Das agile Unterrichtsgespräch
Susann Kubicek
Wie arbeitet man im echten Leben mit anderen zusammen? Indem einer, in der Rolle des Moderators, Fragen stellt (auf die er die Antworten schon weiß), sich die anderen reaktiv melden, vom Moderator drangenommen werden und die Fragen schließlich beantworten? Diese Form des frontalen Unterrichtsgesprächs ist leider reale Praxis in unseren Schulen, findet sich in leicht modifizierter Form häufig an Universitäten und tatsächlich auch in einigen Bereichen der beruflichen Weiterbildungspraxis. Diese Methode mag durchaus hier und da ihre Berechtigung haben, aber je älter meine SuS sind, desto störender empfinde ich die Nachteile. Am liebsten wäre es mir daher, wenn ich niemanden aufrufen müsste, wenn die SuS aktiv zum Unterricht beitragen würden, indem sie ohne Aufforderung sprechen, und ihre Gedanken und Ideen aufeinander achtend und gegenseitig wertschätzend äußern würden.
Als ich mit einer Schülergruppe im Rahmen eines internationalen Leadership Programms in Asien war, kam ich mit einer amerikanischen Kollegin auf eben dieses Problem zu sprechen. Sie machte mich auf die mir bis dato unbekannte Harkness Methode, die in den USA wohl sehr populär sei, aufmerksam. Die Kollegin erklärte mir, dass die Harkness Methode genau das macht, was ich gern hätte, nämlich – ganz einfach ausgedrückt – die SuS dazu zu bringen, sich selbstständig am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen und den Unterricht selbst besonders schülerzentriert zu gestalten.
Ursprung der Harkness Methode
Die Harkness Methode wurde 1930 vom Amerikaner Edward S. Harkness, damals einer der führenden Philanthropen seines Landes, für die Exeter Phillips Academy in Großbritannien entwickelt. Der Schulleiter der Academy, Lewis Perry, war ein enger Freund von Harkness. Neunzig Jahre später ist diese Methode noch immer zentraler Aspekt des Unterrichts an der Phillips Exeter Academy, heute eine Internatsschule, die über 1000 SuS aus 34 Ländern in den Jahrgangsstufen 9 bis 12 unterrichtet.
Grundlagen der Harkness Methode
Die Harkness Methode beruht auf einem verblüffend einfachen Prinzip: kollaboratives Problemlösen (KPL) und Lernen. Sie hebt sich dahingehend vom klassischen KPL ab, indem mittels konkreter Vorgaben und Instruktionen hinsichtlich des Umgangs zwischen den SuS ein klarer Fokus auf das schulische Setting gelegt wird und den zu bearbeitenden Hausaufgaben eine Schlüsselrolle zugewiesen wird. Die traditionelle Beziehung zwischen SuS und LuL im Klassenzimmer wird aufgebrochen, um die Verantwortung für das Lernen in die Hand der Lernenden zu legen.
Die Lernenden bewegen sich weg von ihrer Rolle als Konsumenten und werden zu Agenten.
Dies wiederum führt dazu, dass die SuS selbstständig denken, selbst Fehler machen und durch eben diesen Prozess das Lernen stattfindet. Anstatt die Lehrkraft als Quelle allen verfügbaren Wissens in einem bestimmten Fach anzusehen, lernen die SuS, die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden – in Kollaboration mit ihren Klassenkameraden – durch Teamwork zu lösen. Die Lernenden bewegen sich weg von ihrer Rolle als Konsumenten und werden zu Agenten.
Harkness macht dazu ganz spezielle Vorgaben: 12 SuS und eine Lehrkraft sitzen an einem ovalen Tisch und diskutieren zu einem vorgegebenen Thema. Dabei wird von den SuS erwartet, dass sie vorbereitet zu jeder Stunde erscheinen und ihre Hausaufgaben und Materialien (siehe Abschnitt „Die Harkness Methode in der Praxis“) dabei haben, um zielgerichtet und aktiv am Unterricht teilnehmen zu können. Die Redebeiträge der SuS werden aneinander gerichtet, nicht an die Lehrkraft. SuS schauen nicht ständig in der Hoffnung auf Bestätigung zu ihrer Lehrkraft.
In einem optimalen Setting spricht die Lehrkraft nur selten. Die SuS kommen mit Fragen oder Erkenntnissen zum Unterricht und beginnen von selbst eine Diskussion. Die Lehrkraft greift nur dann in das Unterrichtsgeschehen ein, wenn das Gespräch vom Thema abkommt bzw. wenn zusätzliche Informationen zum Gelingen der Diskussion benötigt werden.
