben und Arbeiten wieder in den Vordergrund.
Mich interessiert auch sehr, wie es gelingen könnte das Agile in der Bildung und in realen Projekten wieder ganz natürlich zu verbinden. Auch als Unternehmen wollen wir die Projekte in den Bereichen Umwelt, Infrastruktur, Energie und Mobilität mit den Menschen verbinden. In dieser Vernetzung bedingen sich kontinuierlich Herausforderungen und lösungsorientierte Lernprozess – zirkulär und agil.

verolev: Der Zitatteil „Ich habe aufgehört zu trennen zwischen Arbeit und Freizeit“, ist spannend und symptomatisch für das Einsteigen in Agiles Arbeiten. Plötzlich lässt eine Arbeitsumgebung kreative und entdeckende Ausdrucksformen zu, die Lust machen, weiterzugehen. Das Forum Agile Verwaltung ist so entstanden. Ein Verein, lauter Spinner, die sich in ihrer Freizeit mit Agilität und Verwaltung befassen. Toll – und ein bisschen pervers?! Sehr spannendes Feld, das mit der Begeisterung in Leben und Arbeit. Gerade Lehrerinnen und Lehrer kennen die Freuden und Leiden einer engen Verknüpfung von Person im Leben und Funktion in der Arbeit. Kein einfaches Thema.

douglas: Mein Schlusswort, monologisch geschrieben:
Bei einer Publikation wie dieser könnte es nichts Schlimmeres geben als ein 80-seitiges PDF mit dem Titel “Richtlinien für Agilität in der Bildung”. Unsere Absicht ist es nicht, zu kodifizieren, sondern neu zu denken. Netflix zum Beispiel hat die Filmindustrie neu gedacht. Es ist nicht nur ein kulturelles Phänomen, sondern auch ein unternehmerisches, mit seinen Richtlinien für Ausgaben: “Im Zweifelsfall handle im besten Interesse von Netflix”. Man stelle sich vor: Eine Spesenabrechnung, bei der jede Mitarbeitende selbst überlegen muss, ob sie eine Ausgabe buchen soll.
In unserer Zusammenarbeit für dieses Buch, von der Inspiration einer einzelnen Idee über ihre Verbreitung über soziale Netzwerke bis hin zum Endprodukt, das Sie hier sehen, war agil unser Leitfaden. In nur vier Monaten haben wir uns von der Idee über den Inhalt und das Layout bis hin zum Endergebnis bewegt, als eine vernetzte Gemeinschaft, die von einem einfachen Gedanken geleitet wurde: Wir brauchen weniger Planung, mehr Agilität: In der Bildung, in der Verwaltung, vielleicht sogar in unserem Leben.
In der Lehre, so zeigt sich, funktioniert das gut. Wir alle kennen jedoch den Kommentar, der in so manchem Lehrerzimmer zu hören ist: “Die Unterrichtsstunde hätte gut funktioniert, wenn sich die Studierenden nicht eingemischt hätten.” Das Agile ist also nicht etwas, das man einwirft, nachdem man seinen Lehrplan über ein Semester hinweg sorgfältig ausgearbeitet hat. Nein: Es ist eine tägliche Praxis, eine tägliche Reaktion auf den Gedanken: “Handle im besten Interesse der Studierenden.” In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, liebe:r Leser:innen, eine spannende Reise durch Agilität und Bildung.

christofarn: Im Grunde genommen ist jeder Monolog stets auch ein Votum in einem Dialog. Nur entziehen sich manche Redenden diesem – dann findet er eben ohne sie statt. Bei Douglas allerdings weiss ich, dass er bleibt. 🙂
“Richtlinien für Agilität in der Bildung” ist wie Ganzkörpergips für Tänzer. Eigentlich wieder originell. Das Buch ist allerdings doch eher eine Langzeitverpflegung für die Reise durch Agilität und Bildung.
“Handle im besten Interesse der Studierenden/Lernenden” ist noch eine neue Definition von agiler Didaktik mehr! Überzeugend!