Umsetzung der Harkness Methode im eigenen Unterricht
Voraussetzungen schaffen
Zu einer erfolgreichen Implementierung gehört, dass die SuS zunächst langsam an die neue Art des Unterrichtens herangeführt werden. Dies bedeutet, die SuS müssen ausreichend, der Lerngruppe angepasst, Zeit bekommen, mit der neuen Form des Unterrichts vertraut zu werden und diese erlernen. Sie müssen zusätzlich ein Regelwerk an die Hand bekommen, in dessen Rahmen sie sich bewegen können, bis der Unterrichtsablauf automatisch geschieht.
Jede einzelne Schülerin und jeder einzelne Schüler muss verstehen, dass sie und er die Verantwortung für das erfolgreiche Gelingen einer Unterrichtsstunde übernimmt. Dies geschieht, indem sie oder er
- den anderen aktiv zuhört,
- die Balance zwischen den Unterrichtsteilnehmern respektiert,
- auf einen sich entwickelnden Gedanken aufbaut,
- eine Verbindung zwischen Ideen, Gedanken und größeren Sachverhalten bzw. Aspekten herstellt,
- Monologe vermeidet,
- direkte Fragen stellt, die die Diskussion voranbringen und
- darauf achtet, dass nicht ein oder zwei Schüler die Diskussion dominieren.
Da die SuS die gesamte Diskussion und damit Unterrichtsstunde selbst tragen, werden an sie hohe Erwartungen gestellt. Um eine ertragreiche Diskussion aufrechtzuerhalten, müssen sie lernen, wie sie richtig mit den anderen interagieren. Dies gelingt, indem sie
- die Aussage einer Mitschülerin oder eines Mitschülers bekräftigen
- höflich die Aussage eines anderen in Frage stellen
- eine Frage stellen oder um eine Erklärung bitten
- auf eine Aussage, die früher gemacht wurde, zurückkommen
- als Beweis der eigenen Aussage, als Herausforderung für die Lerngruppe oder als Frage aus einem Text zitieren.
Eine Schülerin oder ein Schüler kann aber auch einen Gedanken anbringen, der die gesamte Gruppe zum Nachdenken anregen soll, indem sie oder er
- die Diskussion mit einer Frage, einer Beobachtung, einer Überlegung eröffnet
- Belege aus einer Textvorlage zitiert, die die SuS in ihre Überlegungen mit einbeziehen können und die zur Diskussion beitragen
- eine andere Meinung klarstellt, die sich eventuell im Lauf der Diskussion herauskristallisiert hat
- den aktuellen Stand der Diskussion zusammenfasst
- einen neuen Gedankengang vorstellt
Nicht nur inhaltlich wird von den SuS viel abverlangt, sondern auch der Umgang miteinander muss nach gewissen Regeln ablaufen. Diese können zum Beispiel sein:
- stelle Fragen, kritisiere, hinterfrage – vermeide provokatives Vokabular und Beleidigungen
- höre deinen Klassenkameraden genau zu und denke nach, bevor du antwortest
- vermeide es, anderen ins Wort zu fallen
- verzichte darauf, die Diskussion dominieren zu wollen
- beteilige dich an der Diskussion, auch wenn es dir schwer fällt und du dich eigentlich nicht traust
- sei aufgeschlossen
- sage, wenn jemand eine gute Aussage getroffen hat
- vermeide störende oder schlecht platzierte Kommentare, oder solche, die vom Diskussionsthema abweichen
- respektiere deine Mitschüler und erwarte Respekt von ihnen
- sprich deine Mitschüler mit Namen an (diesen Punkt finde ich persönlich sehr wichtig)
Die Harkness Methode in der Praxis
Um erfolgreich miteinander in einen Diskurs treten zu können, ist es wichtig, dass sich alle SuS sehen können. Da in den meisten Klassensälen meiner Schule die Tische in U-Form angeordnet sind, müssen nur wenige Tische umgestellt werden, um ein Rechteck in Anlehnung an die Vorgabe einer ovalen Form zu bekommen.
Für die SuS bedeutet das, nicht nur mit alten Gewohnheiten zu brechen, sondern auch Mut zu beweisen.
Ich habe mich irgendwo zwischen die SuS gesetzt, absichtlich auch in jeder Stunde an einen anderen Platz. Später, als die SuS mit der Methode vertraut waren, haben wir, wenn das Wetter es zuließ, unsere Unterrichtsstunden ins Freie verlegt.
Die ersten Schritte mit der neuen Unterrichtsmethode sind für die meisten SuS in der Regel schwierig. Sie müssen immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Handheben unnötig ist und sie frei sprechen können, sie aber gleichzeitig aufeinander achten müssen. Für die SuS bedeutet das, nicht nur mit alten Gewohnheiten zu brechen, sondern auch Mut zu beweisen.
Wenn man Harkness neu einführt, ist es sinnvoll, eine Art Gesprächsprotokoll zu führen. Dies soll in der Übungsphase nichts Inhaltliches widerspiegeln, sondern den Gesprächsanteil der einzelnen SuS aufzeigen. Die Lehrkraft dokumentiert also, wieviel die jeweiligen Schüler sagen und wer mit wem spricht. Am Ende der Stunde wird das Protokoll dann ausgewertet. Abbildung 1A veranschaulicht, wie solch ein schematisches Protokoll typischerweise aussieht.
Anhand eines solchen Protokolls wird sehr schön deutlich, welche SuS das Gespräch dominierten und welche sich entspannt zurücklehnten und das Geschehen verfolgten. Die Gesprächsanteile zu visualisieren, finden meine Lerngruppen immer sehr hilfreich, denn oft ist ihnen ihr Verhalten gar nicht bewusst. Die dominanten SuS berichten bei der Auswertung häufig, dass sie Gesprächspausen schlecht ertragen haben und sich genötigt fühlten, den schleppenden Diskurs am Leben zu erhalten; ruhige, schüchterne SuS zucken hingegen meist nur mit den Schultern oder schieben ihr Schweigen auf die dominanten SuS.
Je mehr sich die Harkness Methode in der Lerngruppe etabliert, umso interessanter wird es, das Verhalten der SuS zu beobachten.
Bereits nach wenigen Stunden lässt sich beobachten, dass sich der Gesprächsanteil der einzelnen SuS über die gesamte Gruppe zu verteilen beginnt. Die Hausaufgaben, die auf die Stunde vorbereiten sollten, werden plötzlich ernster genommen und anders bearbeitet, weil es sich vorbereitet besser diskutiert und es für den einen oder anderen langsam unangenehm wird, wenn sie oder er sich weiterhin zurückhält.
Je mehr sich die Harkness Methode in der Lerngruppe etabliert, umso interessanter wird es, das Verhalten der SuS zu beobachten.
Die dominanten beginnen, sich zurück zu halten und anderen das Wort zu überlassen, weil diese wiederum in der Evaluationsrunde berichtet hatten, dass sie nicht zu Wort gekommen wären. Schüchterne Schüler eröffnen plötzlich die Diskussion am Anfang der Stunde, damit sie ihren Redeanteil hinter sich bringen können; vielleicht greifen sie später sogar noch einmal ins Gespräch ein, weil sie ihren Gedanken doch unbedingt loswerden wollen.

Abbildung 1B veranschaulicht ein beispielhaftes Protokoll, wenn die Harkness Methode erst einmal etabliert ist.
Als Lehrkraft muss man sich dessen bewusst sein, dass man nicht alle SuS mit dieser Methode erreicht, weil sie sich nicht in dem gewünschten Maß am Unterricht beteiligen können oder wollen.
Es ist wichtig, dass man im Anfangsstadium keine Angst vor der Stille hat, dass man – auch längere – Gesprächspausen und hilfesuchende Blicke der SuS ohne einzugreifen erträgt.
Dennoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass auch diese SuS den Unterrichtsverlauf sehr aufmerksam verfolgen.
Ist die Harkness Methode automatisiert, erscheint der Stundenverlauf fast natürlich. Ich sitze mit Blatt und Papier dabei und notiere mir, was inhaltlich gesagt wird. Es kommt oft vor, dass die Gedanken, die die SuS gemeinsam in der Diskussion entwickeln, sehr beeindruckend sind und einen Tiefgang erreichen, der in einem vom Lehrer gelenkten Unterrichtsgespräch nicht möglich erscheint. SuS ergänzen ihre Notizen, denken mit, entwickeln neue Ideen, diskutieren oft auf dem Weg zum nächsten Saal weiter.
Wenn man als Lehrkraft Harkness wirklich im eigenen Unterricht etablieren möchte, benötigt man zunächst viel Geduld. Es ist wichtig, dass man im Anfangsstadium keine Angst vor der Stille hat, dass man – auch längere – Gesprächspausen und hilfesuchende Blicke der SuS ohne einzugreifen erträgt. Es lohnt sich.