verolev: Schönes Schlusswort. Punkt… und dann noch einer… und vielleicht noch einen dritten… damit die Geschichte nicht aufhört.

ottokraz: Ich male noch meinen Teil dazu. Otto eben.


leonie_mollet: Vielleicht ist dieser Dialog zur Geschichte des Buches eben gerade darum besonders agil, weil wir uns nicht der Illusion hingeben wollen, dass wir jemals einen wahren Schlusspunkt setzen könnten. Insofern muss auch dieser nur ein Prototyp bleiben. Eine Momentaufnahme, die uns wiederum beim Formulieren unserer Bedürfnisse in Bezug auf einen übergeordneten Sinn hilft.

christofarn: Sägi schreibt noch auf WhatsApp:
[11:02, 23.12.2020] Andreas Sägesser: manchmal ist vielleicht auch im eindrücklichen büchern das wichtigste das, was nicht gesagt ist ..
[11:03, 23.12.2020] Andreas Sägesser: wir haben doch auch schon darüber gesprochen, dass durch die beschreibung der kunst diese verschwindet …
[11:03, 23.12.2020] Andreas Sägesser: vielleicht wäre das noch ein lustiger gedanke zum schluss …
[11:05, 23.12.2020] Andreas Sägesser: der versuch mit einem statischen medium „buch“ die dynamische idee der „agilität“ zu beschreiben … scheinbar ein unmögliches unterfangen ..

ursinakellerhals: Genauso wie wir uns mit Schulz von Thun ständig daran erinnern müssen, dass die Hoheit über den Inhalt einer Nachricht im Gespräch beim Empfangenden liegt, so führt uns die Tatsache, dass Lehre erst im Lernenden Wirklichkeit wird, in didaktische Formate, die agil sein müssen: zuhören, anpassen, überprüfen, ausprobieren und nochmals zuhören. Jede Lehr-Lern-Situation ist anders und letztendlich ein Dialog, bei dem der Empfangende die Hauptrolle spielt. Ich wünsche mir, dass diese Reise ebenfalls zum Dialog und Austausch anregt; mit dir – liebe Leserin, lieber Leser.

herr_ka_punkt: Und Ende. Das Ding ist in Kasten! Vorerst, denn das Thema „Agilität und Bildung“ lässt sich nicht einfach in ein paar Buchseiten einsperren. Ich habe gelernt, dass Agilität in Bildung ein schon bekanntes aber stetig wachsendes Feld ist. Agilität ist KEIN Buzzword. Es darf aber nicht einseitig gesehen oder genutzt werden. Vielmehr beschreibt es eine schon in Teilen bekannte Landschaft in der man immer wieder neue Dinge entdecken kann und altes wiederentdeckt. Dieses Buch ist der Versuch viele Elemente dieser Landschaft sichtbar zu machen. Ein Reiseführer sozusagen. Ich möchte die Leser:innen einladen, diese Reise anzutreten und selbst weitere spannende Orte dieser Landschaft zu finden. Dieses Buch — das habe ich festgestellt — ist ein guter Kompass.

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Agilität und Bildung” – ein Gemeinschaftswerk von 34 Autor:innen aus der Bildungsbranche.
Das Thema „Agilität und Bildung“ lässt sich nicht einfach zwischen zwei Buchdeckel packen. Vielmehr zeigt sich, dass Agilität in Bildung ein schon bekanntes, und zugleich stetig wachsendes Feld ist. Agilität ist KEIN Buzzword, sondern steht für eine wohlüberlegte Herangehensweise. Dieses Buch ist der Versuch, viele Elemente der Agilität sichtbar zu machen: Grundgedanken über Agilität genauso wie Praxisbeispiele aus dem Bildungsalltag. Ein kundiger Reiseführer sozusagen.
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