Zum Erfolg einer unterrichtlichen Diskussionsrunde nach Harkness trägt ebenfalls wesentlich die Art der Hausaufgabe bei. Die SuS bereiten die Stunde inhaltlich zu Hause vor (vom Prinzip her eine Art Flipped Classroom), um dann im Unterricht darüber sprechen zu können. Themen sollten also so gestellt werden, dass sie kontrovers diskutiert werden können, dass sie zum Nachdenken anregen, SuS vor Rätsel stellen oder voraussetzen, dass sich die Lernenden in ein neues Thema einarbeiten. Basis kann, abhängig vom jeweiligen Fach, alles sein: Texte, Videos oder Quellen aus dem Internet.
Eines muss einem bei all den Vorteilen und schönen Unterrichtsstunden, die man mit Harkness haben kann, bewusst sein: Die Methode kostet anfangs einiges an Durchhaltevermögen und auch Nerven, und sie passt nicht zu jeder Lerngruppe. In der Fremdsprache habe ich schon einen Kurs gehabt, bei dem ich das Experiment abbrechen musste. Andere Kurse fanden es wiederum toll. Die unterschiedliche Ansprechbarkeit auf die Harkness Methode führe ich auch auf die Zusammensetzung der SuS in den Lerngruppen zurück.
Herausforderung Harkness im deutschen Schulalltag
Was zunächst sehr ambitioniert klingt, ist durchaus umsetzbar, wenn – und das ist tatsächlich der ausschlaggebende Punkt – die Lerngruppe diesen Weg willig begleitet.
Herausforderung für die Schüler
Unsere Schüler sind eine solche Arbeitsweise nicht gewöhnt. Sie werden ab der ersten Klasse dazu erzogen, sich zu melden, wenn sie etwas zu sagen haben. Selbstständiges Sprechen ist unerwünscht und wird in den meisten Fällen geahndet. Dies macht eine Implementierung von Harkness zu einem längeren Prozess und einer Herausforderung, ganz besonders für schüchterne, zurückhaltende, aber auch für tendenziell dominante Schüler. Hinzu kommt, dass Harkness (aufgrund unseres Schulsystems) vorzugsweise in der Oberstufe einsetzbar ist, da hier die SuS in der Regel klarer differenzieren können, welche Lehrkraft was verlangt. Eine besondere Herausforderung in der Praxis kann sein, dass SuS Teilaspekte dieser Methode bei anderen LuL einsetzen (z.B. dass sie einfach „reinreden“), was bei den Lehrerkollegen durchaus zu ärgerlichen Reaktionen führen kann. Dies wurde mir selbst schon von einigen SuS berichtet, die mit dieser Methode bei mir gut im Unterricht zurecht gekommen waren.
Harkness verlangt hier von der Lehrkraft ein agiles Mindset, denn das eigentliche Stundenziel kann aufgrund der Richtung, die eine Diskussion einschlägt, stark vom angestrebten Lernziel abweichen, aber dafür um ein Vielfaches ertragreicher sein.
Herausforderung für die Lehrkraft
Wir Lehrer tendieren dazu, unseren Unterricht so zu planen, dass wir ein klares Unterrichtsziel haben, welches wir erreichen wollen. Kommt es vor, dass LuL aufgrund von Nachfragen vom eigentlichen Lernziel abgelenkt werden und die Stunde komplett anders verläuft als geplant, hinterlässt dies womöglich ein Gefühl der Unzufriedenheit und den Drang, das Ziel in der nächsten Stunde unbedingt erreichen zu wollen. Harkness verlangt hier von der Lehrkraft ein agiles Mindset, denn das eigentliche Stundenziel kann aufgrund der Richtung, die eine Diskussion einschlägt, stark vom angestrebten Lernziel abweichen, aber dafür um ein Vielfaches ertragreicher sein. Für die Lehrkraft bedeutet das, flexibel auf die Lerngruppe zu reagieren, indem sie sich sehr zurückhält und nur dann in das Gespräch eingreift, wenn die SuS sich inhaltlich in eine Sackgasse manövriert haben bzw. das Thema aus den Augen verlieren. Die LuL sehen sich daher mit der großen Herausforderung konfrontiert, den SuS viel Raum geben zu müssen, das Gespräch und den Gesprächsgegenstand selbst entwickeln zu lassen. Geschieht dies, sind die Ergebnisse oft überraschend und beeindruckend.
Herausforderung in der Organisation
Eine der Vorgaben von Harkness ist, dass die Schülergruppe aus 12 Personen besteht, die an einem ovalen Tisch sitzen. Dies ist natürlich in unserem Schulalltag schöne Utopie. Dennoch ist es möglich, Harkness in der eigenen Lerngruppe zu implementieren. Die Methode muss lediglich an die Klasse bzw den Kurs angepasst und der Klassensaal möglicherweise etwas umgeräumt werden. Eine kleinere Lerngruppe ist von Vorteil, da der Redeanteil der einzelnen Mitglieder höher ist als in einer größeren Gruppe. Dennoch ist Harkness auch in Gruppen deutlich über 12 Personen möglich. Meine größte Lerngruppe bestand aus 25 SuS. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es eher von der Zusammensetzung der Gruppe und dem Unterrichtsthema und nicht so sehr von der Gruppenstärke abhängig ist, ob Harkness funktioniert.
Herausforderung in der Implementierung
Um Harkness erfolgreich einführen zu können, muss den SuS klar sein, warum sich die Lehrkraft für diese Art des Lernens und Arbeitens entschieden hat.
Die SuS lernen, ihre Meinung zu vokalisieren, fundiert zu argumentieren, Aussagen kritisch zu hinterfragen und gemeinsam mit anderen Theorien zu entwickeln oder zu dementieren. Sie lernen zielgerichtet zu streiten und einen Konsens zu finden.
Harkness stellt Bezug zum „echten Leben“ her. Die SuS lernen, ihre Meinung zu vokalisieren, fundiert zu argumentieren, Aussagen kritisch zu hinterfragen und gemeinsam mit anderen Theorien zu entwickeln oder zu dementieren. Sie lernen zielgerichtet zu streiten und einen Konsens zu finden. Unsere SuS werden auf eine Arbeitswelt treffen, in der hohe Flexibilität vorausgesetzt wird, in der Hierarchien häufig verschwinden, in der das Arbeiten in Teams, der gemeinsame Austausch und Diskurs, Brainstorming und Argumentieren von enormer Wichtigkeit sind. Von ihnen wird erwartet werden, dass sie sich vernetzen, dass sie selbstorganisiert und auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Harkness bereitet darauf optimal vor.
Die Harkness Methode – Conclusio
Auch wenn die Phillips Exeter Academy die Harkness Methode nach eigenen Angaben für jedes Fach und jedes Thema kontinuierlich anwendet, sehe ich das etwas differenzierter, wenn man sich an das strenge Harkness Muster halten möchte. SuS einfach ohne zu melden sprechen lassen, ist eine Sache, die Gesprächsrunden für jedes Thema des eigenen Fachs aufrechtzuerhalten und exploratives Lernen zu ermöglichen, eine andere. Für prüfungsrelevante Themen übernehme ich stärker die Führung, nur ein Handheben im Unterricht akzeptiere ich in einem Harkness-trainierten Kurs nicht, d.h. den freien Gedankenaustausch lasse ich jederzeit zu.
Für die Harkness Methode in seiner reinsten Form schafft das deutsche Schulsystem denkbar schlechte Voraussetzungen, gerade auch im Hinblick auf die vorgeschriebenen schriftlichen Leistungsnachweise. Hier müssten alternative Lösungen angedacht werden. Das Hinarbeiten auf die nächste Klassenarbeit/Klausur müsste offenem Diskurs, schülerzentriertem Lernen und individuellem Lernfortschritt weichen und demnach seinen Ausdruck in einem entsprechenden Leistungsnachweis finden.
Quelle:
https://www.exeter.edu/ (zuletzt abgerufen am 14.11.2020)

Das Buch zum Beitrag
Dieser Beitrag stammt aus unserem Buch “Agilität und Bildung” – ein Gemeinschaftswerk von 34 Autor:innen aus der Bildungsbranche.
Das Thema „Agilität und Bildung“ lässt sich nicht einfach zwischen zwei Buchdeckel packen. Vielmehr zeigt sich, dass Agilität in Bildung ein schon bekanntes, und zugleich stetig wachsendes Feld ist. Agilität ist KEIN Buzzword, sondern steht für eine wohlüberlegte Herangehensweise. Dieses Buch ist der Versuch, viele Elemente der Agilität sichtbar zu machen: Grundgedanken über Agilität genauso wie Praxisbeispiele aus dem Bildungsalltag. Ein kundiger Reiseführer sozusagen.
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